Martin J. Fredrikson

Tödliche Habsucht


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Bindeglied für einen lebhaften Warenaustausch mit halb Europa – bot Anlegemöglichkeiten für zahllose Schniggen, Knorren oder Drachenboote und wurde vor dem gelegentlich recht rauen Seegang und den häufig auftretenden Westwinden durch zwei weit in den See ragende, aufeinander zulaufende Molen geschützt. Nördlich und östlich begrenzte in einem großen Bogen die Stadtmauer – bestehend aus Erdwall und Palisaden – den Ort, derweil im Süden die Burg Jarl Haralds die Stadt beschützte. Auf der dem Hafen zugewandten Seite befanden sich das Kaufmannsviertel, die Werft sowie die Ansiedlung der Fischer; im Schutze der Stadtmauer hingegen betrieben zahllose Handwerker ihre unterschiedlichen Gewerke; das Zentrum schließlich wurde beherrscht vom alles überragenden Tempel sowie dem Knut-Markt, auf welchem von den Bauern der Umgegend mehrmals in der Woche Waren für den alltäglichen Gebrauch feilgeboten wurden.

      Nahezu sämtliche Gebäude der Stadt bestanden aus Holz und waren mit Stroh- oder Reetdächern gedeckt, besaßen aber nur wenige, noch dazu winzige Fenster, welche kaum Licht spendeten und eher der Belüftung dienten. Straßen und größere Gassen hatte man, den Asen sei Dank, mit Holzbohlen gepflastert, während Silber-, Luchs- und Burgbach an vielen Stellen von kleinen hölzernen Brücken überspannt wurden.

      Asleif und Paxiklos tasteten sich behutsam den Wall hinunter, querten sodann den Burgbach und betraten, indem sie ihre Schritte auf die Burgstraße lenkten, schließlich die Stadt. Obschon die Bohlen auf Grund der Nässe recht rutschig waren, war der Weg zum Sassirab allemal eine saubere Sache. Nicht auszudenken, wenn sie hätten durch Matsch waten müssen, wie es in vielen anderen – selbst größeren – Städten noch beständig die Regel war.

      Ibn Fadin hatte gleich nach seiner Ankunft in Birkuna ein leerstehendes Haus direkt an der Hauptstraße angemietet. Jarl Harald hatte zwar angeboten, er könne bei ihm im Langhaus wohnen, doch der Sassirab hatte dankend abgelehnt. In dem etwas heruntergekommenen Haus, das zuvor einem inzwischen verstorbenen Kaufmann zu eigen war, konnte er sich in aller Ruhe zurückziehen und entspannt dem Abschluss des Vertrages entgegensehen. Überdies fand er sich in der angenehmen Lage, ungestört und wann immer er wollte seine Gebete auszuüben – ein Anliegen, das ihm über die Maßen bedeutsam war.

      Als die beiden ihm schließlich gegenüberstanden war ibn Fadin allerdings außerstande zu beten. Stattdessen drohte er vor lauter Erregung schier platzen zu wollen. Er überschüttete die Ankömmlinge mit einem Wortschwall, der kein Ende zu nehmen schien und von dem Asleif beim besten Willen auch nicht eine einzige müde Silbe verstand.

      Der Sassirab, ein mageres Kerlchen mit Hakennase und schwarzem Spitzbart, lief dabei unentwegt auf und ab, sodass sein riesenhafter Turban in gefährlichster Manier auf dem dünnen Köpfchen herumwackelte. Sein seidenes, reich besticktes Gewand rauschte dazu wie eine laue Brise in der Abendluft. Da er sich kaum beruhigen ließ, dauerte es eine gewisse Zeit, bevor Asleif ihn, mit Unterstützung des Ioniers, dazu bringen konnte, sein Begehr verständlich kundzutun.

      Schließlich erfuhr Asleif Folgendes: Der Gode sollte die vom Jarl bereits unterzeichneten Pergamentbögen siegeln, sie dann in eine Schatulle legen und umgehend dem Sassirab überbringen. Bei der Schatulle handelte es sich um genau dasjenige Behältnis, in welchem ibn Fadin den schon vorbereiteten Vertrag aus seinem Heimatland mitgebracht hatte. Das Kästchen, ein Meisterwerk der sassirabischen Schmiedekunst, bestand aus purem Silber, war mit zahllosen Gemmen und Edelsteinen besetzt und verfügte über ein äußerst stabiles Schloss. Zu diesem Schloss existierten lediglich zwei Schlüssel – während ibn Fadin den einen verwahrte, sollte Teit den zweiten zusammen mit den Pergamenten in die Schatulle legen. Das Schloss war dergestalt konstruiert worden, dass es auch ohne den Gebrauch eines Schlüssels zuschnappen konnte. Diese Vorkehrungen dienten sowohl der Sicherheit als auch der Geheimhaltung des Vertrages. Die Pergamente waren vor Wind und Wetter geschützt und zugleich neugierigen Blicken entzogen. Infolgedessen war einzig und allein ibn Fadin in der Lage, die Schatulle gewaltlos zu öffnen.

      Statt des Goden war heute Morgen indes ein Bote mit dem Kästchen erschienen. Ob seiner Wichtigkeit hatte der Sassirab es ihm eigenhändig abgenommen und, nachdem der Bote wieder gegangen war, umgehend geöffnet. Er fand, wie vereinbart, den zweiten Schlüssel, doch zu seiner maßlosen Verblüffung erwiesen sich alle darin befindlichen Pergamente als unbeschrieben!

      Um seine Aussage zu belegen, zeigte ibn Fadin dem Schreiber unaufgefordert die zuvor beschriebenen Objekte.

      Nach kurzer Überprüfung kam Asleif zu dem Ergebnis, dass die Ausführungen des Sassirab korrekt waren. Überdies stellte er fest, dass die Schatulle keinerlei Beschädigungen aufwies, womit zumindest bewiesen war, dass der Bote sich nichts hatte zu Schulden kommen lassen. Da dieser die Schatulle in einwandfreiem Zustand abgeliefert hatte und obendrein auch keinen Schlüssel besaß, war er außerstande gewesen, den Inhalt zu manipulieren. Er hatte lediglich seine Pflicht erfüllt.

      Auch ibn Fadin scheint bar jeder Schuld zu sein, dachte Asleif. Selbstverständlich hätte er Gelegenheit gehabt, die Pergamente auszutauschen, doch so wie der Sassirab sich hier echauffierte, war das wohl eher unwahrscheinlich. Da Asleif auch nicht gewillt war, Teit, dem Goden, in Ermangelung von Beweisen irgendwelche Absichten zu unterstellen, schien Jarl Haralds Vermutung wohl zuzutreffen: Letzten Endes würde sich gewiss herausstellen, dass die leeren Blätter lediglich aufgrund einer profanen Verwechslung in die Schatulle geraten waren.

      In diesem Sinne versuchte er den Sassirab zu beschwichtigten und versprach ihm, alles Menschenmögliche zu tun, um den Vertrag so rasch als möglich wieder aufzuspüren. Er verabschiedete sich daraufhin höflich von den beiden Südländern und machte sich umgehend zurück auf den Weg zur Burg. Es war an der Zeit, mal ein Wörtchen mit dem Boten zu reden.

      Auf dem Rückweg zur Burg sann er darüber nach, ob man den Goden wirklich von jeglichem Verdacht freisprechen konnte – immerhin galt er als vermisst! Unter diesen Umständen bestand sogar die – theoretische – Möglichkeit, dass Teit die Stadt mitsamt dem Dokument bereits verlassen hatte.

      Doch andererseits, … nein, bei Balder! Das kann unmöglich sein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dachte Asleif entschieden. Teit ist in Amt und Würden, solange ich denken kann. Er ist zwar nicht ausnahmslos bei allen Birkunern beliebt – in seiner Eigenschaft als Stadtrichter bleibt es nicht aus, dass der eine oder andere Verurteilte bisweilen mit dessen Spruch nicht einverstanden war, grundsätzlich jedoch wird er von allen Schichten respektiert: von besitzlosen Knechten ebenso wie von ehrbaren Handwerkern, von der mächtigen Kaufmannschaft im gleichen Maße wie von den gestrengen Zunftmeistern und zu guter Letzt auch von Jarl Harald, der ihm seit jeher vertraut hat. Asleif kam zum Schluss, dass der Gode nie und nimmer wissentlich die Pergamente vertauscht haben konnte.

      Er hoffte indes darauf, dass der Bote einige seiner Fragen würde erhellen können. Zumindest sollte er in der Lage sein, zu klären, weshalb er, und nicht Teit, das Kästchen zum Sassirab gebracht hatte. Im besten Falle wusste er sogar, wo Teit sich augenblicklich aufhielt.

      Auf der Burg angelangt befragte Asleif die Wachen, wo er Ari finden könne. Sie gaben zur Auskunft, dass er wohl mit den anderen beim Üben sei.

      Auf dem Kampfplatz, einer weiten, freien Fläche des Burggeländes, herrschte reges Treiben. Zehn Kämpen des Jarls unter Kommando von Hauptmann Thorsteinson schossen mit Pfeil und Bogen auf Ziele nahe der Palisade; zehn andere übten dergleichen mit Speeren und den dazugehörigen Speerschleudern.

      Diese Zwanzig machten in etwa die Hälfte der Schar aus, die Harald Blaufuchs unterstanden. Obschon unter den verschiedenen Sippen der Nordmänner seit Jahrzehnten kein Streit oder Kampf mehr entbrannt war, nannte jeder Jarl doch nach wie vor einen Haufen starker Mannen sein Eigen. Zum einen wurden sie benötigt, um für den Burgherrn und seine Leute auf die Jagd zu gehen – im Winter erlegten sie hauptsächlich Pelzgetier, in der übrigen Zeit des Jahres überwiegend Hirsche, Elche und Wildschweine – zum anderen achteten sie an den Stadttoren, im Hafen und während der Markttage auf Einhaltung von Recht und Gesetz. Eine Stadt wie Birkuna mit gut 1.200 Bewohnern konnte auf eine schlagkräftige Truppe nicht verzichten.

      Nachdem Asleif Ari entdeckt hatte, rief er ihn gleich zu sich. Bekanntermaßen galt dieser als einer der besten Jäger auf der Burg. Mit seiner Größe von knapp sechs Fuß gehörte Ari zwar gewiss nicht zu den eindrucksvollsten Mannen des Jarls, doch