Karina Förster

Spring!


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Dunkelheit.

      Die Sirene an der Tür ertönt und gibt somit die Warnung, dass die Bahn gleich abfährt.

      Jemand kommt keuchend in die Bahn gerannt und die Türen schließen sich zeitgleich. Die Bahn setzt sich mit einem kleinen Ruck in Bewegung und nimmt schnell an Geschwindigkeit zu.

      Bald werde ich wieder in meiner Welt sein. In meinem Bett, in meiner Wärme und in meiner Stille.

      Neben mir rüttelt es, weil sich jemand hart auf den Sitz fallen lässt. Von dort kommt jetzt auch das penetrante Schnaufen, das mich am Denken hindert. Dabei ist doch reichlich freier Platz im Waggon. Muss das denn jetzt genau neben mir sein? Wie nervig!

      Um zu protestieren, öffne ich meine Augen. Ich schwenke meinen Kopf in die Richtung, des Schnaufens und sehe in bernsteinfarbene Augen, die mich ansehen.

      Yanick?

      »Hi«, sagt er noch völlig außer Atem und grinst mich an, als wäre nichts vorgefallen. Für eine Antwort zu müde sehe ich weg.

      »Ist er Platz noch frei?«, fragt er nach Luft ringend, doch ich bleibe stumm und sehe zum Fenster hinaus. Klar war der frei. Netter Versuch.

      Durch die Dunkelheit draußen und der Helligkeit hier drin ist das Fensterglas Spiegelglas. Er hat sich vorgebeugt und betrachtet mich. Er folgt meinen Augen und im Fenster sehen wir uns an. Wer zuerst den Blick senkt, hat verloren, denke ich und sehe nicht weg.

      Mann! Ist der hartnäckig! Auch er senkt seinen Blick nicht. Er sagt nichts, bewegt sich nicht, sieht mich nur schweigend an.

      »Was willst du von mir Yanick?«, frage ich mich über seine Beharrlichkeit wundernd. Dieses Schweigen halte ich nicht mehr aus. Ich habe auf eine Art verloren, aber ohne Frage besser, als den Blick zu senken.

      »Der Vater deiner Kinder sein«, antwortet er wie aus der Pistole geschossen.

      Den Satz muss ich mir erst dreimal in Gedanken wiederholen und sehe verwundert zu ihm, denn ich glaube, ich habe mich eben verhört. Was hat er da gesagt? Geht's noch?!

      Sein Atem geht bedächtiger. Der Brustkorb hebt und senkt sich noch deutlich, aber er schnauft nicht mehr. Er entblößt seine Oberzähne und lächelt. Ich mustere sein Gesicht. Dreist. Ja, nach allem, was ich heute erlebt habe, war es dreist.

      Kinder! Mit ihm? Verständnislos und ablehnend verziehe ich meinen Mund.

      »Spinnst du? Dazu gehören zwei. Und ich bin da sicher nicht mit an Bord.«

      Er wendet sein Gesicht nicht geniert ab, zuckt nicht einmal mit einem Muskel.

      »Bist du gesprungen?«

      »Wäre ich mal besser nicht!«, brause ich laut auf, denn ich finde das ganz schön unverschämt.

      »Ich weiß. Mein Fehler. Anders gefragt: Warum glaubst du, bin ich hier, Ella?«

      »Weil es hier in der Bahn Sahnetörtchen gibt, um die du wetten kannst?«, antworte ich blitzschnell. Es soll ironisch klingen, zeigt aber vermutlich nur meine Kränkung.

      »Sarkasmus ist nur eine von vielen Spielarten möglicher Beleidigungen. Sie soll mir Verachtung entgegenbringen. Sie soll mich bloß stellen. Es zeugt weder von Witz, Charme, oder Humor, Ella.«

      »Es wird allerdings auch häufig in Zusammenhang mit Tadel und Missbilligung benutzt«, kontere ich gereizt.

      »Ella!«

      »Was?!« Selbst wenn er recht hat, warum sollte ich das zugeben? Klar, weiß ich, dass das mit den Sahnetörtchen blöd war. Und klar, warum, wenn ich ihm egal bin, sollte er völlig außer Atem in die Bahn hinterher gesprungen kommen? Die Wette würde diesen Aufwand sicher nicht rechtfertigen.

      »Schon klar, weil du so der Vater meiner Kinder wirst!«, höhne ich und sehe an ihm herunter. Er träumt ganz offensichtlich mit offenen Augen.

      »Ella!«

      »Dann spuck es einfach aus! Bin mal gespannt.« Er wird ja sicher sowieso keine Ruhe geben, bevor er mir hier sein Herz nicht ausgeschüttet hat. Demnach kann er getrost ausspucken, von was er nachts träumt.

      Yanick kommt dichter ran. »Auch ich hatte schon Weissagungen bei Kai. An eine erinnere ich mich noch sehr deutlich. Er sagte wortwörtlich: Z wei Kinder. Ein Junge. Dann, später ein Mädchen . Genau so hat er es gesagt.« Er legt eine bedeutungsschwangere Pause ein und sieht mich nun noch aufmerksamer an. Mir scheint, er ist auf Kai hereingefallen. Dabei hatte ich bislang nicht den Eindruck, dass er leichtgläubig ist. Aber Uta ist ja auch so drauf und würde es auch abkaufen. Ich glaube an die Realität.

      »Kai wusste heute, was er sagt. Er hat dich an der Nase herumgeführt«, entgegne ich bissig.

      »Nein. So etwas macht Kai nicht. Er hat bei deiner Prophezeiung doch Dinge gesagt, die er gar nicht hätte wissen können, oder? Kai manipuliert nicht und er nutzt seine Fähigkeit auch nicht zu Ungunsten von Menschen aus. Ich kenne ihn schon ewig. Und …« Er streckt sich, »alle seine bisherigen Vorhersagen, die ich kenne, trafen zu. Er lügt nicht!«

      »Du wirst folglich der Vater meiner Kinder?«, frage ich amüsiert nach.

      »Ja.«

      »Du glaubst, was er erzählt …?«

      »Alles traf bislang zu. Glaubst du etwa, ich bin naiv?« Diese Diskussion kenne ich von Uta. Als überzeugte Esoterikerin kommt da kein realistischer Fakt gegen an.

      »Mir egal, was du bist. Ich muss hier raus«, sage ich und stelle mich an die Tür und öffne sie. Yanick ist mir gefolgt und steht nun auf dem Bahnsteig neben mir. Verdattert sehe ich ihn an.

      »Wo willst du hin?«, frage ich und bleibe mit verschränkten Armen vor ihm stehen.

      »Ich begleite dich.«

      »Wohin?«

      »Mir egal. Wohin du gehst«, sagt er und sieht sich wissbegierig um. Er hat so eine selbstsichere Art. Wie schon auf dem Hausboot, lässt er sie raushängen.

      Ich wirbele herum und gehe los. Habe ich eben ein neues Hündchen. Eines mit Bernsteinaugen.

      »Also? Wohin gehen wir?«, fragt Yanick noch einmal.

      »Ich gehe meine Sachen holen«, antworte ich. Im schnellen Tempo eile ich über den menschenleeren Bahnsteig. Nachts ist hier wenig los und der Bahnhof wirkt wie ausgestorben.

      »Wohnst du hier in der Nähe?«, fragt er interessiert. Mir ist klar, dass er Konversation halten möchte. Wir befinden uns am Berliner Ostkreuz.

      Die Schilder, an denen wir vorbeilaufen weisen in Richtung Friedrichshain. Das war früher ein Arbeiterviertel. Heute ist es eher ein angesagtes Quartier in der Mitte von Berlin.

      »Nein. Uta wohnt hier. Sie hat meine Sachen in ihrem Auto mitgenommen. Blöde Idee in den Fluss zu springen, um an einer Party teilzunehmen.«

      Mit verschränkten Armen stapfe ich mürrisch neben Yanick. Ich versuche mit Blick auf den Fußboden geheftet, den Hundehaufen auf dem Boden auszuweichen. Ein lästiges Problem in so einer großen Stadt. Selbst mit Schuhen.

      »Ich fand es keine blöde Idee. Ich fand es furchtlos und souverän. Frei«, sagt er hastig und bleibt stehen. Ich bemerke es und lächele bei frei . Ja. Frei fühlte ich mich.

      Er fand mich furchtlos und souverän? Warum hatte er mir das auf der Brücke dann nicht gesagt, als wir miteinander vorgestellt wurden?

      »Du lächelst!«, ruft er und kommt schnell näher. Ich drehe mich um, sonst bildet er sich noch etwas ein und gehe ein bisschen zügiger.

      Yanick überholt mich und geht jetzt rückwärts vor mir. Er sieht nun aufdringlich in mein Gesicht. Ich kann mein Lächeln noch immer nicht verbergen und er drosselt das Tempo so lange, bis wir stehen bleiben. Gut. Schön, ja. Ich habe gelächelt. Das kommt vor!

      Ich verstehe nicht, warum ihn das so verdammt