Karina Förster

Spring!


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Wie in der Bahn zuckt er mit keinem Muskel im Gesicht. Offen, ehrlich, direkt und seltsam vertraut schaut er zu mir, während die Serviette über sein Mund und Kinn fährt. Das ist sein Ernst und ich bekomme kribbelnde Haut, die sich an meinen Schenkeln hocharbeitet. Erstaunt rege ich mich und werde jetzt unsicher.

      Genug kennengelernt!

      »Ich will zu Uta, bevor sie schläft.«

      Ich springe auf und flüchte vor diesem kometenhaften Charmeur. Erst will er Kinder mit mir, dann gesteht er mir beim Essen, dass er bis an sein Lebensende nicht mehr von meiner Seite weichen wird. Der hat es irgendwie eilig. Kommt vorher nicht noch ein Detail? Utas Wohnung ist nicht mehr weit von hier entfernt. Yanick folgt mir.

      »Du kommst mit?«, frage ich verblüfft, als er wieder neben ihr her schreitet.

      »Wenn es dich stören würde, hättest du es mir sicher gesagt. Ich meine ich habe miterlebt, wie … wehrhaft du sein kannst.«

      Ich beuge mich lachend nach hinten. Er ist dreist und witzig auch noch.

      »Was ist mit deinem Großvater und dir?«

       Jetzt wird er eine Spur zu neugierig.

      »Was soll mit ihm gewesen sein? Er war mein Großvater und starb zu früh für mich.«

      Yanick stoppt mich, indem er mir den Weg abschneidet. Er stellt sich mit seiner ausgestreckten Hand gegen eine Hauswand. So versperrt er mir den Weg. Mann!

      »Was war das, mit dem Herz prüfen und so?«, will er von mir wissen. Er spricht ganz leise. Sicher hat er meine Flucht nicht ignoriert. Aber was reizt ihn nur so?

      Ich bleibe abrupt stehen, weil ich nicht mit ihm über meinen Großvater sprechen will. Er hat zudem richtig verstanden, was Kai erraten hatte. Wozu also darüber reden?

      »Du kannst mich später analysieren«, sage ich abweisend und drängele mich ruppig an ihm vorbei, um meinen Weg fortzusetzen. Vor einem Altbau bleibe ich stehen und klingele an einem der unzähligen Klingelknöpfe. Mit gesenktem Kopf warte ich, ob Uta sich meldet.

      »Hallo?«, ertönt eine verschlafen klingende Uta.

      »Uta, hier ist Ella. Ich wollte meine Sachen holen.«

      »Komm rauf!«

      Oben angekommen, gebe ich ihr schnell einen Wangenkuss.

      »Hallo Uta. Ich hole nur flink meine Sachen. Das ist Yanick. Yanick, das ist Uta«, stelle ich beide miteinander vor. Ich beuge mich zu meiner Tasche, die griffbereit im Flur steht. Uta hat nur Augen für meinen Begleiter.

      »Hallo Uta«, sagt Yanick lieblich und hebt seine Hand zum Gruß. Mit weit aufgerissenen Augen und heruntergefallener Kinnlade steht sie da und glotzt uns sprachlos an. Es sieht so aus, als schreit sie stumm. Kein Ton ist zu hören. Ich wäre nicht Jahrzehnte mit ihr befreundet, wenn ich nicht wissen würde, was jetzt in ihr vorgeht. Ihre Augen, aus denen die Sensationslust springt, leuchten.

      »Danke für die Klamotten. Wir sehen uns auf Arbeit. Dann reden wir«, beruhige ich sie knapp und verabschiede mich.

      Sie klappt ihren Unterkiefer wieder hoch. Sie nickt und lächelt verstohlen Yanick an. Ihre Augen gleiten an diesen stattlichen Mann herunter. Ich ahne, über was wir am Montag sprechen werden. Sie will garantiert alle Einzelheiten hören.

      Ich laufe bereits die Treppe hinab und höre die Tür von Utas Wohnung zufallen. Unten an der Eingangstür fragt Yanick: »Wohin jetzt?«

      Schweigend trabe ich los, bis ich ein Zerren an der Tasche spüre. Ehe ich mich versehen kann, liegt die Tasche in seiner Hand und ich sehe betreten zu ihm. Ich muss mir überlegen, wie ich mit ihm verfahre. Ich schreite langsam weiter. Es ist nicht mehr weit zu mir und ich will mir bis zu meiner Haustür überlegen, was ich mit dem mir zugelaufenen Hündchen mache. Ich kann es dressieren, ihm apportieren beibringen oder wegjagen?

      Wir gehen einige Häuserblocks schweigend nebeneinander her. Es sind kaum Menschen unterwegs. Nacht in Berlin. Ab und zu fährt ein Taxi an uns vorbei.

      Die Stille mit ihm ist nicht peinlich. Ab und zu sehe ich verstohlen zu Yanick. Ebenso scheu wieder weg. Er scheint noch immer gut gelaunt, obwohl vermutlich der Weg bis Tokio vor ihm liegt. Ich bleibe stehen und muss darüber kurz lachen. Ich krümme mich leicht gebeugt über meinen eigenen Witz.

      »Du lächelst wieder«, stellt er amüsiert fest und bleibt ebenfalls stehen.

      Ich sehe zu ihm und da ist es wieder. Wir sind allein und mir wird heiß, weil wir uns drehen. Doch ich trete einen Schritt zurück. Es reicht, damit ich wieder logisch denken kann, oder doch nicht?

      Wir gelangen an meinem Haus an und ich sehe an der Hauswand hinauf. Bis eben habe ich überlegt, ob ich ihn hoch bitten werde. Doch wenn ich nachdenke, kommen keine Antworten. Also sehe ich ihn an und vermeide ab jetzt das Denken.

      Er preist sich nicht an, bettelt nicht, fleht nicht einmal mit seinen Augen, die mich eben schon wieder kirre gemacht haben. Auch er sieht die Hauswand hinauf.

      Unschlüssig betrachte ich ihn. Ich will ihn wegschicken, aber irgendwie auch nicht.

      Was überwiegt?

      Kapitel 8

      »Mein Schlüssel ist in der Tasche. Und die Tasche ist in deiner Hand.«

      »Oh, klar.« Er reicht mir die Tasche. »Jede Wette, ich finde allein dadurch, dass ich deinen Schlüssel in meiner Hand halte und die Namen an den Klingelknöpfen lese deine Wohnungstür.«

      Ich schnaube aus. »Du und deine Wetten. Aber Kai und du, ihr könntet euch auf dem Jahrmarkt eine goldene Nase verdienen«, spöttele ich.

      »Darf ich?«, fragt er meinen Spott ignorierend.

      »Was ist der Einsatz?«, will ich wissen und sicher ist nur eine legale Wette.

      »Das gute Recht. Wir wetten nur um das gute Recht.«

      Ich überlege einen Moment und stimme zu.

      »Okay, da kann ich mitgehen. Das ist moralisch nicht verwerflich und tut niemandem weh.«

      Yanick geht zu der Tür und studiert dort die Namensschilder. Unterdessen krame ich in der Tasche nach dem Schlüsselbund. Wie immer liegt der Schlüssel dort, wo meine Hand nicht ist.

      »Das wird leicht«, kündigt er selbstsicher an und ich schüttele meinen Kopf. Mir ist klar, dass er diese Wette nicht ohne Schummelei gewinnen würde. Einzig das WIE macht mich neugierig.

      Endlich habe ich den Schlüssel gefunden. Ich betrachte Yanick, der jeden Namen auf den Klingelknöpfchen mit angestrengtem Gesichtsausdruck liest. Seine Hand hält er mir ausgestreckt hin und ich lege meinen Schlüssel hinein. Er schließt seine Finger um den Schlüssel und konzentriert sich. Ich bekomme jetzt also eine Extra-Vorstellung Er muss ja denken, dass ich komplett blöde bin.

      Mag sein, ich bin es. Einmal doof gestellt reicht für eine ganze Woche. Nur, der Gedanke an den Kuss auf der Terrasse rechtfertigt doch eine Torheit, oder? Schon wieder schmunzele ich in mich hinein. Soll er sich doch dort an der Tür abmühen. Notfalls kann ich ihm ja die Tür zeigen. Ist aber süß, wie ernsthaft er die Sache angeht. Er versucht doch zu bluffen!

      Gedankenversunken betrachtet er sich nun den Schlüsselbund. Er nimmt einen Schlüssel, sieht zu mir und steckt den Schlüssel in den Zylinder. Gut. Den ersten Schlüssel hat er gefunden.

      Im Hausflur stellt er sich vor die Briefkästen und betrachtet sich alle. Dann geht er die Treppen hinauf, mustert jede Tür eingehend und den Schlüsselbund in seiner Hand. Ab und zu lächelt er mich an, bleibt stehen, schüttelt seinen Kopf und geht eine Etage weiter höher.

      So wiederholt sich seine Schauspielkomödie auf jeder Etage, bis er vor einer Tür steht und dort lange überlegt. Er schaut zu mir und steckt den Schlüssel in das Schloss und … dreht ihn um. Noch ein Blick zu mir und er öffnet die Tür.

      Abgebrüht