Martin J. Fredrikson

Tödliche Habsucht


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sie zu guter Letzt im Begriff waren, sich dem Obst zuzuwenden, horchten sie erstaunt auf: Es hatte an der Tür geklopft. Noch bevor Thurid sich erheben konnte, um sie zu öffnen, wurde sie weit aufgerissen: Asleif Gellisson stand auf der Schwelle. »Hei, Thorfinn Erikson, wie ist es denn? Ich hoffe ich störe nicht?«

      »Hei, Asleif. Was treibt Euch denn in mein bescheidenes Heim? Tretet ruhig näher. Habt Ihr schon gegessen, ich habe den Eindruck, Ihr seid etwas bleich um die Nase.«

      »Ja, … nein, … es spielt keine Rolle. Der Jarl schickt mich, weil etwas … Außergewöhnliches geschehen ist. Er bittet Euch um Hilfe, allein … es ist streng vertraulich, bei Balder, streng vertraulich.« Argwöhnisch nahm er die zwei Personen in Augenschein, welche Thorfinn zur Seite saßen.

      Der Hausherr erriet Asleifs Gedanken und erhob sich entschuldigend: »Ich denke, ich stelle euch erst mal einander vor. Diese wohlproportionierte Frau hier ist Thurid, meine Haushälterin, derweil der edle Herr zu meiner Linken mein Nachbar Asgaut Gatisson ist, langjähriges Mitglied der Birkuner Kaufmannszunft, und jener dort«, hierbei wies er auf den Neuankömmling, »ist der Schreiber vom Blaufuchs, Asleif Gellisson. Ihr kennt euch nicht?«

      »Nun«, Asleif kam Thorfinns Nachbarn zuvor, »gesehen haben wir uns schon, gleichwohl nie miteinander gesprochen, nie gesprochen.«

      Asgaut nickte zustimmend und Thorfinn lud Asleif mit einer Handbewegung ein, sich ihnen gegenüber auf einen Hocker zu setzen. »Kommt, wir haben durchaus genügend an Speise übrig, so dass es wohl reichen mag, auch Euren Wanst noch zu sättigen. Nehmt zuvor ein Horn Bier, Ihr könnt mir glauben, es ist das beste Gerstenbräu, das Ihr in ganz Birkuna finden könnt.«

      »Ich danke Euch, Thorfinn«, sagte Asleif und nahm alsdann aus Thurids Händen den Trunk entgegen. Erst jetzt bemerkte er, dass er tatsächlich durstig war. »Allein Jarl Harald gab Order, dass außer Euch niemand von der Begebenheit erfahren darf. Ich weiß wirklich nicht …«

      »Kommt schon, Asleif, da Euch der Blaufuchs zu mir geschickt hat, nehme ich es selbstredend auf meine Kappe. Vor Thurid gibt es in diesem Haus eh kein Geheimnis – was ich weiß, das weiß auch sie, da bedarf es gar keiner langen Überlegungen! Und was meinen Nachbarn anbetrifft: so gehört er zu den reichsten Kaufleuten der Stadt und genießt überall hohes Ansehen. Ich bin überzeugt, dass er Schweigen wird wie ein Grab, sollte er feststellen, dass ihn diese Geschichte nichts angeht. Habe ich nicht recht, Gatisson?«

      »Bei Heimdall! Selbstverständlich!«, erwiderte dieser, derweil sich seine Wangen rosig färbten und die kleinen Äuglein vor Neugierde funkelten. »Als Geschäftsmann ist man schnell auf verlorenem Posten, wenn man Geheimnisse nicht für sich behalten kann. Insofern dürft Ihr mir also ruhig vertrauen. Erzählt unbesorgt, was Euch bedrückt, Schreiber.«

      Asleif, dessen Stimmung sich dank des guten Essens und des wahrlich süffigen Bieres deutlich gehoben hatte, überlegte noch eine Weile das Für und Wider, doch schließlich gab er nach. »Also gut, unter Umständen können wir jede Hilfe gebrauchen, jede Hilfe. Der Gode ist nämlich verschwunden, bei Balder!«

      Thorfinn und Thurid sahen sich erstaunt an, während Asgaut echote: »Der Gode ist verschwunden? Was hat das zu bedeuten?«

      In aller Ausführlichkeit erzählte Asleif alsdann vom Verschwinden sowohl Teits als auch des Vertrages. Als er beschrieb, wie er vor den entsetzten Augen Jarl Haralds das Kreuz aufgedeckt hatte, sprang Asgaut bestürzt auf. »Bei Heimdall! Was sagt Ihr da? Der Gode ist ein Chrisse? Das ist ja entsetzlich! Das heißt ja Verrat an den Göttern. Dafür werden sie uns zerschmettern und der Midgard-Schlange zum Fraß vorwerfen! Wie soll es uns nur gelingen, dem Einhalt zu gebieten?« Fassungslos schritt er hin und her. »Wenn ich bedenke, dass er uns jahrelang nur was vorgespielt hat! Entsetzlich, wir … ich hab’s, es gibt nur eine Möglichkeit. Wir müssen den Goden finden und dann machen wir es wie Generationen von Skandländern es zuvor gemacht haben: wir opfern ihn den Göttern!«

      »Jetzt beruhigt Euch doch erst mal, Gatisson«, rief Thorfinn, dem das Gerenne auf die Nerven ging, »es gilt mit dem Kopf zu denken, nicht mit den Füßen.«

      Asgaut hielt verblüfft inne, setzte sich dann jedoch umgehend wieder auf seinen Platz. Es schien, als habe er erst durch Thorfinns Anrufung bemerkt, dass er sich erhoben hatte.

      »Und auf Geheiß von Jarl Harald durchsuchen seine Mannen just in diesem Augenblick das Chrissenviertel«, schloss Asleif seine Ausführungen.

      »Ein durchaus naheliegender Gedanke«, bestätigte Thorfinn, »doch was genau steht denn überhaupt drin, in diesem Vertrag?«

       »Nun, das kann ich Euch leider nicht sagen, denn Jarl Harald hat mir ganz bewusst keine Einzelheiten verraten. Er ist nämlich der Meinung, es sei nach wie vor nicht auszuschließen, dass der Gode lediglich aus einem nichtigen Grund verhindert ist. In diesem Fall wäre das Geheimnis weiterhin bewahrt, gut bewahrt.«

      »Ich stimme diesbezüglich mit dem Blaufuchs überein, Asleif«, bekräftigte Thorfinn. »Was jemand nicht weiß, kann er auch nicht verraten. So weit, so gut. Doch was habe ich damit zu tun? Ihr erwähntet am Anfang, dass Jarl Harald um meine Hilfe ersucht. Was genau erwartet er da von mir?«

      »Ihr sollt Erkundigungen über und vor allem bei den hier ansässigen Chrissen einziehen«, übermittelte Asleif den Wunsch des Ohms. »Wie lange sie sich bereits in Birkuna aufhalten, was sie in den letzten Wochen hier gemacht haben und auch mit welcherlei Waren sie so handeln. Derartige Auskünfte halt. Womöglich könnt Ihr sie durch Eure Nachforschungen ganz nebenbei zu Unvorsichtigkeiten provozieren, zu kleinen Unvorsichtigkeiten. Jarl Harald ließ durchblicken, dass ihr mit einigen Chrissen gut bekannt seid?«

      »Nun, so würde ich das nicht gerade ausdrücken. Gleichwohl ist es ein Fakt, dass ich mit dem einen oder anderen unter ihnen durchaus schon Handel getrieben habe. Ein Geschäft übrigens, das die meisten meiner Kollegen kategorisch ablehnen. Insofern bin ich, da stimme ich dem Blaufuchs zu, gewiss nicht die schlechteste Wahl. Richtet ihm aus, dass ich mein Bestes versuchen werde, bei Tyr! Indes will sich mir nicht recht erschließen, weshalb ich noch Erkundigungen einziehen soll, wenn das Chrissenviertel von den Mannen Jarl Haralds doch in eben diesem Moment bereits durchsucht wird?«

      »Na ja, es ist ja noch lange nicht gesagt, dass die Mannen es auch wirklich finden«, entgegnete Asleif. »Das Dokument könnte zum Beispiel woanders versteckt worden sein, die Chrissen könnten es einem Gewährsmann übergeben haben oder sind womöglich schon längst aus der Stadt geflohen.«

      »Und in diesem Fall ist der Gode, dieser elende Verräter, mitsamt den Chrissen auf der Flucht«, ergänzte Asgaut.

      »Auch das wäre gut möglich, auch das.«

      Asgaut zog die Augenbrauen hoch. »Weswegen, mein lieber Schreiber, wiederholt Er eigentlich immer alles? Hält Er uns für so blöd, dass wir es mit einem Mal nicht verstehen würden?«

      Asleif zog die Stirn in Falten. »Wie kommt Ihr darauf, dass ich mich dauernd …« Weiter kam er nicht, denn abermals wurde die Tür aufgestoßen und herein trat Ari.

      »Mor’n zusammen. Hier steckst’e also, Asleif. Wer hätte dat gedacht? Sitzt bei die Kaufleutens un’ schlägt sich die Wampe voll.« Er grüßte die Anwesenden mit einem knappen Nicken.

      »Sei still, Ari, was willst du?«

      »Der Jarl schickt mir natürlich, wat sonst? Ick soll dich ausricht’n, dass wir bei die Chrissen nix nich gefunden hab’n. Un’ et hat sich auch keiner von den’n nich verdrückt. Et sind noch alle da. Un’ die Jungs von’en Toren un’ von Hafen hab’n gemeldet, dass nich ein Chrisse die Stadt verlassen hat un’ auch die Gode nich. Nur ’n paar Jägers hab’n die Tore durchschritt’n, aber die hatt’n nur Waffen un’ Verpflegung bei. Jedenfalls sind die Tore nu’ dicht un’ keinen nich kann et gelingen, wat rauszuschmuggeln. Dat sollt’ ick dich erzählen un’ nun geh ick wieder, bei Thor.«

      Asleif rief noch: »Danke, Ari.« Doch der war schon wieder entschwunden.

      Thorfinn fasste sich als Erster: »Bei Tyr! Da die Chrissen das Dokument offensichtlich nicht haben und Teit nach wie vor in der Stadt ist, wird er wohl doch einem