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Karl Olsberg
Zurück in die
Würfelwelt
Ein Computerspiel-Roman
Copyright 2014 Karl Olsberg
Published by briends GmbH, Bahngärten 7,
22041 Hamburg, Germany
www.facebook.com/Wuerfelwelt
www.karl-olsberg.de
Gronkh ist eine eingetragene Marke der Playmassive GmbH, Köln.
Dieser Roman wurde von einem bekannten Computerspiel inspiriert, das ich sehr liebe. Nachdem die Firma, die dieses Computerspiel entwickelt hat, von einer größeren Firma gekauft wurde, darf ich den Namen des Spiels nicht mehr erwähnen.
Für Leopold
Was ist „real“? Wie definierst du „real“?
Morpheus
Danke an Concrafter für die Einwilligung zu einem Gast-auftritt in diesem Buch. Danke an Leopold für die gefun-denen Fehler und viele gute Verbesserungsvorschläge. Danke an alle, die mir gemailt und mir Mut gemacht haben, diese Fortsetzung zu schreiben – ich hoffe, ich kann Eure Erwartungen erfüllen. Schickt Eure Kommentare und Meinungen an [email protected].
1.
„Willst du nicht doch lieber noch ein paar Tage zuhause bleiben?“ Meine Mutter sieht mich sorgenvoll an. „Du bist ziemlich blass.“
„Mir geht es gut!“ Mit einem Lächeln versuche ich zu überspielen, dass ich immer noch etwas wackelig auf den Beinen bin. Wenn man vier Wochen im Koma lag, ist das ganz normal, nehme ich an. Aber um nichts in der Welt will ich heute zuhause bleiben, jetzt, wo Amelie wieder da ist.
Während ich noch im Krankenhaus lag, ist sie mit ihrer Mutter zu ihren Großeltern gefahren, die in irgendeinem kleinen Kaff in den Bergen wohnen. „Sie braucht mich jetzt“, hat sie gesagt, und ich habe genickt, als mache es mir nichts aus, sie zwei Wochen lang nicht zu sehen. Wir haben jeden Tag miteinander gechattet, manchmal mehrere Stunden lang, aber das ist nicht dasselbe.
„Du bist so tapfer! Ich bin stolz auf dich, mein Sohn!“ Mam gibt mir einen Kuss zum Abschied. Das ist auch nicht dasselbe.
Ein kalter Nieselregen wäscht mir die letzte Müdigkeit aus dem Gesicht. Es tut gut, wach zu sein. Meine Schule liegt nur einen Kilometer von meinem Elternhaus entfernt. Während ich den gewohnten Weg entlang schlendere, wandern meine Gedanken zurück in die seltsame Welt in meinem Kopf, in der ich gefangen war.
Bisher habe ich niemandem von meinen Erlebnissen erzählt, nicht einmal Amelie. Ich will nicht, dass sie mich für verrückt hält. Außerdem hat sie das Computerspiel noch nie gespielt und keine Ahnung, was Kriecher und Schattenmänner sind. Doch jetzt wünschte ich, ich könnte meine Eindrücke und Erlebnisse mit jemandem teilen. Es fühlt sich alles immer noch so real an, als wäre ich wirklich dort gewesen – orientierungslos am Würfelstrand, von Skeletten gehetzt in einer dunklen Höhle, ratlos im Raum mit den vielen Hebeln, voller Ehrfurcht vor dem Thron des Todes, in Todesangst in der düsteren Halle des Zerberus, verzweifelt auf dem Rücken des Drachens.
Seit ich aus dem Krankenhaus kam, habe ich nicht mehr am Computer gespielt. Ich weiß selbst nicht genau, warum. Vielleicht hatte ich Angst, dass mir mein Lieblingsspiel keinen Spaß mehr machen würde, nachdem ich es so real erlebt habe. Möglicherweise habe ich auch einfach das Bedürfnis gehabt, die ganz normale, langweilige Realität zu genießen – von Aufregung und Abenteuer habe ich jedenfalls erst mal genug.
Als ich mich dem Schulgelände nähere, bekomme ich auf einmal einen Riesenbammel. Was soll ich zu Amelie sagen? Einfach Hallo? Ist das nicht ein bisschen wenig? Soll ich ihr einen Kuss geben?
Wir haben uns geküsst, als ich aus dem Koma aufgewacht bin. Aber was, wenn das bloß Dankbarkeit war, weil ich sie von ihrem bösen Stiefvater befreit habe? Vielleicht hat sie sich während unserer stundenlangen Chats in Wirklichkeit gelangweilt. Mal ehrlich, was könnte ein Mädchen wie sie schon an einem Typen wie mir finden? Vielleicht möchte sie, dass wir einfach nur gute Freunde bleiben.
Mein Herz pocht bis zum Hals und mein Kopf ist wie leergefegt, als ich schließlich das Schulgelände betrete. Als Erster kommt mir Jan grinsend entgegen.
„Marko! Mann, du hast uns allen ‘nen ganz schönen Schrecken eingejagt!“
Am liebsten würde ich ihm erzählen, dass mir auch ein paar ganz schöne Schrecken eingejagt worden sind. Er würde verstehen, wovon ich rede, wenn ich Unterwelt-Festungen und Blasters erwähne – wir haben zusammen viel Zeit auf einem Computerspiel-Server verbracht. Wenn ich ihm erzählte, dass ich auf einem Altar gelegen habe, umringt von singenden Zombie-Schweinemenschen-Mönchen … er würde ganz schön große Augen machen!
Während wir zum Hauptgebäude gehen, schweift mein Blick über den Schulhof, der in trübes, gelbes Flutlicht getaucht ist. Amelie ist nirgends zu sehen. Vielleicht ist sie schon im Gebäude. Sie geht in eine Parallelklasse, ich werde also bis zur ersten Pause warten müssen.
In der ersten Stunde haben wir Bio bei Frau Paulsen. Sie ist normalerweise ziemlich streng und wir mögen sie nicht besonders, doch als sie mich sieht, kommt sie auf mich zu und erkundigt sich danach, wie es mir geht. Ich gebe mir Mühe, den Eindruck zu machen, als sei so ein Koma nicht mehr als ein etwas ausgedehnter Mittagsschlaf.
Überhaupt sind alle ungewöhnlich nett zu mir. Ich erfahre, dass die ganze Klasse im Krankenhaus war und gesehen hat, wie ich apathisch da lag. Einige haben geweint, vor allem die Mädchen. Jetzt behandeln sie mich, als sei ich von den Toten auferstanden. Mir wäre es lieber, sie würden Witze darüber machen: „Na, gut geschlafen, Marko?“ oder „Nur noch zweimal schlafen, dann ist Weihnachten.“
In der Pause dränge ich mit den anderen auf den Schulhof. Von Amelie keine Spur. Vielleicht kommt sie aus irgendeinem Grund später zur Schule, oder die ersten beiden Stunden sind für sie ausgefallen. So was kommt ja vor. Doch auch in der zweiten Pause ist von ihr nichts zu sehen. Enttäuschung macht sich in mir breit. Ich schreibe ihr eine Kurznachricht, doch sie antwortet nicht.
Der Knoten in meinem Magen wird immer fester. Gedanken jagen durch meinen Kopf wie Gespenster: Sie bleibt absichtlich weg. Sie hat Angst davor, mich wiederzutreffen. Sie traut sich nicht, mir zu sagen, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben will. Und dann: Ihr ist etwas passiert.
Der Gedanke trifft mich wie ein Stromschlag. Sofort geht meine Fantasie mit mir durch. Ich male mir aus, wie ihr Vater aus der Untersuchungshaft ausgebrochen und in die Berge gefahren ist, um sich an seiner Frau und seiner Stieftochter zu rächen. Ich sehe mich auf dem Schulhof um und entdecke eine Gruppe von Mädchen, die in Amelies Klasse gehen. Auf meine Frage zucken sie nur mit den Schultern.
„Vielleicht ist sie krank“, meint eine von ihnen.
Als wir gestern Mittag zuletzt gechattet haben, hat sie nichts davon gesagt, dass sie sich nicht wohlfühlt – nur, dass sie jetzt mit ihrer Mutter zur Bahn muss und sich auf die Schule freut.
„Was ist eigentlich mit dir los?“, fragt Jan.
Ich habe nicht mal bemerkt, dass er sich genähert hat. Was soll ich ihm sagen? Dass ich verliebt bin und mir Sorgen um meine Freundin mache? Niemand in der Schule weiß bis jetzt, dass wir ein Paar sind (falls wir wirklich eins sind), und wenn es nach mir geht, dann bleibt das auch so. Auf das ganze Getratsche kann ich gut verzichten. Also zucke ich nur mit den Schultern.
„Siehst ‘n bisschen blass aus“, meint Jan. „Solltest vielleicht noch ’n paar Tage zuhause bleiben.“
„Ich bin okay“, sage ich.
„Was wolltest du denn eigentlich von Rebecca?“
„Nicht so wichtig“, ist alles, was mir dazu einfällt.
Jan zieht eine Augenbraue hoch. Bevor er jedoch nachhaken kann, wird er von einem Tumult abgelenkt, der ein paar Schritte entfernt entstanden ist.
„Vorzeigen, habe ich gesagt!“ Das ist die Stimme des Winzlings. Wir nennen ihn so, weil er mit Nachnamen