Karina Förster

Spring!


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hatte, sondern wortwörtlich. Yanick sagt, auf welche Weise ich ihm wieder unter die Augen treten kann.

      Mit heilig meinte er Yan.

      Yanick nutzte das Wort heilig im Sinne von Verehrung eines hohen Gutes. Etwas Göttliches. Mir war sofort der weiße Schimmel aufgefallen. Yan war das Fünkchen.

      »Darum folgten keine Briefe auf den letzten, für ihn den Wichtigsten. Das Wichtigste in einer Rede kommt immer zum Schluss. Dort liegen seine Steine zur Orientierung, Uta! Er sagt: Komme mit Yan oder lass es! Nur mit Yan kann und darf ich ihm unter die Augen treten.«

      Er wollte, dass ich endlich kämpfe. Allein ist er machtlos und kämpft gegen Windmühlen. Seine Botschaft: Ich komme mit Yan oder ich werde ihn nicht wieder sehen. Darum auch keine weiteren Briefe.

      Und mit Yan werde ich ihm unter die Augen treten. Ich werde um Verzeihung für meine Fehler bitten. Ich kann es nicht ungeschehen mache. Aber besser.

      »Komm mit Yan oder lass es! Meine Wahl«, murmele ich und kenne den Preis, den er für seinen edlen Tropfen gezahlt hat.

      »Aber ja. Kein Groschenroman, wie? Von wegen!«, lacht Uta und strahlt über das ganze Gesicht.

      Ich sehe zu Yan, der auf ihren Arm munter sein Tuch wedelt und genüsslich gurrt. Bernsteinaugen sehen mich an. Dann verzieht er sein Gesicht und lächelt. Ich lächele zurück. Ja, er ist ein hohes Gut. Genau wie Liebe ein hohes Gut ist.

      » Er will uns beide. Unbedingt. Bis zu seinem Lebensende«, sinniere ich. Yanick hatte mir gegenüber nie einen Hehl aus seinem Wunsch gemacht. Dafür hatte er mit jeder Faser und allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gekämpft. Trotz Dornen und Pfähle, die ich in sein Herz gerammt habe. Rasend vor Liebe, seit er mich auf dem Steg tanzen sah.

      Jetzt lag unsere Zukunft in meinen Händen.

      »Welches Datum haben wir heute?«, frage ich Uta.

      Sie überlegt kurz und rechnet im Kopf. »Sonnabend. 07.07.2012.«

      »Yan?«, frage ich. Ein Feuer lodert in mir auf. »Wie wäre es, wenn wir bald zwei kleine Ausflüge machen?«

      »Grrrr«

      Ich lache. »Das dachte ich mir, dass du für jeden Spaß zu haben bist. Ganz die Mama.«

      Ich umarme die völlig überraschte Uta und küsse sie fröhlich ab, bis sie die Flucht ergreift.

      Einen Tag darauf gehe ich mit Yan auf den Friedhof, auf dem meine Familie begraben liegt. Zuerst besuche ich Großmutter und Großvater. Dann schlendere ich zu Mutters Grab.

      Es ist Jahre her, dass ich bei ihrem Grab stand. Zu lange her, um mich zu erinnern, wann es war. Jetzt stehe ich vor dem weißen Holzkreuz. Es ist ein Doppelkreuz mit einem zusätzlichen Schrägbalken.

      Eine dünne silberne Kette mit einem Medaillon hängt um das Holz gewickelt. Misstrauisch beäuge ich sie und trete näher. Ich öffne das Medaillon und erstarre. Es enthält zwei Fotos. Auf einem bin ich, als ich etwa fünf oder sechs bin. Auf dem anderen ist ein Mann abgebildet.

      Schnell sehe ich mich um. Ist das ein Scherz? Wenn ja, wer erlaubt sich den mit mir?

      Ich wickele die Kette ab und betrachte mir das Gesicht eingehender. Der abgebildete Mann ist ungefähr fünfzig. Das Foto ist ein neueres, es kann also nicht lange hier hängen.

      Ich frage mich, was das zu bedeuten hat. Die einzige logische Antwort ist unlogisch. Die Kette samt Anhänger wandert in meine Hosentasche. Zum nächsten Besuch werde ich etwas anbringen. Wenn ich den nicht ewig vor mir herschiebe, werde ich sicher bald wissen, wer sich mit mir einen Spaß erlaubt.

      Ich atme durch und konzentriere mich auf ihr Gesicht, das meinem so ähnelt. Es wird dadurch nie erblassen. Minutenlang blicke ich schweigend auf die Erde. Erst dann bin ich bereit mit ihr zu reden.

      »Mamotschka, das ist Yan, dein Enkel. Der Sohn von Yanick. Er war damals hier, erinnerst du dich? Ich habe dir von ihm erzählt und schrecklich geweint. Ich hoffe, du freust dich für mich, dass ich ihn gefunden habe. Wieder gefunden habe. Mama, ich danke dir, dass du es behütet hast, aber ich brauche es jetzt zurück.«

      Ich erzähle ihr von den vergangenen zwei Jahren und kehre mit einem Herzen nach Hause zurück, mit dem ich lieben kann. Endlich wieder. Damit werde ich den Mann lieben, den ich schon immer liebte.

      Kapitel 18

       16.07.2012

      Der Tag ist sonnig. Der Himmel ist blau, wolkenlos und kaum ein Lüftchen weht durch die Blätter an den Bäumen. Ein perfekter Tag für ein Geschenk.

      Es ist Montag. Der erste Tag der Woche und dem Mond gewidmet – dem Wandel. Und der ist auch in mir vollzogen.

      Die S-Bahn fährt in den Bahnhof ein und ich steige mit Yan aus. Wir sind in Berlin-Friedrichshagen angekommen. Ich trage Yan im Tragetuch. Er ist eingeschlafen und lehnt mit seinem Kopf auf meinem Brustbein.

      Auf dem Bahnsteig herrscht Hektik. Ich bin extra hinten eingestiegen, damit ich dem Gedrängel entgehe. Langsam gehe ich zu den unzähligen Stufen der S-Bahn-Haltestelle. Die Eiligen sind sicher schon in den Anbindebussen und Tramlinien eingestiegen. Ich habe Zeit und gönne sie mir.

      Die vielen Treppen steige ich hinab und komme auf der Bölschestraße, der Flaniermeile, an. Es sind haufenweise Menschen unterwegs und es ist laut. Nicht so laut wie sonst in Berlin, aber an der S-Bahn Haltestelle ist immer viel Trubel.

      Vor der Sonne geschützt, spaziere ich mit Yan im erfrischenden Schatten die Straße entlang. Er ist munter geworden und sieht sich um. Ich bleibe stehen und rede kurz mit ihm.

      Hier in Friedrichshagen herrscht eine sehr ruhige Atmosphäre. Der Ort wurde vom Preußenkönig angelegt. Er diente der Seidenraupenzucht, die jedoch erfolglos war. Das einstige Dörfchen ist jetzt ein gediegener Vorort von Berlin.

      Die mittelhohen Häuser stammen vornehmlich aus dem vorletzten Jahrhundert. Sie sind meist liebevoll restauriert. Hier wirkt alles wie in einer eigenen Stadt und ich weiß, dass sich die Friedrichshagener auch so fühlen. Hier ist Berlin, obwohl Berlin fern ist.

      Vor einem dieser restaurierten Häuser bleibe ich stehen. Die Fenster sind breit und bodentief. Über der Tür steht in unaufdringlicher Schrift: »BeiKai«.

      Kai hat Sinn für Humor und ich muss lächeln. Es ist Montag und da sind die Restaurants meist geschlossen. Wenn ich Kai hier nicht erreiche, gehe ich zum Hausboot. Durch ihn würde ich Yanick ausfindig machen können. Mein Herz klopft und ich drücke Yan an mich.

      »So, da sind wir. Bitte lass ihn nicht im Urlaub sein oder wer weiß, wo auf der Welt, sondern hier in Berlin«, bete ich leise mit den Lippen an Yans Kopf. Lichter sind hinter den Fenstern zu sehen. Yan quietscht und dreht aufgeregt seinen Kopf. Sicher spürt er meine Aufregung. Also los!

      »Wir sind bei einem Freund von Papa. Du wirst ihn mögen. Er kann uns helfen.«

      Einmal tief durchatmen und ich prüfe, ob die Tür zu öffnen geht. Geht sie und ich trete ein. Dezente Musik ist zu hören, aber Gäste sind keine zu sehen. Das Restaurant ist sehr elegant eingerichtet. Die Farben sind gedeckt und warm. Ganz Kai.

      Ich sehe einen Mann auf mich zuschreiten und warte, bis er bei mir angekommen ist. Es ist der Oberkellner. Höflich aber unaufdringlich mustert er mich. Seine Augen gleiten an mir hinunter. Als er vor mir steht, fragt er: »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

      Er wirkt für seinen Rang überhaupt nicht arrogant und sieht mich nicht abwertend an, obwohl ich nicht im Edelfummel vor ihm stehe.

      Da fällt es mir leicht, ihn ebenso freundlich anzulächeln. »Sehr gerne sogar. Ich bin auf der Suche nach Kai. Ist er heute hier greifbar?«

      »Sie sind Ella?«

      Ich nicke und wundere mich nicht, dass ich erwartet werde. Kai wäre zu schade für den Jahrmarkt.

      »Bitte