Martin J. Fredrikson

Tödliche Habsucht


Скачать книгу

warst. Auch über den Kasten sowie dessen Inhalt erzählst du nichts, hörst du, Ari? Und im Falle dass dich einer fragen sollte, was du in meiner Kammer gemacht hast, so sagst du, dass ich dir einen Botengang aufgetragen hätte, klar?«

      »Alles klar, Asleif! Ick hab dir verstanden. Über meine Lippen soll kein Sterbenswörtchen nich komm’n nich! Du kanns’ dich voll auf mir verlassen. Ick troll mir dann jetzt mal lieber. Mach’s gut, Asleif.«

      »Ja, mach’s gut Ari, mach’s gut.« Noch ehe der drahtige Bote die Kammer verlassen hatte, war Asleif bereits wieder in die Tiefe seiner Gedanken versunken. Zu seinem Leidwesen handelte es sich um ausnehmend düstere Gedanken, dessen Stränge sich zu verschachteln und zu verknoten drohten, führten sie doch beständig zu immer demselben erschütternden Ergebnis: der Gode musste ein falsches Spiel treiben.

      Fest stand: Teit hat eine Pergamentrolle in die Schatulle gelegt und eine weitere in seinen Umhang gestopft, woraus sich schlussfolgern ließ, dass er, alldieweil das Kästchen des Sassirab ja lediglich leere Blätter aufwies, nach wie vor im Besitz des Vertrages sein musste!

      Wie aber konnte es dazu kommen? Sollte der Gode heute früh etwa einen Fehlgriff getan haben? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht, stellte Asleif fest, denn Teit war von Haus aus kein schusseliger Mensch und darüber hinaus bekannt dafür, dass er sich wichtigen Angelegenheiten mit einer nahezu übertriebenen Gewissenhaftigkeit widmete. Aber wenn es kein Versehen war, blieb nur noch Absicht! Doch was bezweckte er damit? Welchen Nutzen könnte er aus dem Besitz des Vertrages ziehen? Wo befand er sich jetzt überhaupt? Fragen über Fragen, die Asleif nicht zu beantworten wusste, zumal sein soeben gezogener Schluss mit der Tatsache, dass es zwischen dem Goden und Jarl Harald bis zum heutigen Tage nicht ein einziges Mal Unstimmigkeiten gegeben hatte, nicht im geringsten in Einklang zu bringen war. Nun, womöglich fand der Ohm eine Erklärung.

      Asleif schlüpfte noch rasch in ein Paar Beinlinge aus Leinen – es war unterdessen doch merklich kühler geworden – und machte sich unverzüglich auf den Weg in die Jarlshalle.

      Dort saß Harald Blaufuchs indessen mit verklärtem Blick auf seinem Thron und blies Trübsal. Womit habe ich das nur verdient, fragte er sich wieder und wieder. Womit habe ich das verdient? Vor über zwei Jahren, sinnierte er, habe ich Kontakt mit den Sassirab aufgenommen, um ihnen meinen richtungweisenden Vorschlag zu unterbreiten. Seither sind auf mondelangen Reisen mehr als ein halbes Dutzend Briefe hin und hergegangen, bis schließlich das gemeinsame Vorhaben zu einem für beide Seiten befriedigenden Abschluss gebracht worden ist! Heute endlich sollte der Vertrag in Kraft treten – es fehlten lediglich Siegel und Unterschrift von ibn Fadin. Allein was geschieht stattdessen? Der Vertrag verschwindet! Löst sich stillschweigend in Luft auf! Bei allen Asen, womit habe ich das verdient?

      Als er sah, wie sein Schreiber die Halle betrat, sprang der Jarl auf und schritt ihm ungeduldig entgegen. »Hast du den Vertrag gefunden? Wo ist der Gode?«

      Asleif schüttelte bedauernd den Kopf und berichtete, was er so alles in Erfahrung hatte bringen können und welch entsetzlichen Verdacht er inzwischen hegte.

      Derweil Asleif seine Ansicht zu begründen versuchte, blitzten Jarl Haralds Augen mehrmals gefährlich auf. Nachdem sein Schreiber geendet hatte, sprach er sodann mit gepresster Stimme: »Beim Schädel! Da haben zweifellos die Chrissen ihre Finger im Spiel. Du musst nämlich wissen, dass sie infolge unseres Handels mit den Sassirab Schaden erleiden werden, und zwar gravierenden Schaden. Was ich indessen überhaupt nicht begreife ist, auf welche Weise es ihnen gelungen sein mag, von unserem Vertrag Kenntnis zu erlangen. Durch den Goden etwa? Das wäre Verrat, Hochverrat!

      Nein, Asleif, nach all den treuen Diensten, die er mir stets geleistet hat, kann ich unmöglich glauben, dass Teit mich hintergangen hat. Trotz deines – zugegebenermaßen – plausiblen Verdachts, gehe ich weiterhin davon aus, dass er die Rollen irrtümlich vertauscht hat.

      Und auch für sein angebliches Verschwinden wird es einen Grund geben: womöglich fühlte er Schmerzen und hat einen Heiler aufgesucht oder er hat sich in irgendeine dunkle Ecke verkrochen, um seinen Kater aus dem Hirn zu kriegen, was weiß denn ich? Du wirst sehen, es wird sich im Nachhinein alles aufklären. Beim Schädel, bestimmt sitzt er schon wieder behaglich in seiner Amtsstube oder sieht im Tempel nach dem Rechten. Asleif, tu mir den Gefallen, versuch noch einmal, ihn zu finden.«

      »Ja, Ohm, wie Ihr meint«, willigte Asleif ein. Doch ungeachtet seiner Zustimmung war er fest davon überzeugt, den Goden nie wiederzusehen. Für ihn stand völlig Außerfrage, dass Teit, genau wie vorhin Thors Wolkenheer, längst auf und davon war.

      Als Asleif das Langhaus verließ, warf er rasch einen Blick empor zum mittlerweile wieder strahlend blauen Himmel. Die Sonne näherte sich allmählich ihrem Zenit und es verblieben noch etwa zwei Stunden bis Mittag. Asleif entschloss sich, zunächst den Tempel aufzusuchen, wo Teit von Ari und Toki bekanntermaßen zum letzten Mal gesehen wurde. Er hoffte inständig, dass ihm der Tempeldiener aufschlussreiche Hinweise zu Teits Abgang würde geben können.

      2

      _____________________

      Das Kreuz

      Für all jene Birkuner, die es vorzogen, ihre Geschicke den göttlichen Entscheidungen der Vanen oder Asen zu überlassen, war er der Ausdruck ihres ganzen Stolzes – der Tempel. Bei der Errichtung des Gebäudes vor gerade mal sechs Sommern wurde nahezu ein ganzer Hain voller Holz verbaut. Und um den Bau möglichst innerhalb von wenigen Monden fertigstellen zu können, haben die vielen Dutzend Handwerksmeister und -gesellen von zahllosen, freiwilligen Handlangern tatkräftige Unterstützung erhalten. Und es war beileibe nicht nur der halbwüchsige Asleif gewesen, der sich seinerzeit jeden Tag über Stunden hinweg die Augen ausgeglotzt hatte, um beim Fortschritt der Arbeiten bloß ja kein Detail zu verpassen. Nein, jeder der in der Stadt wohnte oder auch nur zufällig in ihr weilte, hatte sich emsig darum bemüht, so viel Zeit als möglich in der Nähe der Baustelle zu verbringen, um die Wissbegier befriedigen zu können, die jeden Morgen wieder und wieder aufs Neue entflammt war. Und eines schönen Tages war es endlich soweit: unter großem Beifall der Birkuner hatte das Heiligtum seine heutige, alles überragende Gestalt erlangt.

      Das Gebäude hatte – von oben betrachtet – entfernte Ähnlichkeit mit einem Thorshammer. Es war etwa vierzig Schritt lang und knapp zwanzig breit, am Hammerkopf gut dreißig. Außenfassade und Satteldächer waren durchgehend mit Holzschindeln verkleidet, wobei sich die nach oben hin stetig kleiner werdenden Dächer schwindelerregend in die Höhe türmten. An den Giebelseiten sprangen dämonisch wirkende Drachenköpfe aus den Dachenden hervor, welche ungerührt und mit starren Blicken das Treiben der Stadt zu verfolgen schienen. Zu ebener Erde verlief ein offener Umgang mit schrägem Dach und hölzerner Brüstung einmal um den Tempel herum: der Svalgang. Der 1½ Schritt breite Gang verfügte über drei, den Tempeltüren genau gegenüberliegende Durchlässe. Die Portale sowie die Pfosten der Durchgänge wiesen, analog zur Doppeltür der Jarlshalle, in sich selbst verschlungene Tierdarstellungen auf – von zarter Meisterhand in hartes Holz geschnitzt. Das Äußere des Tempels wirkte eher trutzig denn heilig, doch dies entsprach durchaus dem Geschmack der Birkuner.

      Das Innere des Tempels wurde von dreißig mächtigen Stützpfeilern aus Eichenholz dominiert, welche – angeordnet zu zwei Reihen – die Standhaftigkeit der Götter symbolisierten. Auf diesen Pfeilern, den Masten der großen Drachenboote nicht unähnlich, ruhte das hölzerne Tragwerk für die gesamte, bis oben hin offene Dachkonstruktion. In doppelter Mannshöhe zog sich eine Empore die Außenwände entlang, welche man mittels einer einläufigen, schlichten Holzstiege erklimmen konnte. An den Pfeilern hingen – zu Ehren der im Kampf gefallenen Krieger – zahlreiche Waffen. Darunter befanden sich neben vielerlei Schwertern, Bogen und Pfeilköchern auch eine Handvoll alte, bereits vom Rost der Zeit angehauchte Streitäxte. Die Standbilder der mächtigsten Götter wie Odin, Thor oder Frey, waren im Bereich des Hammerkopfes aufgestellt worden, derweil die weniger einflussreichen, wie Bragi, Nanna oder Idun, an den restlichen Außenwänden ihre Plätze gefunden hatten.

      Etwa in der Mitte des Tempels, da wo sich der Raum zum Hammerkopf hin erweiterte, brannte in einer quadratisch angelegten Grube ein mächtiges Feuer.