Hans J. Unsoeld

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x. Dies ist die Schreibweise der Schulmathematik. Die Formel besagt, dass die Werte in der y-Dimension in einer bestimmten, durch die Funktion beschriebenen Weise von den Werten in der x-Dimension abhängen, was auch immer diese Dimensionen bedeuten mögen (z.B. zwei Koordinaten auf einer Fläche).

      Der allgemeine mathematische Ausdruck einer solchen Beschreibung, der auch nichtlineare Abhängigkeiten umfasst, ist ein Polynom etwa folgender Art:

      x = c0 + c1 * f(x1) + . . . + fn(xn) + . . .

      wird damit sofort verständlich, wobei die c-Werte Konstanten, die f-Werte Funktionen und die x-Werte Einheiten in den jeweiligen Dimensionen 0,1,2, . . . k, . . . sind. Diese Werte gelten jeweils innerhalb eines gewissen Bereichs, in dem ein System definiert ist. Je geordneter ein solches System ist, umso besser lässt sich auf diese Weise etwas beschreiben. Wesentlich ist hierbei das Denken in Dimensionen. Das Verhalten einer Größe in einer bestimmten Dimension wird als Summe verschiedener Abhängigkeiten von Größen in anderen Dimensionen hergeleitet.

      Dies ist die bei uns traditionelle Art der naturwissenschaftlichen Beschreibung, die große technische Erfolge hervorgebracht hat. Erst relativ spät wurde erkannt, dass auch eine prinzipiell andere Art der Beschreibung existiert, die zu der bisherigen quasi komplementär ist. Diese basiert auf den 1975 von dem französischen Mathematiker Benoit Mandelbrot entdeckten sogenannten Fraktalen (schon früher waren die sogenannten Julia-Mengen bekannt). Hierbei wird ein Zustand eines Systems durch seine Abhängigkeit von einem früheren Zustand des Systems beschrieben, also in einem einfachen Fall etwa durch einen Ausdruck der Form:

      xn = c * f(xn - 1)+ d

      wobei c und d Konstanten sind. Eine Größe in einem bestimmten Zustand (n) wird also durch ihre Abhängigkeit von dieser Größe in einem früheren Zustand (n-1) beschrieben.

      Es zeigt sich, dass diese neue Art der Beschreibung für stark geordnete Systeme wenig geeignet ist, dafür aber umso besser für chaotische Systeme. Ansonsten sind aber beide Arten der Beschreibung gleichwertig, obwohl die Handhabung sehr verschieden ist. Dahinter steckt die ganz wichtige Erkenntnis, dass Ordnung und Chaos gleichwertig sind, dass Chaos also nicht von vorne herein als etwas negatives angesehen werden muss.

      Während man Funktionen oft noch relativ einfach mit Schulmethoden berechnen kann, lassen sich Fraktale praktisch nur mit Computern auswerten. Das erklärt wahrscheinlich, dass sie erst so spät entdeckt und in ihrer enormen Bedeutung erkannt worden sind.

      Als erste haben sich die Computergrafiker quasi auf sie gestürzt und sie mit den bunten Bildern der humorvoll Apfelmännchen genannten Figuren bekannt gemacht. Diese Figuren existieren in unendlich vielen Variationen. Stundenlang kann man auf den Bildschirmen von heute unglaublich schnell rechnenden Computern immer wieder neue Gebilde entstehen sehen, wobei laufend eine bestimmte Formel erneut durchgerechnet wird. Typisch ist bei dieser Iteration der Anfang, - eine im Inneren des Bildes liegende apfelförmige, meist schwarz dargestellte Fläche, von der man weiß, dass sie den geordneten Bereich darstellt. Um sie herum entstehen mit zunehmender Rechendauer immer neue bunt dargestellte Figuren von einer geheimnisvoll anmutenden, oft bizarren Schönheit. - ohne Ende, - welche den zunehmenden Übergang zum Chaos darstellen. Jedem Generationswechsel entspricht dabei ein Farbwechsel.

      Ein wesentliches Charakteristikum lässt sich in ihnen entdecken. Diese Figuren zeigen in Teilbereichen nach weiterer Durchrechnung (einige Generationen weiter) verblüffende Ähnlichkeiten mit sich selbst. Diese Selbstähnlichkeit scheint bei Iterationen im Bereich des Chaos eine ähnliche Rolle zu spielen wie Proportionen bei Funktionen im Bereich der Ordnung. Dies muss nicht selbst ein Element von „Ordnung“ im Bereich des Chaos bedeuten (die Anführungszeichen sollen klar machen, dass auch dieser grundlegende Begriff einer genauen Definition und Bestimmung seines Gültigkeitsbereichs bedarf und hier vielleicht gar nicht verwendet werden sollte), sondern hat eher wie der Begriff Proportionen mit dem Begriff Schönheit zu tun.

      Als erste verwendeten also Grafiker die Fraktale, wobei die Kreationen von errechneten Landschaften besonderes Aufsehen erregten. Bald folgten, wenn auch mit weniger Publizität, Musiker und schufen entsprechende fraktale Kompositionen.

      Auffällig ist, dass im Bereich der Fraktale zunächst die Synthese im Vordergrund stand und analytische Ansätze erst später folgten, während man im Bereich der Funktionen eher umgekehrt voran geschritten war.

      Ein wichtiger weiterer Schritt ergab sich durch die Zuordnung von „Dimensionen“ zu fraktalen Darstellungen (für die Anführungszeichen gilt auch hier das oben gesagte). Dabei zeigte sich, dass sich nicht, wie sonst gewöhnlich, nur ganzzahlige Werte ergeben, sondern im allgemeinen Kommawerte und zwar vorwiegend im Bereich zwischen 2 und 3. Je näher die Dimension noch bei 2 liegt, umso weicher und geglätteter kommt uns die fraktale Struktur vor (sei es Grafik oder Musik oder die fraktale Analyse einer Struktur), während bei Annäherung an 3 die Struktur immer härter und schroffer erscheint. Gibt man bei der Synthese von fraktalen Strukturen den genauen Wert der Dimension vor, so kann man damit bestimmen, wie sie erscheint: weicher und glatter oder härter und schroffer.

      Stellen wir uns nun ein System von irgendetwas vor, das einen wählbaren Grad von Zufälligkeit haben soll. Zum Beispiel könnten dies irgendwelche Gebilde aus verschieden großen bunten Bauklötzen sein. Wir wollen uns fragen, welchen Grad von Komplexität dieses System bei verschieden großer Zufälligkeit hat. Um bei unseren Bauklötzen zu bleiben: ein völlig geordnetes System wäre ein sorgfältig zusammengesetzter gleichseitiger Würfel, bei dem sich auf jeder Seite Klötze einer bestimmten Farbe befinden, während ein völlig ungeordnetes, also maximal zufälliges System die beliebig durcheinander wirbelnden herum fliegenden Klötze wären.

      Es ergibt sich, wenn wir bei niedriger Zufälligkeit (also bei geordneten Zuständen) beginnen, ein kontinuierlicher Anstieg der Komplexität bis zu einem bestimmten Wert im mittleren Bereich, während bei weiterer Zunahme ( je weiter wir ins Chaos vordringen) die Komplexität wieder abnimmt.

      In ihrem Maximalbereich wird die Komplexität sehr groß. Auf der einen Seite der von diesem Maximum gebildeten Grenze - im Land der Ordnung - lassen sich die Strukturen besser mit Funktionen beschreiben, während sie sich auf der anderen Seite dieser Grenze - im Land des Chaos - einfacher mit Fraktalen darstellen lassen. Analysiert man bedeutende künstlerische Schöpfungen, insbesondere musikalische, so zeigt sich interessanterweise, dass sie genau in diesem Grenzbereich angesiedelt sind.

      Als Beispiel für eine praktische Anwendung von fraktalen Zerlegungen kann die damit mögliche Verringerung der Zahl der zu übertragenen Werte bei einer Bildübertragung dienen. Bilder lassen sich meist mit viel weniger fraktalen Koeffizienten wiedergeben, als es einer Zerlegung in Bildpunkte entsprechen würde, welche zum Beispiel bei der Fernsehübertragung durchgeführt wird. Fraktale können also zur Komprimierung von Bildern sehr nützlich sein, - eine Technik, die noch ganz in den Anfangsschuhen steckt (einzelne Bildpunkte, zum Beispiel i-Punkte, werden dabei selbstverständlich nicht mit übertragen).

      Dieses Beispiel mag uns eine Ahnung davon geben, welche enorme Bedeutung die Fraktale haben. Doch ist es wieder ein typisch „westliches“ Beispiel, und damit kommen wir zu unserem Ausgangspunkt zurück: der offensichtlichen Existenz von zwei diametral verschiedenen Kulturtypen im Osten und im Westen mit all ihren auch religiösen und künstlerischen Ausprägungen.

      Denn viel wichtiger scheint etwas grundsätzlich anderes zu sein: nämlich das Denken und Empfinden in Iterationen. Und genau das ist ja einer der wesentlichsten, wenn nicht überhaupt DER zentrale Punkt der östlichen Kulturen

      So drängt sich als Erkenntnis das Gefühl auf, dass den westlichen Kulturen im wesentlichen das geordnete Denken innewohnt, in welchem Punkt, Linie und Proportion zentrale Begriffe sind (auch im übertragenen Sinne als „Standpunkt“ oder „Entwicklungslinie“), während für östliche Kulturen das chaotische Denken charakteristisch ist, in welchem Mischung, Fluss und Selbstähnlichkeit (anders benannte) zentrale Begriffe sind.

      Als erstes muss an dieser Stelle ganz deutlich unterstrichen werden, das damit keinerlei Wertung verbunden ist. Die westliche Kultur hat inzwischen total verinnerlicht, dass Ordnung mehr wert sei als Chaos. Mit dieser Idee müssen wir gründlich aufräumen. Ordnung und Chaos sind einfach zwei Extreme im Zustand unserer Natur.