Karina Förster

Spring!


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schlottern und ich rücke verstört ab, um zu sehen, was ihn so ängstigt.

      Seine Augen spülen Träne um Träne hinaus. Ich ziehe ihn zu mir und wiege ihn leicht. Er reißt sich nicht zusammen und das muss er auch nicht. Der Tränenfluss ist ebenso wahrhaftig er. Genauso, wie er unwiderlegbar ein Teil von mir im Meer war und vermutlich schon lange davor. Seit Ewigkeiten. Niemand von uns braucht das aussprechen.

      Sein Kummer ist der nahende Montag und ich würde lügen, wenn es nicht auch meiner geworden wäre. Wie könnte es nach diesem Erlebnis sein?.

      Und dennoch ...

      Je näher meine Frist rückt, desto gedrückter wird seine Stimmung.

      Sein Blick wird trauriger, seine Stimme nachdenklicher. Er fragt mich viel und hört gefesselt zu, wenn ich von meinen Erlebnissen auf Tanz-Turnieren und von meiner Familie erzähle.

      Er erfährt, dass ich Einzelkind bin. Darum beneidet er mich, denn er ist Zwilling.

      »Ihr seid zweieiige Zwillinge.«

      »Ja.«

      »Ich hätte mir ein Geschwisterchen gewünscht«, gestehe ich und hole meine Fotokiste.

      »Wollten deine Eltern keine weiteren Kinder?«

      »Keine Ahnung und selbst wenn. Dazu kam es nicht mehr.«

      »Warum nicht?«

      »Meine Großeltern haben mir erzählt, dass mich mein Vater nach dem Tod meiner Mutter nicht wollte. Er hat Mutter und mich wegen einer anderen verlassen.«

      »Hast du denn nie Kontakt zu ihm gehabt?«

      »Nein. Er hat sich nie interessiert.«

      »Das kann doch aber auch andere Gründe haben. Es gibt so viel, was einen Mann daran hindern kann Kontakt zu seinen Kindern zu halten.«

      Ich wühle in der Kiste und habe nicht ein Foto von ihm. »Ich habe noch nicht einmal ein Foto.«

      »Merkwürdig. Weißt du denn etwas über ihn?«, fragt Yanick und sieht sich das Foto in meiner Hand an.

      »Er war Kinderarzt. Er roch nach Desinfektion und ich war oft in seiner Praxis, weil meine Mutter dort auch arbeitete. Sie war gelernte Krankenschwester.«

      »Hast du die Augenfarbe von deinem Großvater?«

      Ich nehme ihm das Foto aus der Hand. Ein Porträt meines Großvaters. Er war sehr jung und seine Augen scheinen zu leuchten. »Ja, antworte ich. Meine Mutter auch.«

      Ich suche ein Foto meiner Mutter heraus und reiche es ihm. »Eigentlich kann ich überhaupt nicht einschätzen, wem ich ähnlich bin. Ich kenne ja nur die eine Linie.« Ich wühle in der Kiste und ich habe nicht ein Foto von ihm. »Ich habe noch nicht einmal ein Foto.«

      »Die Augen jedenfalls aus der großväterlichen Linie«, sagt Yanick und zieht ein weiteres Foto aus der Kiste.

      »Das ist sie«, erkläre ich. Er nickt stumm.

      Ich lege meinen Kopf auf sein Bein, damit ich ihn ansehen kann, während er sich die Fotos von mir ansieht. Ab und zu hält er mir eines vor die Nase und ich erzähle ihm die Geschichte dazu.

      »Hier bin ich ein Jahr. Mit meiner Mutter in unserem Innenhof.« Er lächelt und betrachtet sich das Foto.

      »Ich hätte sie gerne gesehen. Du ähnelst ihr sehr, so hübsch.«

      »Das bin ich nicht«, sage ich genervt. »Alle sagen die schöne Warwara. Es gibt Schlimmeres, ich weiß, aber ich finde es oberflächlich und schrecklich. Niemand sieht den Menschen dahinter.«

      »Heißt das, dass niemand sagen darf, dass du schön bist?«

      »Ich will es nicht wissen. Was für mich zählt, ist das, was den Menschen ausmacht.«

      »Selbst wenn sie buckelig sind, übel riechen und wirklich hässlich sind?«

      »Solange sie menschlich nicht hässlich sind, interessiert mich das nicht«, gebe ich zu.

      »Was ist für dich menschlich hässlich?«, fragt Yanick und stellt die Kiste beiseite.

      »Lügen, stehlen, morden und alles, was darunter fällt«, antworte ich.

      »Verstehe. Aber du wirst eines Tages schöne Kinder haben.« Zärtlich streicht er mir eine Strähne aus der Stirn und grinst breit. Ach ja, er wollte ja der Vater sein, denke ich schmunzelnd und will mich nicht die wenige, verbleibende Zeit darüber streiten.

      Irgendwann liegen nur noch wenige Stunden vor uns, als ich in das Wohnzimmer gehe und Yanick nackt und ausgestreckt auf dem Teppich liegend sehe. Mit geschlossen Augen liebkost er Schmitti, der auf seinem Brustkorb liegt und es sich dort gemütlich gemacht hat. Gegen den Türrahmen gelehnt beobachte ich die Szene. Er zeigt Yanick, wo er gekrault werden möchte und der geht darauf ein. Offensichtlich mag Schmitti ihn, denn so nah lässt er nur wenige Menschen. Selbst Uta geht er gerne aus dem Weg. Ein schönes Bild.

      Und dennoch …

      »Was denkst du?« Aus meinen Gedankengängen aufgeschreckt, fühle ich mich ertappt bei Vorstellungen, die mir noch nie in den Sinn kamen. Durch seine dunklen Wimpern hat er mich beobachtet. Ich gehe zu ihm.

      »Hier. Das liebt er«, sage ich und verrate ihm eine geheime Liebkosung, die meinen Kater schmelzen lässt. Dazu fahre ich den Rücken von Schmitti entlang, mache kurz vor dem Steiß halt und massiere diese Stelle. Sofort krümmt sich sein Kreuz genießerisch. Er miaut erfreut und fährt ein wenig seine Krallen aus. Das macht er bei anderen Streicheleinheiten nicht, aber hier kann er einfach nicht anders. Es ist der Turbo und sofort beginnt er zu häkeln. Schmerzverzerrt verzieht Yanick sein Gesicht. Die Krallen bohren sich in seine Haut. Lachend krümme ich mich, erlöse ihn aber und stupse Schmitti an. »Ab!«, kommandiere ich und mein Kater pariert. Er springt vom Brustkorb, wenn auch widerwillig.

      »Er wollte wohl mal Hund werden, was? Eine Katze, die auf Kommandos hört?«, fragt Yanick und besieht sich seinen Brustkorb.

      Ich lache, denn ich weiß, dass er die Eigenheiten von Schmitti schnell erkannt hat. Er ist keine normale Katze.

      »Er mag dich und du solltest dankbar sein, dass er dich nicht schlägt und anfaucht, denn er ist sehr besitzergreifend.«

      »Das kann ich auch sein und da jetzt hier ein Platz frei geworden ist, komm du her. Wenn du schon mal hier bist, sollte es nicht kalt neben mir werden.«

      Er zieht mich zu sich hinab und legt mich quer über seinen Oberkörper. In einer schnellen Drehung liege ich neben ihm.

      Er erzählt mir, dass er Pläne für eine eigene Anwaltskanzlei hat. Schon seit Jahren ist er an der Planung beschäftigt. Die notwendige Zulassung der Rechtsanwaltskammer steht noch aus. Sie entscheidet darüber, ob er alle Auflagen erfüllt, um sich selbstständig machen zu können.

      Ich kann ihn mir im Anzug vorstellen, auch wenn ich ihn in lässigen Klamotten kennengelernt habe und ohne. Auch vor Gericht sehe ich ihn. Ich sehe ihn mit Soße am Kinn vor dem Döner-Imbiss und mit den Fingern aus einer großen Schüssel Spirelli essen. Ich sehe ihn nur nicht in dieser riesigen Villa.

      Wahrscheinlich, weil es eine andere Welt für mich ist. Sie ist zu weit weg, um sie mir hier vorstellen zu können. Eine Welt, die uns trennt, auch wenn es hier scheinbar keinen Unterschied zwischen uns gibt. Ich und ein Rechtsanwalt.

      Er bewegt sich beruflich und privat in der gehobenen Gesellschaft, die sich gerne nach unten abgrenzt. Aber dieses unten bin ich und ich frage mich, wie er Wasser und Öl mischen will.

      Will er es überhaupt mischen? Er ist bis Montag hier und danach geht mein Leben weiter.

      »Ich habe in der Küche Fotos von deiner Gruppe gesehen. Ihr habt angemalte Gesichter. Alle sehen so fröhlich aus.«

      »Das war beim letzten Sommerfest im Kindergarten. Es ist immer schwer Kinder in die Schule zu entlassen. Ich sehe sie aufwachsen, ihre