Martin J. Fredrikson

Tödliche Habsucht


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      Ehe Asleif die Doppeltür öffnete, welche die Vor- von der Jarlshalle schied, hielt er einen Moment inne, um seinen Blick schweifen zu lassen. Das mächtige, ihn um Längen überragende Portal war vollständig mit filigranen Schnitzereien verziert, die zumeist ornamentale, in sich selbst verschlungene Tiere abbildeten. Das Holz der beiden Flügel hatte dereinst in Form zweier knorriger Eichenbäume über Jahrhunderte hinweg Wind und Wetter trotzend den Birkberg beschattet – bis Thor sie eines Tages durch einen einzigen Schlag seines Blitze speienden Hammers gefällt hatte.

      Als kleinem Kind war Asleif immer ein wenig mulmig gewesen, wenn er mit seinen kurzen Fingern versucht hatte, die geschwungenen Linien der Figuren nachzufahren, die aus dem dunklen Holz zu wachsen schienen. Die Ehrfurcht war längst gewichen, gleichwohl wurde ein Jeder, der dies Portal durchschritt, unweigerlich daran erinnert, wie winzig und unwürdig der Mensch doch im Vergleich zu den Göttern war – Götter, welche seit Anbeginn der Zeit die Allmacht besaßen, die Geschicke aller Individuen in Midgard zu lenken.

      Entschlossen zog Asleif nun die Tür auf, nickte kurz der Wache zu, die zu des Jarls persönlicher Verfügung hier postiert war und ging gemessenen Schrittes zum anderen Ende der Halle: Beherrscht wurde der in etwa fünfzehn mal dreißig Schritt große Raum von der langgestreckten Feuergrube, welche den Saal in zwei Hälften teilte. Rechts und links wurde sie von zwei Reihen langer Holztische nebst schlichten Bänken flankiert, während quer dazu, am hinteren Ende der Grube, ein kleinerer, indes weitaus prunkvollerer Tisch stand: die Jarlstafel! Die Mitte ihrer vom Feuer abgewandten Längsseite wurde vom überaus prachtvollen Thron des Herrschers dominiert. Beiderseits daran anschließend, sowie an den Stirnseiten der Tafel, standen etliche herrlich geschnitzte Stühle aus Eichenholz. Sie waren für die Familie des Jarls sowie hoch geschätzte Gäste reserviert. Abgesehen von einigen fein gewebten Teppichen, welche hie und da das nackte Mauerwerk verbargen, war die Halle durchweg schmucklos. Die dicken Außenmauern sowie zwei Reihen starker Holzsäulen trugen das mächtige Gebälk mitsamt dem gewaltigen Satteldach. Entlang der beiden Traufseiten zogen sich die mit Holzplanken abgedeckten Erdbänke hin, die während der Nacht einem großen Teil der Mannen vom Jarl als Schlafplätze dienten. Fensteröffnungen besaß die Halle keine; belichtet wurde sie lediglich durch blakende Tranlampen, die an langen Ketten von den Dachbalken herabhingen sowie vom flackernden Schein des Feuers, welches auch im Sommer unablässig geschürt wurde. Der dabei entstehende Rauch zog, in Ermangelung einer Esse, schlicht und einfach durch die Ritzen des Reetdaches ab. Zutritt in die Halle erlangte man einzig und allein durch die zuvor erwähnte Doppeltür. Die kleineren Türen, die sich in der gegenüberliegenden Wand befanden, boten lediglich Zugang zu den Räumen, die Jarl Harald, dessen Familie sowie über Nacht bleibenden Gästen als Privatgemächer dienten.

      Obgleich der Morgen noch jung war und Asleif lediglich eine dünne, beigefarbene Wolltunika trug, stand ihm bereits der Schweiß auf der Stirn. Zugegeben, es war Erntemond, der ohnehin heißeste Mond des Jahres und die Sonne sengte bereits mehr als eine Woche lang erbarmungslos vom strahlend blauen Himmel, doch dass man selbst hier in der Jarlshalle schwitzte, dessen wuchtige Steinwände seit alters her nicht nur für Stabilität und Sicherheit, sondern auch für ein ausgeglichenes Klima sorgten, war schon über die Maßen erstaunlich.

      Nachdem Asleif das Ende der Halle erreicht hatte, streifte er sich seine Tasche aus Ziegenleder von der Schulter und legte sie behutsam auf einer Ecke der Jarlstafel ab. Ein paar Schritte weiter saß Jarl Harald Blaufuchs auf seinem von zwei Narwalzähnen flankierten Thron und betrachtete leutselig das Treiben seines Schreibers.

      Obschon sie bereits beim Frühstück miteinander gesprochen hatten, begrüßte Asleif ihn: »Hei, Ohm, wie ist es denn? Können wir anfangen?«

      »Hei, Asleif«, gab der Jarl zurück, »gewiss können wir beginnen, doch mit Bedacht, wenn ich bitten darf, denn es gilt einen langen Brief zu erstellen. Solltest du mir vor lauter Eifer und wegen des schwülen Wetters beim Schreiben aus den Latschen kippen, nützt mir deine Anwesenheit nämlich herzlich wenig. Ich schlage daher vor, du füllst zunächst ein bisschen Flüssigkeit nach. Nimmst du Bier, gewürzten Wein oder lieber ein Horn mit Met?«

      Verblüfft schaute Asleif auf und warf die Stirn in Falten. Wenn er mit einer persönlichen Frage konfrontiert wurde, tat er dies fast immer – selbst wenn es sich um so etwas Profanes handelte wie die Auswahl eines Getränkes. Allein für diesmal runzelte er die Stirn weniger ob des Inhalts der Frage, als vielmehr darüber, dass sie überhaupt gestellt wurde – der Ohm wusste doch ganz genau, was er für gewöhnlich trank. Wollte er ihn etwa foppen? Gleichviel, er entschied sich die Frage sinngemäß zu beantworten: »Nun ja, ich denke ein Becher kühles Bier könnte wohl nicht schaden, nicht schaden.«

      Jarl Harald schaute über seine rechte Schulter und rief: »Gunni, du hast es gehört. Bring unserem Schreiber hier zügig einen Becher mit frischem Bier. Und wenn du damit fertig bist, darfst du dich gerne wieder um meinem Pokal kümmern; fülle ihn alsbald mit Met, sonst trocknet er mir noch aus.«

      »Ja, Herr, es soll sogleich geschehen«, erwiderte Gunni.

      Jarl Harald, mit seinen gut 30 Lenzen im besten Mannesalter, besaß eine wahrhaft beeindruckende Gestalt: annähernd sieben Fuß groß, stark und kräftig gebaut, verfügte er über breite Schultern und ein mächtiges Haupt. Derweil die graublauen Augen, die in einem ovalen Gesicht mit markanten Zügen saßen, bisweilen scharfe Blicke abschießen konnten, wurde sein voller Mund von einem stattlichen Vollbart umrahmt. Gewandet war Harald Blaufuchs in leichte Beinlinge aus Leinen sowie eine blaue Tunika aus feiner Seide, welche vorzüglich mit dem Rotblond seiner Haare harmonierte. Dazu trug er einen breiten Rindsledergürtel mit einer silbernen Drachenkopfschnalle und weiche, hellbraune Lederstiefel.

      Seine langen Zöpfe flogen wirbelnd durch die Luft, als sich der Blaufuchs wieder seinem Schreiber zuwandte: »Asleif, trotz der Hitze, die selbst Ochsen in die Knie zu zwingen vermag, habe ich heute überaus gute Laune. Und soll ich dir sagen weshalb? Weil ich mit diesem Sassirab, der vorletzte Nacht an unserem Bankett teilnahm, einen Vertrag abgeschlossen habe, der nicht nur in Birkuna, sondern in ganz Svera, ja, ich bin sogar geneigt zu sagen, in ganz Skandland zu einem großartigen wirtschaftlichen Aufschwung führen wird. Das ist auch der Grund, weshalb ich dir nun einen Brief an meinen Vetter, Olaf Halbohr, Jarl von Rybe, angeben werde … Beim Schädel! Was ist denn?«

      Ärgerlich ob der Störung, stierte der Blaufuchs Gunni an, der, nachdem er Asleif mit Bier versorgt hatte, nun unschlüssig neben dem Thron stand.

      »Ich bitte um Vergebung, Herr, der Pokal.«

      »Was ist denn mit dem Pokal?«, raunzte ihn der Jarl an.

      »Ihr wolltet noch Met, Herr«, brachte Gunni zaghaft hervor.

      »Oh, bei allen Asen! Sag das doch gleich.« Leise vor sich hin grummelnd drückte Jarl Harald das leere Gefäß seinem Mundschenk in die zögerlich fordernde Hand. Dann stieg er entschlossen von seinen Thron herab, um sich erwartungsfroh an die Seite seines Schreibers zu stellen. Dieser hatte unterdessen nebst all seinen Schreibgerätschaften auch einige leere Pergamentbögen mit ausgepackt.

       »Komm Asleif, nimm erst mal einen tüchtigen Schluck von dem Bier. Hernach wird deine Feder gewiss weitaus flüssiger schreiben, als du es dir jetzt vorstellen kannst.«

      Der Angesprochene ergriff gehorsam den so gepriesenen Becher und sprach: »Ja danke, Ohm. Ich befürchte jedoch, dass sich die Skandländer, sofern diese unbotmäßige Hitze noch länger anhält, von unseren Göttern wohl bald geschlossen abwenden werden, ganz besonders aber von unserem Donnergott, der uns offensichtlich völlig vergessen hat. Gleichwohl, auf Thor!«

      Derweil Asleif einen tiefen Zug machte, schlug der genannte Gott in genau diesem Moment seinen Hammer mit einem gewaltigen Blitz präzis neben das Langhaus in den Burghof hinein. Prompt verschluckte sich der Schreiber an dem Gebräu, das soeben seinen Hals hinabrann. Durch kräftiges Husten versuchte Asleif daraufhin seine Kehle wieder frei zu bekommen. Jarl Harald indessen fing grölend an zu lachen und schlug ihm einige Male helfend auf den Rücken. Nachdem sein Schreiber endlich wieder durchatmen konnte, meinte der Blaufuchs schmunzelnd: »Beim Schädel noch mal, Asleif Gellisson! Mir war ja gar nicht bewusst, dass du derart eng mit den Göttern zusammenarbeitest.«

      Dem