Martin J. Fredrikson

Tödliche Habsucht


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Was brauchte es mehr?

      Thorfinn selbst stand mit achtundzwanzig Sommern in der Blüte seines Lebens. Nach Abschluss einer Kaufmannslehre bei Egil Arisson hatte er zunächst einige Jahre in Auslandskontoren zugebracht, bevor er in das Geschäft seines Vaters eintrat. Aus den zuvor bereits erwähnten Gründen nannte er das Handelshaus mittlerweile sein Eigen und außer dem Hof an der Birkstraße zählte überdies eine prächtige Schnigge zu seinem Besitz. Das Boot war derzeitig auf großer Fahrt und würde voraussichtlich im folgenden Mond von der Insel Feuerbergen zurückkehren.

      Thorfinn war knapp sechs Fuß groß, hatte schulterlange, hellblonde Haare und einen dichten Vollbart. Seine graublauen Augen huschten unentwegt hin und her und sein kleiner, gerader Mund sorgte für eine deutliche Aussprache, auch wenn er dazu neigte, ausgefallene Worte zu benutzen. Seine Statur war eher schlank zu nennen, trotzdem sich sein Bauch, dank seiner Vorliebe für gutes Essen, leicht zu wölben begann. Ungeachtet seiner durchaus ansehnlichen Erscheinung war er gleichwohl unverheiratet – hatte er doch bislang kaum Gelegenheit gehabt, sich mit dem weiblichen Geschlecht näher zu befassen. Nach dem Tod seines Vaters, musste er sich in erster Linie um geschäftliche Dinge kümmern und infolgedessen waren all seine Gedanken voll und ganz auf den Fortgang des Handels ausgerichtet.

      »Mhm, bei Tyr! Dein Bier, Thurid, ist fürwahr das beste Gebräu, das es in Svera zu verköstigten gibt: klar wie ein Bergbach, frisch wie Morgentau und süffig bis zum letzten Tropfen. Es ist wahrlich ein ausgemachtes Pech für Nachbar Gatisson, dass er Met für das edlere Getränk hält. Er hat ja nicht die geringste Ahnung, welch erlesene Köstlichkeit ihm entgeht.«

      Thurid strahlte sonnengleich ob des Kompliments. Sie wusste ja, welch Feinschmecker ihr Thorfinn war und zu sehen, wie er all die leckeren Speisen und Getränke genoss, die sie ihm Tag für Tag aufs Neue darbot, war ihr ein steter Quell voll Freude. Mit glänzenden Augen trat sie an den Herd zurück und ein stilles Lächeln huschte über ihr Antlitz, derweil sie erneut emsig in ihren Töpfen und Pfannen rührte. Nur dass Asgaut Gatisson gleich kommen und wie üblich seine Sprüche klopfen würde, trübte ihre Laune ein wenig. Sie wusste bei ihm nie genau, ob er es ernst meinte oder sich mal wieder einen schlechten Scherz erlaubte. Auch Thorfinn hieß nicht alles gut, was ihr Nachbar da von sich gab, doch weil sein Vater Erik und Gatisson einige Jahre Geschäftspartner gewesen waren, lud Thorfinn ihn, der nachbarschaftlichen Beziehungen wegen, immer mal wieder ein.

      Sie hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, da hörte sie Gatisson auch schon vor der Türe poltern. »Einen wunderschönen guten Tag, wünsche ich. Ist jemand anwesend?«

      Die Tür weit aufstoßend blieb er für einen Augenblick auf der Schwelle stehen, um die Blicke der Anwesenden auf sich zu ziehen. Asgaut Gatisson war fürwahr eine stattliche Erscheinung: Bei einer Größe von 6 ½ Fuß war er sehr massig gebaut; auf breiten Schultern saß ein mächtiger Schädel mit lockigen, braunen Haaren; ganz im Kontrast dazu standen die winzigen Äuglein, die Stupsnase sowie der kleine, jedoch mit vollen Lippen versehene Mund; sein kräftiges Kinn hielt er stets glatt rasiert; er trug ein knielanges, edles Brokatgewand, welches trotz der herrschenden Temperaturen mit Pelz verbrämt war, sowie Beinlinge aus feinstem Leinen und polierte Hirschlederstiefel.

      »Mein lieber Erikson. Ich danke Euch recht herzlich für die Einladung. Wie jeder weiß sind Frauen zumeist recht unnütze Wesen, ha, ha, ha, aber eines muss man ihnen lassen – kochen können sie, besonders Eure Thurid.« Asgaut zwinkerte ihr zu. »Nicht wahr meine Liebe, da wird Sie mir doch zustimmen? Was hat Sie denn heute wieder Leckeres auf dem Feuer?«

      Thurid lächelte zuckersüß, derweil sie im Geiste die Arme vor der Brust verschränkte. »Ich grüße Euch, Nachbar Gatisson. Ihr seid ja charmant wie immer. Die Speisen werden Euch mit Sicherheit munden, doch zu meinem Bedauern muss ich Euch mitteilen, dass Ihr heute Bier trinken müsst. Mir ist nämlich vorhin aus Versehen der Krug mit dem Met aus dem Korb gerutscht. Leider hat er dabei Schaden genommen und das edle Getränk ist infolgedessen im Hof versickert, ohne dass ich es rechtzeitig hätte verhindern können.«

      Asgauts Gesicht verdunkelte sich sichtlich. »Das kann Sie mir doch nicht antun, Sie weiß doch genau, dass ich diese Gerstengrütze nicht ausstehen kann. Erikson, warum schickt Ihr sie nicht, einen neuen Krug zu holen?«

      »Beruhigt Euch, Gatisson. Schließt die Tür und nehmt Platz an meiner Seite. Thurid will Euch bloß ein wenig aufziehen. Selbstredend haben wir Honigmet im Haus«, beschwichtigte ihn Thorfinn.

      Der Stich hat gesessen, dachte Thurid, derweil sie sich still schmunzelnd wieder umwandte. Alsdann füllte sie Met in das größte Horn, welches verfügbar war und setze es Asgaut vor.

      Dieser trank es in drei großen Zügen leer. »Ah, bei Heimdall! Welch ein Hochgenuss. Es gibt doch wirklich kein edleres Getränk als diesen Honigmet. Ein Jammer, Erikson, dass Ihr allzeit diese dünne Gerstensuppe trinken müsst.«

      Nachdem Thurid nachgeschenkt hatte und sich hernach erneut dem Herd widmete, unterhielten sich die beiden Kaufherren über die Götter, das Wetter sowie die letzten Neuigkeiten aus Birkuna, ehe sie einige Nettigkeiten über ihre Kaufmannskollegen austauschten. In der Folge erkundigte sich Thorfinn nach dem Befinden von Gatissons Familie, insbesondere nach dem von Skarthi, Asgauts ältestem Sohn, der mittlerweile auch schon im Geschäft tätig war.

      »Oh, mit Skarthi bin ich durchaus zufrieden«, antwortete Asgaut diesbezüglich, »der kommt ganz nach mir, Ihr werdet es schon noch sehen. Er ist bereits sehr sicher im Handeln: einerseits hart und konsequent, andererseits vorsichtig und nachgiebig, ganz nach Erfordernis. Gegenwärtig führt er mein Kontor in Namnete und, wie ich stolz zu berichten vermag, mit Erfolg.«

       Derart plauderten sie noch eine Weile weiter, bis Thurid schließlich das Essen servierte und sich daraufhin wie üblich an Thorfinns rechte Seite setzte.

      Dieser Vorgang brachte Asgaut wiederum auf den Plan. »Bei Heimdall! Erikson, Euer Verhalten ist fürwahr barbarisch! Es ist, Ihr wisst das sehr wohl, seit Jahrhunderten Sitte, dass die Frauen grundsätzlich erst dann mit dem Essen beginnen, wenn die Männer ihr Mahl abgeschlossen haben. Die Götter selbst haben den Frauen ihren Platz zugewiesen! Doch Ihr, was macht ihr? Meister Erikson stellt wie üblich seine eigenen Regeln auf! Wohin soll das noch führen mit Euch?«

      »Mein lieber Gatisson, nun habt Euch mal nicht so. Bedenkt, dass bereits in vielen Häusern die Männer gemeinsam mit ihrer ganzen Familie am Tisch sitzen – selbst der Blaufuchs tafelt nicht nur mit seinen Mannen, sondern genießt regelmäßig die Gesellschaft seiner Gemahlin Gudrid. Und was mich betrifft, so müsste ich, sofern ich Eurer Anweisung gemäß handeln würde, zumeist alleine speisen, denn außer Thurids Neffen Sven – selbst der nimmt lediglich sonntags sein Mittagsmahl hier ein – befindet sich in diesem Haus nun mal kein anderer Mann. Und alleine essen, das sollte Euer mächtiger Schädel, Gatisson, doch wohl inzwischen auch schon verinnerlicht haben, ist nun wirklich nicht mein Ding. Essen füllt nicht nur den Magen, sondern fördert darüber hinaus auch das Gemüt. Indes man muss in Ruhe essen und darf nicht schlingen und bei mir ist es eben so, dass ich alles eiligst in mich hineinstopfe, sobald ich alleine vor meinem Teller sitze. Im Falle dass ich aber Gesellschaft habe und zwischen den einzelnen Bissen locker plaudern kann, bin ich hernach ohne jeden Zweifel schnurrig zugange. Überdies darf man auch nicht außer Acht lassen, abwechslungsreich zu speisen. Nur Fleisch zu sich zu nehmen verursacht über kurz oder lang Schwierigkeiten mit der Verdauung; nur Obst oder Gemüse zu essen mindert auf Dauer die Kraft, und so weiter und so fort. Seht also zu, Gatisson, dass Ihr von allem etwas nehmt und wiederum auch nicht über die Maßen, sonst beschleicht Euch der Eindruck, ein gefülltes Heringsfass auf zwei Beinen zu sein. Doch nun genug der Verbalitäten, lasst uns endlich zugreifen, denn diese von Thurid so ohnegleichen zubereiteten Köstlichkeiten, die hier voller Unschuld ihren verführerischen Duft unseren Nasen zuführen, harren der Vertilgung.«

      Asgaut, erschrocken ob des wortgewaltigen Ausbruches den seine kleine Stichelei hervorgerufen hatte, beschloss dergleichen zumindest solange zu unterlassen, bis sein Hunger gestillt war. Ohnehin hatte er sich gezwungenermaßen schon längst daran gewöhnt, mit Thurid gemeinsam an der Tafel zu sitzen, insofern ließ er sich nicht lange bitten, sondern langte tüchtig zu und schob sich mit Vorliebe die großen, knusprig gebratenen Fleischstücke zwischen seine emsig mahlenden