Karina Förster

Spring!


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bereits erkannt, dass ich für mehr zu verletzt war. Der Dorn. Er hatte meinen Dorn gefunden, als ich noch nicht einmal davon ahnte. Es quälte ihn, ohne, dass ich etwas davon bemerkt habe. Weil ich nichts bemerken wollte.

      Ich verstehe nun auch, was er in seinem Brief damit meinte, dass ihn all sein Mut verlassen hatte, obwohl ich immer nahe dran war den Dorn zu erkennen. Er hat versucht, mich bis auf das Äußerste zu provozieren, damit ich mich dazu hinreißen ließ, das zu sagen, was ich still und heimlich bereits erkannt hatte. Ich liebe ihn.

      Am letzten Abend in Warnemünde muss er so unsagbar verzweifelt gewesen sein, dass es zu der Situation in der Küche kam. Kommen musste. Und selbst dort hatte er mich nur auf etwas hinweisen wollen, mir helfen wollen. Ich sollte erkennen, dass wir füreinander geschaffen sind. Er wollte mir Mut machen. Damit ich springen konnte. Zu ihm.

      Er ahnte, wie tief der Dorn sich bei mir festgesetzt hatte. Er wusste, dass ich Angst davor habe noch einmal von ihm verletzt zu werden.

      Nur Sex.

      Und in Warnemünde wollte ich sogar ein Kind.

      Oh Gott! Wie viele Dornen habe ich ihm in der Zwischenzeit in seine Seele gerammt?

       Es sei die Ehre nach den Taten erwiesen.

      Uta taucht in meinem Gesichtsfeld auf. Sie hat sich auf einen Stuhl gesetzt und sieht mich fragend an, wartet geduldig, ob ich überhaupt etwas sagen will.

      »Nach unserem ersten Wochenende ließ ich ihn gehen. Mit sieben Jahren fühlte ich mich von ihm verletzt. Allein die Tatsache, dass er damals eine andere geküsst hatte, reichte mir als Grund. Ich habe es ihm nie verziehen, wollte vielleicht sogar Genugtuung dafür. Dann war da noch die Wette. Es war die zweite Kränkung von ihm, die ich erlebt habe. Uta, ich habe Angst wieder so verletzt zu werden. Nur diese Angst trieb mich an. Wie sollte ich ihm seine Liebesschwüre nach all dem glauben? Wie ein trotziges, kleines Kind habe ich nur meine Sicht gesehen. Ich habe nicht bemerkt, dass ich ihn damit verletze. Dass ich diejenige bin, die sich wie Frau von und zu Arschloch benimmt. Er hat nie auch nur ein Wort darüber verloren, wie sehr ich ihn damit verletzt haben muss. Stattdessen sucht er nach meiner Verletzung. Nach meiner Verletzung, Uta! Ich habe nie nach seinen gefragt. Ich habe immer nach Mister Perfekt gesucht und übersehen, dass ich ihn mit Yanick vor mir hatte.«

      Mir läuft die Nase und die Tränen rinnen in Strömen über die Wangen. Meine Augen fühlen sich geschwollen an. Tief im Herzen ahne ich, wie Yanick mit diesem Wissen geweint haben muss. Ich schluchze und beuge sich vorn über. Speichel läuft mir aus dem Mund und mein Gesicht ist zu einer Grimasse verzerrt.

      »Nie auch nur eine Sekunde lang! Uta! Warum will dieser Mensch mich immer noch und bittet mich zu ihm zu kommen? Ich bin so egoistisch. Ich lese seine Briefe nicht, stehle ihm ein Kind. Ich will nicht mit ihm zusammen sein, obwohl wir füreinander bestimmt sind. Und er? Er bittet mich zu sich und will ein Leben mit mir. Sag mir, wie kann er mich überhaupt nach all den Schmerzen, die ich ihm bereitet habe, immer noch lieben?«, schluchze ich laut und mein Körper zuckt. Mein Magen schmerzt und brennt.

      Uta reicht mir ein Taschentuch.

      »Das ist Liebe. Bedingungslose Liebe, die nichts fordert, außer lieben zu dürfen. Um seiner selbst willen. Ich habe dir versucht begreiflich zu machen, was du ihm antust. Euch antust. Aber du warst blind«, sagt sie leise und fährt liebevoll mit ihrer Hand über meinen Rücken.

      »Frau von und zu Arschloch!«, schniefe ich und es fröstelt mich.

      »Ja«, antwortet Uta bedrückt und ihr Blick schweift in weite Ferne. »Ich habe dich beobachtet und gemerkt, dass du ihn liebst. Was auch immer dich in der Vergangenheit gehindert hat, nicht mit ihn zusammen sein zu wollen. Entscheidend ist doch jetzt: Was willst du in Zukunft?«

      Ich denke über Utas Worte nach, doch ich mag vor lauter Scham nicht einmal daran zu denken. »Hilfst du mir jetzt dabei das Loch zu finden, in dem ich versinken kann? Ich bin so beschämt.«

      »Nein. Ich finde das viel zu aufwendig. Damit wäre deine Scham jedenfalls nicht verschwunden«, sagt sie mit leiser Stimme. Widerwillig muss ich mir eingestehen, dass Uta recht hat. Ich ziehe die Mundwinkel nach unten. Das wäre ja auch zu einfach und bequem.

      »Wie, selbst wenn ich wollte. Wie kann ich ihm je wieder unter die Augen treten? Nach all dem, was ich ihn angetan habe? Tut mir leid Yanick. Ach, und das ist übrigens dein Sohn.«

      Verzweifelt hebe ich meine Arme und lasse sie entmutigt sinken.

      Uta überlegt. »Warum nicht?«

      Ich verziehe mein Gesicht. »Uta. Überlege mal! Das hier ist doch kein Groschenroman.«

      »Das sagt er dir doch in seinem Brief. Warte, ich hole ihn schnell.« Uta läuft den Brief holen und kommt mit ihm in der Hand zurück, setzt sich wieder an den Tisch und überfliegt die Zeilen. »Da! Ich bitte dich nun Ella! Wenn dir ein ganz Kleines bisschen unserer Liebe heilig ist … Ein ganz kleines Fünkchen nur … Dann genügt es aus, um zu mir zu kommen .« Sie sieht mich an und ich nehme ihr den Brief aus der Hand, um selbst noch einmal zu lesen. »Er legt dir kleine Steine zur Orientierung hin, Ella.«

      Uta füllt zwei Teller und stellt sie auf den Tisch.

      »Ich lese nur, dass er doppelt moppelt – kleines Fünkchen? Ein weißer Schimmel, keine Steine, Uta.«

      »Mensch! Das meine ich nicht. Ich meine den gesamten Absatz. Lies!«, fordert sie mich auf und tippt auf den Abschnitt. Ich verstehe nicht, was sie meint, lege den Brief müde zur Seite und widme mich der Gemüsesuppe.

      »Ein kleiner Tipp?«, fragt Uta.

      Einmal zwinkern.

      »Ich weiß nicht, was er genau meint. Aber …«, sie holt bedeutungsvoll Luft und ich sehe sie gespannt an, »er legt dir kleine Steine zur Orientierung hin.«

      Das sagte sie schon. »Du meinst so wie bei Hänsel und Gretel? Das waren Brotkrumen und die wurden von den Vögeln gefressen.«

      »Gut. Wie du willst.« Uta isst mit erhobenen Augenbrauen die Suppe. Ich schiebe meinen Teller von mir und lege den Löffel ab. Das letzte, was ich jetzt mag, sind Rätsel.

      »Sag, was du weißt. Ich bin müde. Wenn du etwas siehst, was mir weiterhelfen könnte, sag es doch bitte einfach!«

      Uta setzt sich aufrecht hin. »Ich sagte dir: Er legt dir kleine Steine zur Orientierung hin. Aber ohne zu etwas zu sagen, wie: Tu dies, mach das! Er will, dass DU drauf kommst. Alles was ich weiß habe ich dir gesagt. Es muss irgendwo hier zwischen den Zeilen zu finden sein.« Sie greift zum Brief, hält ihn hoch und sieht mich eindringlich an. »Da es eure Beziehung ist, musst du die Steine erkennen, Ella. Nicht ich! Überlege also bitte, was er dir mit diesem Absatz sagen will!«

      »Okay, das ist doch schon mal ein Tipp. Warum sagst du das nicht gleich?«

      Uta löffelt weiter ihre Suppe und rollt mit ihren Augen. »Ich mochte dich mehr, als du nicht so viel geredet hast«, sagt sie leise, aber laut genug, dass ich es hören kann. Sie grinst. Ich werfe sofort mit einem Stück Brötchen.

      »Hier«, lache ich und rupfe ein neues Krümelchen ab. »Ein kleiner Stein zur Orientierung. Und hier, noch einer.«

      Uta lacht und wehrt die Brötchenkrümel ab, die ich auf sie abfeuere.

      Später schläft sie bei mir im Schlafzimmer. Ich hocke über den letzten Absatz und zermartere mir meinen Schädel. Schlafen kann ich sowieso noch nicht.

      Ich habe Uta gebeten zu bleiben, denn ich wollte heute nicht alleine sein. Sie sagte mir, dass sie so oder so nicht gegangen wäre.

      Am Küchentisch sitzend, lese ich immer und immer wieder den Absatz durch und folge Utas Tipp. Es war der letzte Brief von Yanick. Das musste einen Grund haben.

      Mit ich bitte dich Ella, verwies er auf das, was er von mir erwartet. Soweit klar. Dann redet er von etwas, dass auch mir an der Liebe zu ihm heilig sein sollte.

      Heilig …