Karina Förster

Spring!


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gegenüber. Zu gut weiß ich, dass meine Worte gelogen sind, aber diesen Pfeil muss ich jetzt in sein Herz abschießen. Ich brauche eine kleine Genugtuung. Wie ich sehe, ist er in seinem Ziel angekommen. Yanick stellt sich breitbeinig vor mir auf.

      »Oh, doch, Ella«, sagt er beängstigend gefasst und selbstsicher. »Das warst du. Du warst so was von bei mir. Und ich weiß, dass du das auch weißt«.

      Ja, ich weiß, was er meint und genau das hat mich ängstlich gemacht. Zweimal. Sprachlos stehe ich da und glotzte ihn an.

       Was könnte ich auf diese Wahrheit antworten? Lügen?

      Trotzig wirbele ich zur Tür und reiße sie auf. Yanicks Vater erscheint neben mir. Er ergreift meine Hand und küsst sie lange. Ich sehe zu und bin überrascht. Trotz meines Aufzuges und meines Verhaltens zollt mir Respekt. Mir!

      Ich werde Milde und sacke ein wenig zusammen. Mein Herz wird weich und ich sehe diesen müden Mann an, der lächelnd sein Gesicht zu mir hebt. Diese Augen!

      »Es hat mich überaus gefreut Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich bedauere zutiefst, dass Sie uns verlassen wollen. Ich bin leider nicht imstande mich für das Verhalten meiner Kinder zu entschuldigen. Sie müssen mir indes glauben wie leid es mir tut, wie sehr sie Sie verletzt haben. Kann ich Ihnen ein Taxi rufen, damit Sie sicher heimkommen?«

      Ich bin platt. Er ist so überaus freundlich und zuvorkommend, dass ich mich zaudernd umdrehe. In sein Gesicht sehend, verneine ich und kämpfe mit meinen Tränen.

      Es ist mir etwas unangenehm, dass ich vermutlich vorschnell über sein Wesen geurteilt habe. Ich räume ein, dass nicht jeder, der viel Geld besitzt, zwangsläufig auch ein Arschloch sein muss.

      »Darf ich Sie etwas fragen?« Mal sehen, ob er ein Arschloch ist.

      »Gerne«, sagt er.

      »Haben Sie sich das Geld erarbeitet oder aus langer Ahnenreihe geerbt?«, frage ich und hole mit meinem Arm aus, der damit über das Anwesen streift. Er zieht seine Augenbraue hoch und ich überlege, ob mein Vorstoß zu brutal ist. Aber was habe ich zu verlieren.

      »Ich habe jeden Cent erarbeitet. Warum fragen Sie?« Er sieht mich erwartungsvoll an. Auf jeden Fall ist er wenig über meine direkte Attacke frappiert.

      »Dann haben Sie in einer Ecke ihres Herzens ganz sicher noch nicht vergessen, wie dunkel die Welt außerhalb dieser imposanten Villa ist?«

      »Ich habe es nicht vergessen und es wird Sie sicher freuen, wenn ich versuche, mit einem Teil davon Gutes zu bewirken.«

      »In der Tat, das erfreut mich. Sehen Sie, ich arbeite in einem Kindergarten, dem andauernd Gelder gestrichen werden. Begabte Kinder, die chancenlos wären. Wenn Sie etwas Gutes tun wollen dann denken Sie bitte bei Ihrer nächsten Spende an das Haus Sonnenschein! «

      »Welch ein passender Name. Ella, Sie sollten für die Charity Spenden sammeln.«

      »Besser nicht! Warum sollte ich mir um jemanden Sorgen machen, der schon so viel Aufmerksamkeit aus Ihren Kreisen bekommt? Warum sollte ich Kraft für Leute in der Mittelschicht einsetzen? Damit sie eine Firma gründen können oder studieren? Ich möchte dort helfen, wo unsere Gesellschaft gelernt hat wegzusehen. Dort, wo niemand ein schlechtes Gewissen dabei hat, wenn er wegsieht. Es ist ein Irrtum, dass materiell arme Menschen ihre teils sehr begabten Kinder weniger lieben als reiche. Es ist falsch anzunehmen, dass es ihnen an Herzenswärme fehlt.«

      »Haus Sonnenschein?«

      Ich nicke. »Ja. Da arbeite ich. Kommen Sie vorbei und sehen sich mal um?«

      Er nickt.

      »Großartig!«

      »Wirklich kein Taxi? Ich zahle auch, wenn Sie jetzt nach Rom fahren müssten.«

      Ich lache und beuge mich leicht vor. Nein. Rom war heute Nacht nicht mein Reiseziel. Er ist amüsant und sehr aufmerksam. »Lieben Dank, aber nein. Keine Umstände. Ich fahre Bahn und bin ja jetzt züchtig angezogen. Auf Wiedersehen!«, sage ich und gehe zum Tor.

      »Ich hoffe sehr!«, raunt er.

      Am Tor drehe ich mich um, als es summt und winke. Yanicks Vater hebt seine Hand.

      »Vielen Dank!«, forme ich mit meinem Mund. Ganz leise gesprochen, aber er versteht, denn er nickt und formt seinen Mund zu einem: »Gerne.«

      Yanick ist nirgendwo zu sehen.

      Kapitel 7

      Die Flip-Flops von Lisa sind mir eine Nummer zu klein und fangen schnell an zu scheuern. Dementsprechend komme ich schleppend voran. Zudem ist die Straße hier nur vereinzelt beleuchtet. Die Orientierung fällt mir schwer. Bis auf den heutigen Tag hat mich noch nie jemand derart wütend gemacht wie Yanick. Bis jetzt nie zeitgleich aus der Bahn geworfen und in die Bahn gelenkt.

      Ich bleibe stehen. Es ist dunkel. Ich bin allein. Warum nicht die ganze Wut hinausschreien? Wann, wenn nicht jetzt?

      Meine Hände ballen sich zu Fäusten und die Lungen füllen sich mit der eingesogenen Luft, um mich auf einen langen Schrei vorzubereiten. Dann entlassen sie den Stau an Gefühlen. Es schmerzt. In meinem Magen. So sehr, dass ich kaum noch Kraft habe aufrecht zu stehen. Dieser Hund!

      Genervt lasse ich meinen Frust an dem erst besten Gegenstand aus, den die Augen erfassen. Die Flip-Flops. Ich rutsche aus den unkomfortablen Dingern, die mich nur zu behindern scheinen und schleudere sie mit einem Schrei in die Dunkelheit neben der Fahrbahn. Danach geht es mir etwas besser und ein neues Gefühl steigt auf.

      Der Kuss. Tränenflüssigkeit steigt auf. Das ist jetzt der Stress.

      Der muss gleichgültig wo raus. Also gut , denke ich. Weine ich eben auch noch . Heult die naive Pute eben, die den Kuss schön fand. Geschieht ihr recht.

      Ich höre auf, gegen die Tränen zu kämpfen. Sie müssen raus, auch wenn ich dabei bescheuert aussehe. Immerhin trage ich jetzt Markenkleidung.

      Schritt für Schritt laufe ich den langen Weg zur S-Bahn Haltestelle. Je mehr Lichter zu sehen sind, umso mehr erlange ich meine Fassung zurück. Die Tränen sind geweint. Übrig bleibt eine merkwürdige Mattigkeit ungeahnten Ausmaßes.

      Mit letzter Kraft schleppe ich mich ich die endlosen Stufen der S-Bahn-Station hinauf. Hier, am Ende von Berlin ist um diese Zeit wenig Bewegung auf den Bahnsteigen. Völlig außer Atem bin ich oben auf den Bahngleisen angekommen und setze mich erschöpft auf die schwarzen, eisernen Sitze. Mit leerem Blick starre ich vor mir auf den Boden. In meinem Blickfeld sind nur meine schmutzigen Füße und Kaugummis, die dort festgetreten wurden. Langsam wird mir kalt an den Füßen und ich stelle sie zusammen, damit sie sich ein wenig aneinander wärmen können.

      Ich fühle mich emotionslos, wie leer gefegt.

      Hätte er doch bloß nichts von dieser beschissenen Wette erwähnt. Oder besser hätte ich doch nur meine Klappe gehalten und nicht weiter nachgehakt. Was interessiert mich denn schon prinzipiell die blöde Wette. Was ich wollte, war doch nur die Nacht mit ihm. Aber genau dort lag das Haar in der Suppe. Aus irgendeinen unerfindlichen Grund konnte ich meine Klappe nicht halten und habe die Frage gestellt, die mich jetzt hier sitzend, statt neben ihm liegend lässt.

      Und nun ist hier nur noch meine körperliche Hülle übrig. Warum?

      Die Bahnschienen quietschen und kreischen. Die leere Hülle will ins Bett.

      Will vergessen. Schnell Yanick und Lisa vergessen.

      Ein leichter Wind, der meine offenen Haare anhebt und zur Seite weht, lässt mich auf sehen. Die Bahn fährt auf dem Gleis ein. Ich schleppe mich zu einer Wagentür, öffne sie und setze mich in den menschenleeren Waggon.

      Oh, Mist! Ich fahre ohne Ticket und Uta hat meinen Ausweis. Wenn ich erwischt werde, wird das sicher lustig. Wie der gesamte Abend unterirdisch.

      Müde liegen die Hände auf meinen Knien. Die Haare rutschen mir vom Rücken und kitzeln auf der Haut am