Karina Förster

Spring!


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ich kann nicht, denn ich bin wie leer gefegt im Hirn und müde kann ich diesen Zustand der Stumpfsinnigkeit nur verblüfft hinnehmen.

       Yanick hat den Bikini mitgenommen, der neben seiner Bettseite lag.

      Der Brief, der vor mir auf dem Boden liegt, ist nicht dick. Eine säuberliche Handschrift fällt mir auf, die schön anzusehen meinen Namen geschrieben hat.

       Er hat seine Trophäe für Lisa mitgenommen.

      Mein voller Name steht auf dem Papier. Selbst meinen zweiten Vornamen hat er herausgefunden.

       Er hat seine Wette gewonnen und das, obwohl er keinen Wunsch-Geburtstag hatte.

      Elisa Eleonora Schmitt steht auf dem Briefumschlag. Ich beuge mich und hebe den Umschlag auf. Ich schlurfe mit ihm in das Wohnzimmer. Dort sehe ich mich um und mein Blick bleibt auf dem Teppich kleben, auf dem er mit Schmitti lag. Jetzt sitzt dort Schmitti und sieht mich leidend an.

      Da leiden wir wohl zu zweit .

      Miau , klagt er und eine unglaubliche Leere macht sich in mir breit. Nach einem Wochenende voller Fülle bricht es mir mein Herz und doch, er hat gewettet. Um mich und uns trennen Welten.

      Mit flatterndem Herzen lege ich den Umschlag auf ein Regalfach. Ich beschließe, ihn nicht zu öffnen. Ich habe Angst vor dem Inhalt. Mit meinem Finger fahre ich zärtlich über die Träne der Götter, die ich einst im Meer fand. Dieser Ort ist passend, um seinen Brief abzulegen. Heute kann ich ihn unmöglich öffnen. Mental bin ich dazu schlichtweg nicht in der Lage.

       Ich kann mir denken, dass Lisa einen Beweis will.

      Und jetzt ist er weg. So, wie ich es wollte. Eigentlich alles gut.

      Und dennoch …

      Ich gehe in das Bad und will mich für die Arbeit vorbereiten. Der Brief bleibt ungeöffnet auf dem Regal zurück.

      Kapitel 9

       Acht Monate später. (März 2011)

      Ich gehe über den Bahnsteig. Massen von Menschen mit Koffern und Reisetaschen laufen eilig umher. Sie alle eilen zu ihren Zügen, oder kommen von dort. Ich stehe am Bahnsteig und vergleiche die Zugnummer. 1606, Berlin – Warnemünde. Korrekt. Abfahrt 18:09. Korrekt. Das ist mein Zug.

      Suchend schreite ich die Schilder für die Wagennummern ab. Vor dem Waggon mit der Nummer einundzwanzig bleibe ich stehen. Das ist der Waggon, in den ich einsteigen muss. Die Türen der Wagen öffnen sich und die Ankommenden steigen aus. Erst danach drängeln sich die neuen Passagiere hinein.

      Ich habe eine Sitzplatzreservierung. Im dichten Gedrängel suche ich den Sitzplatz sechsundvierzig, der sich an einem Vierertisch befindet. An ihm sitzt bereits ein Reisender. Ein Mann Anfang dreißig, der mit Brille in einem Buch liest und jetzt bemerkt, dass ich hier sitzen werde. Er sieht zu mir auf und springt hoch.

      »Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragt er zuvorkommend und entfernt seine Brille. Das Buch landet auf dem Tisch und ich nicke dankbar. Ich lese neunzehnhundertvierundachtzig.

      »Ihr Koffer?«, fragt er und wieder bejahe ich. Dabei deute ich auf meinen Kehlkopf und er versteht, dass ich nicht sprechen kann.

      »Warten Sie, ich hebe ihn für Sie hinauf.«

      Wieder lächele ich ihn dankbar an und berühre ihn, damit er es sieht. Jetzt wird er verlegen und seine Wangen röten sich. Seine blaugrauen Augen mustern mich, als er sich setzt. Doch ich werde von weiteren Passagieren abgelenkt, die den Vierertisch erreichen.

      Eine ältere Dame mit einem kleinen blonden Jungen an der Hand steht am Gang.

      »Da sind wir Joris. Hier sitzen wir. Du hier und ich dort, dir gegenüber.« Die Frau deutet auf die beiden Sitzplätze, die sich am Gang befinden und lächelt uns an. »Sie müssen nicht getrennt sitzen!«

      Womöglich denkt sie, wir sind ein Paar, möchte freundlich sein. Ihre Augen sind klar und rein wie ein Bergsee. Außerordentlich selten in diesem Alter. Trotz ihrer weißen Haare sieht sie frisch wie der Frühling aus und scheint Energie für zwei zu besitzen.

      »Wissen Sie, wir sind kein Paar. Danke, also nur, wenn Sie neben ihrem Enkel sitzen möchten«, geht der Mann mit glühenden Wangen auf ihr Angebot ein.

      »Oh. Nein. Ist mir schon recht. Komm, setz dich Joris!«

      Joris sieht sich aufgeregt um. In der Zwischenzeit verstaut seine Oma die Jacken. Sie schiebt den Koffer unter den Tisch und plumpst zufrieden mir schräg gegenüber in den Sitzplatz.

      Ich lehne mich bequem zurück, lege meinen Zopf nach vorne und lächele ihr freundlich zu. Sie erwidert und ich mache ihr ein Zeichen, damit sie versteht, dass ich leider keine akustische Konversation mit ihr führen kann. Nicht, dass sie denkt, ich sei unhöflich.

      Sie ist etwa sechzig, hat schöne mittellange, weiße Haare und ein sehr bezauberndes Lächeln. Sie ist mir sympathisch.

      Jeder am Tisch beginnt die Reise auf seine Art und nach seinen Vorlieben vorzubereiten. Ich krame mein Handy mit Kopfhörer aus meiner Tasche, stöpsele sie mir in mein Ohr und höre leise Musik. Danach sehe ich aus dem Fenster. Auf dem Bahnsteig tummeln sich jetzt die Winker, die teils mit feuchten Augen ihre Lieben verabschieden. Der Zug rollt los.

      Der Mann gegenüber sieht immer wieder zu mir. Verstohlen blickt er über sein Buch. Wenn sich unsere Blicke treffen, schaut er verschämt weg oder lächelt zaghaft.

      Seit dem letzten Sommer sah ich in viele Augenpaare. Nie finde ich das, was ich in Yanicks Augen sah.

      Seitdem er fort ist, sind acht Monate vergangen. Es ist mittlerweile Frühling, aber es ist weit mehr, als nur die Augen, die ich vermisse. Es ist das Gefühl.

      Joris packt ein Malbuch, Stifte, und einen Teddy aus seinem Rucksack. Er erklärt Teddy, wo wir uns befinden. Seine Oma beobachtet ihn, hilft, wo nötig und beantwortet seine und Teddys Fragen geduldig. Ich verfolge ihr Gespräch, doch in Gedanken bin ich woanders. Wie so oft in letzter Zeit.

      Uta hat mir den Vorschlag gemacht für einige Wochen an die Ostsee zu verreisen. Sie hat für mich diese Verbindung herausgesucht, Fahrkarten gekauft und mir sogar geholfen, den Koffer zu packen. Uta treibt die Sorge um mich an. Das weiß ich sehr genau. Ich bin ihr dankbar, aber es ist mir unmöglich, mit ihr über das zu reden, was mich quält. Selbst, wenn ich es könnte. Wie soll ich es in Worte fassen?

      Sie hat seit dem Wochenende mit Yanick meine Veränderung erlebt. Ich habe abgenommen, lache kaum noch und manchmal erwischt sie mich, wie ich vor den Briefen stehe. Ich steh dann da und sehe sie an. Wenn ich Uta in meinem Augenwinkel bemerke, schleiche ich mich davon, weil ich keine lästigen Fragen hören will.

      Immer und immer wieder hat sie mich gefragt, was passiert ist. Sie wollte wissen warum ich die Briefe, die ich in regelmäßigen Abständen von Yanick erhalte, nicht öffne. Sie verstand nicht, warum ich sie nur mit leerem Blick anstarrte.

      Sie war überzeugt davon, dass er mir körperlich etwas angetan hatte. Unnachgiebig forderte sie die Wohnanschrift von ihm, weil er auf den Briefen keine hinterließ. Sie wollte zu ihm und drohte mir seine Adresse auch zur Not anders ausfindig zu machen. Darauf habe ich reagiert und ihr versichert, dass sie falsch lag.

      Dann probierte sie es mit Weinen und bat mich doch zu reden. Tja. Reden. Das geht seit jenem Sonntag in der Dusche nicht mehr.

      An guten Tagen und in geräuscharmer Umgebung, kann ich leise flüstern. Aber es ist enorm anstrengend und kratzend. Also lasse ich das. Husten geht gut. Sätze husten allerdings nicht. Nützt mir also nichts. Ich habe arg damit zu tun meine Gespräche schriftlich zu führen. Es nimmt viel Zeit in Anspruch. Gespräche mit mir sind sehr langsam, das Schreiben dauert seine Zeit.

      Ich habe zusammen mit sehr vielen Ärzten versucht, körperliche Ursachen zu finden. Trotz noch so vieler Untersuchungen, welche ich über mich ergehen ließ, gab es keine