Martin J. Fredrikson

Tödliche Habsucht


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ja, ist ja schon gut«, fuhr der Jarl dazwischen, »sag mir endlich, was du zu melden hast, beim Schädel!«

      »In der Vorhalle steht dieser Ionier«, begann der Wächter zaghaft seine Neuigkeit zu verkünden. »Ihr wisst schon wen ich meine, Herr, diesen Begleiter vom Sassirab. Der Ionier ist völlig außer sich und will dauernd den Goden sprechen.«

      »Wieso kommst du dann zu mir?«, raunzte ihn der Jarl genervt an. »Wie du siehst, ist Teit nicht anwesend.«

      »Ja, Herr, das hat mir die Türwache auch schon gesagt. Doch keiner weiß, wo der Gode steckt, er ist verschwunden.«

      Allmählich verlor Harald Blaufuchs wieder die Geduld. »Beim Schädel! Verschwunden? Das vermag ich nicht zu glauben! Auf den Goden ist Verlass, der verschwindet nicht so einfach. Noch heute früh sprach ich mit ihm, als er in seiner Kammer den Vertrag siegelte. Soviel ich weiß, hatte er die Absicht hernach den Segen der Götter zu erbitten und das Dokument anschließend dem Gesandten zu überbringen, damit dieser ebenfalls Siegel und Unterschrift setzt. Falls Teit nicht mehr im Tempel ist, so wird er wohl im Hause des Sassirab sein.«

      »Herr, er war nicht beim Sassirab, er hat einen Boten geschickt.«

      Jarl Harald verdrehte die Augen. »Nun verstehe ich gar nichts mehr; weswegen sollte der Gode denn einen Boten schicken?«

      Bevor der Mann eine Antwort fand, unterbreitete Asleif einen Vorschlag: »Entschuldigt, Ohm, warum fragt Ihr nicht Paxiklos? Er kann Euch gewiss besser aufklären, gewiss besser.«

      Der Blaufuchs gab seine Zustimmung und entließ mit einer wedelnden Handbewegung den Wächter, welcher sichtlich erleichtert war, weiterem Ungemach zu entgehen. Raschen Schrittes entfernte er sich, um den Ionier hereinzuholen.

      Wenige Augenblicke später durchmaß der Übersetzer des Sassirabs in hektischer Manier die Halle. Als er näherkam, konnte sich Asleif ein Grinsen nicht verkneifen und auch Jarl Harald hatte Mühe, das verräterische Zittern seines Bartes zu unterdrücken.

      Der Ionier, von Haus aus schon ein schmächtiges Bürschchen – er war spindeldürr und erreichte kaum die Höhe von fünf Fuß, war ganz offensichtlich in den Gewitterguss hineingeraten. Dies hatte dazu geführt, dass sein üblicherweise krauses, pechschwarzes Haar, das seinen Kopf für gewöhnlich wie eine Mähne umkränzte, sich nunmehr platt der Kontur seines Schädels angepasst hatte. Auch seine Tunika hing ihm klatschnass am Körper herab und Tropfen auf Tropfen löste sich, von ihm völlig unbeachtet, aus des Kittels Saum sowie den Enden seiner Ärmel, sodass zahllose kleine Pfützen den von ihm zurückgelegten Weg markierten. Ob des erwähnten Anblicks ähnelte der Ionier eher einem nassen Straßenköter denn einem sprachkundigen Gelehrten.

      Jarl Harald, dessen Laune auf Grund dieses Auftritts wieder umgeschlagen war, begrüßte ihn freundlich: »Hei, Paxiklos. Wie ich höre, sucht Ihr den Goden. Darf ich fragen was das zu bedeuten hat?«

      Der Ionier, der die sverische Sprache etwas eigentümlich verwendete, antwortete: »Ich Euch grüße in Ehren, hoher Jarl. Doch mein Herr, Dschafar ibn Fadin, sein sehr in Wut, wegen das Vertrag, was er nicht bekommen!«

      Harald Blaufuchs war die Verblüffung deutlich ins Gesicht geschrieben. »Aber der Wächter hat mir doch gerade eben berichtet, dass ein Bote bei Euch war – hat er denn das Dokument nicht übergeben?«

      »Herr, der Bote hat bringen Schatulle mit Pergamente darin, aber …«

      »Aber was?« Jarl Harald wartete gespannt auf das Ende des Satzes. Mit seiner linken Hand umklammerte er die Armlehne des Throns, mit der rechten den Silberpokal.

      »… aber Pergamente in Schachtel waren blank, ist nichts drauf geschrieben! Wo ist bleiben Vertrag?«

      »Beim Schädel!«, brüllte der Blaufuchs auf, derweil sein Kelch, endlich befreit von der herrschaftlichen Hand, durch die rauchige Luft der Jarlshalle segelte und nach Beendigung eines formvollendeten Bogens unsanft an die Wand klatschte. Verziert mit einer großen Delle rollte er auf dem Lehmboden aus. »Das kann doch gar nicht sein! Ich habe den Vertrag eigenhändig unterschrieben und abgesehen von Siegel und Unterschrift Eures Herrn war er vollständig!«

      »Und ich haben gesehen, was war in Kästchen!«, wiederholte Paxiklos mit unterdrückter Stimme. Er bemühte sich unverkennbar, seine Erregung zu dämpfen. »Beide Bögen waren leer! War darauf nicht Buchstabe, nicht Rune, nicht Hieroglyphe, nicht ein Strich, nur – Nichts!«

      Da Paxiklos seine Behauptung so vehement verteidigte, sprach er wohl die Wahrheit, sagte sich Jarl Harald. Er schluckte infolgedessen seinen Ärger notgedrungen hinunter und sann eine Weile über die schier unglaubliche Kunde nach, die ihm der Ionier so aufgebracht und für ihn völlig überraschend kredenzt hatte: Tatsächlich war es ein wenig sonderbar, dass Teit einen Boten zu ibn Fadin geschickt hatte, anstatt wie vereinbart persönlich hinzugehen. Diesen Punkt wird er wohl plausibel erklären können, indes aus welchem Grund hat er dem Sassirab leere Blätter überlassen? Hat Teit die Pergamente schlichtweg verwechselt oder hat er den Abschluss des Vertrages ganz bewusst verhindert? Letztere Möglichkeit war indes ebenso unglaubwürdig wie die Annahme, dass der Sassirab versucht haben sollte, ihn, den Jarl, in irgendeiner Weise zu hintergehen. Ibn Fadin hat die lange und beschwerliche Reise schließlich nicht gemacht, um sich in Svera zu verlustieren, sondern weil er handfeste wirtschaftliche und politische Ziele verfolgte.

      Jarl Harald wandte sich an seinen Schreiber: »Asleif, diese Sache muss dringend geklärt werden. Ich vermute, dass es sich um eine schlichte Verwechslung handelt, denn ich sehe keinerlei Grund, weswegen Teit oder auch der Sassirab die Vereinbarung so kurz vor Schluss noch boykottieren sollten. Aber wie auch immer, der Vertrag ist über die Maßen bedeutsam und darf unter gar keinen Umständen in die falschen Hände geraten. Die Folgen wären unabsehbar! Außer dem Oberhaupt der Sassirab, seinem Gesandten ibn Fadin, Teit sowie mir selbst, kennt niemand auch nur ansatzweise dessen Inhalt. Er muss unter allen Umständen geheim bleiben, zumindest bis ibn Fadin das Dokument gesiegelt hat, verstehst du?

      Begleite jetzt den Ionier zu seinem Herrn und versuch die Pergamente wieder aufzutreiben. In derlei Dingen besitzt du ein ausgezeichnetes Gespür. Überdies vertraue ich dir, wie du weißt, vorbehaltlos. Sprich mit ibn Fadin und suche alsdann nach Teit oder befrage den Boten. Mach was du für nötig hältst, aber bringe mir, um Odins Willen, das Dokument zurück!«

      Asleif nickte zustimmend. In der Tat hatte er bereits des Öfteren großes Geschick bewiesen, wenn es galt, versteckten oder verlegten Gegenständen auf die Spur zu kommen. Im Gegensatz zu den Anderen, die beim Suchen stets planlos hin und her rannten, ließ er zunächst seine Gedanken kreisen, stellte ein oder zwei Fragen und hatte die Angelegenheit alsdann meist schon geklärt. Es war bisher zwar nichts davon auch nur annähernd so bedeutsam gewesen wie dieser Vertrag mit den Sassirab, doch nichtsdestotrotz war er guten Mutes, das Dokument aufspüren zu können. »Alles klar, Ohm. Ich werde die Sache mit Feuereifer angehen, mit Feuereifer!«

      Als er seine Schreibsachen zusammenpacken wollte, fiel sein Blick auf den begonnenen Brief. Fragend sah er zum Jarl hinüber.

      »Lass nur, Asleif.« Der Blaufuchs hatte dessen Gedanken erraten »Das Schreiben kann warten. Geh nur.«

      Als Asleif und der wieder halbwegs trockene Paxiklos das Langhaus verließen, hatte Thor sein nasses Wolkenheer bereits weiter geschickt. Der Regen hatte ein Ende genommen. Dessen ungeachtet war die Luft mit Feuchtigkeit regelrecht geschwängert. Unter der Last unzähliger Tropfen bogen sich die Spitzen der Grashalme bis auf den Boden herab, die großen Eichen- und Eschenbäume trieften mit den kleineren Sträuchern und Büschen um die Wette und von den Dächern der Burg schossen wahre Sturzbäche auf den Hof hinab, wo sie sich vereinten und in kleine, spiegelnde Seen verwandelten. Asleif atmete tief durch. Balder sei Dank! Das Gewitter hatte für Abkühlung gesorgt.

      Ein wohlgepflasterter Weg verband das Langhaus mit dem stadtseitigen Tor. Gleichwohl schritten die Beiden mit Bedacht aus, um auf den nassen, schlüpfrigen Steinen nicht auszugleiten. Am Tor wurden sie von den Wachen ohne Weiteres durchgelassen.

      Bedingt durch die erhöhte Lage der Burg bot sich an dieser Stelle eine beeindruckende Aussicht über ganz Birkuna! Die Stadt