Uwe Bekemann

Im Bann des Augenblicks


Скачать книгу

über die Freizeitgestaltung oder über einen Urlaub erzählt hat, kam nie etwas über andere Personen darin vor. Ich weiß nur, dass sie gestern irgendetwas vorhatte, denn sie hatte es eilig, in den Feierabend zu kommen. Dies war etwas ungewöhnlich. Aber das ist auch wirklich absolut alles, was ich erzählen kann.“

      „Gut, Frau Hemmersbach“, meinte Brauer nach einer kurzen Pause, während der er sich erneut über einen wortlosen Blickkontakt mit seinem Kollegen verständigt hatte, „das soll es für den Moment gewesen sein. Wenn wir doch noch Fragen an Sie haben sollten, melden wir uns wieder bei Ihnen. Vielen Dank zunächst!“

      „Wir würden nun gern den Schreibtisch der Frau Lange in Augenschein nehmen, wenn Sie gestatten“, wandte sich Brauer nun wieder an Dr. von Braunefeld.

      „Ja, natürlich gern, ich hole schnell den Schlüssel, den ich in meinem eigenen Schreibtisch verwahre“, gab der Angesprochene zurück.“

      Während sich Dr. von Braunefeld erhob und seinem Schreibtisch zustrebte, standen auch die beiden Polizisten und Frau Hemmersbach auf und gingen voraus ins Vorzimmer. Thiel begann sogleich die penibel aufgeräumte Arbeitsfläche des Tisches zu inspizieren. Er nahm einen offen auf der Oberfläche liegenden Tischkalender zur Hand, blätterte oberflächlich, aber zugleich konzentriert einige Seiten durch und wandte sich dann Dr. von Braunefeld zu, der soeben mit dem Schlüssel in der Hand wieder im Vorzimmer erschien.

      „Den Kalender würde ich gern zur Auswertung mitnehmen.“

      Dr. von Braunefeld hielt einen Moment inne, überlegte kurz und erteilte dann sein Einverständnis.

      „Ja, machen Sie nur. Frau Hemmersbach, kopieren Sie bitte zunächst die beschriebenen Seiten“, bat er seine Mitarbeiterin.

      „Dies wird nicht nötig sein“, wandte Thiel ein, der den Kalender offensichtlich nicht aus den Augen verlieren wollte. „Spätestens morgen am späten Vormittag erhalten Sie den Kalender zurück, oder Kopien davon. Es ist aber nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie einen Blick hinein werfen, um sich eventuelle eigene Termine zu notieren.“

      Leicht irritiert ob des Misstrauens, das der Polizist zu hegen schien, nahm Dr. von Braunefeld den Kalender aus dessen ihm entgegen gestreckten Hand, um ihn sogleich an Frau Hemmersbach weiter zu reichen.

      „Bitte nehmen Sie Platz, Frau Hemmersbach, und erledigen Sie das für mich!“

      Daraufhin machte er wenige Schritte hinter den Schreibtisch der Frau Lange, stützte vornüber gebeugt mit dem linken Arm seinen massigen Körper auf dem Schreibtisch ab, steckte den Schlüssel in das Schloss und entriegelte den Schreibtisch mit einem leichten Dreh. Ein ausgeklügelter Mechanismus sorgte dafür, dass alle Schubladen und Fächer des Schreibtisches über ein einziges Schloss ver- und entriegelt werden konnten.

      „Bitte sehr, meine Herren“, forderte er die Polizisten zum Tätigwerden auf, während er sich wieder aufrichtete. „Bedienen Sie sich!“

      Während Dr. von Braunefeld den Platz hinter dem Schreibtisch frei machte, beeilte sich Brauer, diesen einzunehmen. Sie begegneten sich exakt an der schmalsten Stelle des Durchgangs zwischen den Schreibtischen der Bürokräfte und zwängten sich aneinander vorbei.

      Brauer öffnete die oberste Schublade auf der linken Schreibtischseite.

      „Hier scheint Frau Lange ihre persönlichen Dinge aufbewahrt zu haben“, meinte er, nachdem er einen kurzen Blick hinein geworfen hatte. „Außer Kästchen mit Teebeuteln, einer Tasse und verschiedenen Hygieneartikeln sehe ich nichts.“

      Er schob die Schublade wieder zu, um sogleich die nächste zu öffnen, in der sich ebenso wie in den beiden darauf folgenden nichts außer dienstlichen Utensilien wie Vordrucken, Druckerbedarf, Diktiergerät mit Kassetten, Disketten und CD-ROMs befanden.

      „Die Inhalte der Datenträger, die hier am Arbeitsplatz eingesetzt worden sind, sollten wir auswerten, aber ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass sie uns Anhaltspunkte für die Aufklärung des Falles bieten“, meinte Brauer, wobei er Dr. von Braunefeld kurz ins Gesicht sah. „Aber vielleicht haben wir mit den Schubladen auf der anderen Schreibtischseite mehr Glück.“

      Die von Brauer nun ins Visier genommenen Schubladen waren offensichtlich tiefer, weshalb nur drei statt deren vier auf der anderen Seite Platz gefunden hatten. Brauer zog die oberste Schublade auf und sah sogleich etwas, was sein Interesse erweckte, denn er legte den Kopf schräg, offensichtlich um etwas besser lesen zu können, und las dann, während er in die Schublade griff und einen großformatigen und dicken Umschlag heraus nahm, laut vor: „An die Submissionsstelle der Stadt Dortmund, Angebotsunterlagen der Firma,“ er zog das A in Firma in die Länge, während er den Umschlag drehte und die Absenderangabe auf der Rückseite las, „Dobau für den Bau der,“ wiederum zögerte er, drehte den Umschlag zurück auf die Vorderseite, stellte den Kopf schräg und richtete sein Augenmerk auf einen Stempelaufdruck am linken unteren Rand des Umschlags, „Stadthalle Dortmund. Der Eingangsvermerk weist den 18.9., also den vorgestrigen Dienstag, als Abgabedatum aus.“

      Dr. von Braunefeld war seine Überraschung deutlich anzumerken.

      „Moment, Moment, Moment“, bot er dem Polizisten Einhalt, wobei er das dritte Moment lang dehnte. „Zeigen Sie mal bitte her“, forderte er ihn mit ausgestrecktem Arm zur Übergabe des Umschlags auf. Als er ihn erhalten hatte, drehte er den Umschlag ungläubig in den Händen hin und her.

      „Sie haben Recht“, meinte er dann. „Es handelt sich tatsächlich um Angebotsunterlagen zum Stadthallenbau. Ich kann es kaum glauben. Die Unterlagen müssten jetzt eigentlich schon längst in der Submissionsstelle vorliegen. Die Eröffnungsverhandlung war bereits gestern. Dieses Angebot der Firma Dobau kann dabei kaum berücksichtigt worden sein, obwohl es offenbar rechtzeitig bei der Stadt Dortmund eingereicht worden ist. Das darf doch wohl nicht wahr sein!“

      „Entschuldigen Sie bitte eine Nachfrage!“, meldete sich Thiel zu Wort. „Mir sind diese Begriffe nicht so recht geläufig. Was bitte ist eine Submissionsstelle und was ist eine Eröffnungsverhandlung?“

      Dr. von Braunefeld zögerte einen Moment und senkte den Kopf dann so weit, dass sein Kinn den Oberkörper berührte. Er überlegte, wie er die Zusammenhänge erklären konnte. Sodann holte er tief Luft und begann: „Eine Submission ist ein Verfahrensschritt bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in einem Ausschreibungsverfahren. Eingegangene Angebote der verschiedenen Bieter werden zunächst verschlossen verwahrt, bis die Frist zur Angebotsabgabe abgelaufen ist. Dann werden zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Angebote geöffnet, und zwar in der Submissionsstelle. Diese ist bei der Stadt Dortmund im Bauamt eingerichtet. Der Begriff der Submission bezeichnet die Eröffnung der Angebote. Diese Eröffnung der Angebote erfolgt in der so genannten Eröffnungsverhandlung, bei der zunächst festgestellt wird, ob die Angebote ordentlich verschlossen und äußerlich gekennzeichnet sind, und ob sie fristgemäß eingegangen sind. Dann werden sie eröffnet. Diese Vorgänge werden protokolliert, und zwar in einer Niederschrift, in der dann auch weitere Angaben zu den eingegangenen Angeboten festgehalten werden.“

      „Verstehe ich es richtig, dass dieses Angebot der Firma Dobau nicht zur Eröffnungsverhandlung vorgelegen hat und deshalb die Firma den Auftrag nicht bekommen kann?“, fragte Thiel nach.

      „Grundsätzlich ja, hier aber wahrscheinlich nicht“, gab Dr. von Braunefeld zurück. „Ausweislich des Eingangsdatums vom 18.9., also am Tage des Fristablaufs, hat das Angebot rechtzeitig vorgelegen. Der Sachverhalt wird noch weiter zu prüfen sein, aber es dürfte wohl darauf hinauslaufen, dass es noch in die Wertung einbezogen werden muss.“

      „Der Auftrag über den Bau der Stadthalle ist noch nicht erteilt?“, fragte Brauer nach.

      „Nein“, gab Dr. von Braunefeld zurück. „So schnell geht das nicht. Nach der Öffnung und Prüfung der Angebote erfolgt erst die Wertung und später erst der Zuschlag. So weit sind wir in diesem Verfahren, wie schon gesagt, längst noch nicht.“

      „Welche Erklärung mag es dafür geben, dass der Umschlag im Schreibtisch der Frau Lange lag?“, richtete Brauer seine nächste Frage an den städtischen Beigeordneten, der diese jedoch an Frau Hemmersbach weitergab.

      „Ich habe keine Erklärung dafür. Wie sieht es mit Ihnen aus, Frau Hemmersbach?“

      Die