Скачать книгу

Vater kaum noch, denn er wurde ja im Tierheim gebraucht. Der Neubau war noch immer nicht ganz fertiggestellt, Zwingerwände mussten eingezogen werden und auch das Katzengehege war noch unvollendet. Die Außenanlage eine Wildnis, auch sie rief nach dem Gärtner. Der aber kostete Geld, also macht „Mann“ es doch selbst.

      So verstrichen die ersten Wochen und Monate und die Zeiten, in denen wir ein Privatleben hatten, waren begrenzt. Wenn sich mal ein Wochenendausflug ergab, zog es meinen Mann in eines der benachbarten Tierheime, um sich ein Bild über die dortigen Räumlichkeiten zu machen. Bald kannten wir jedes Tierasyl im Umkreis von 100 Kilometern und mehr.

      Irgendwann, unsere Kinder durften zu den Großeltern, nutzten wir eine freie Woche und brachen mit dem Auto und unseren 2 Windhunden auf nach Berlin. Damals noch ein geteiltes Deutschland und mit den üblichen Hindernissen an der Grenze, erreichten wir nach vielen Stunden unsere tierfreundliche Unterkunft am Wannsee. Wir schauten uns die Stadt an, machten Ausflüge ins Umland und genossen die gemeinsame Zeit. Was ich nicht wusste war, dass mein Mann natürlich auch das Tierheim in Berlin, damals noch im Stadtteil Lankwitz, zu besichtigen gedachte.

      Das Heim stand mitten in einem Wohngebiet, umbaut von kleinen Siedlungshäusern. Platz für einen benötigten Hundeauslauf gab es keinen. Selbst in einem zweiten Stockwerk waren kleine Zwingeranlagen errichtet worden. Dort konnten sich die Hunde nur auf ca. 6 qm aufhalten. Eine Möglichkeit in ein Außengehege zu kommen, gab es verständlicherweise nicht. Und gerade dort im 2. Stockwerk des Tierheimes entdeckte ich auf den zweiten Blick eine erbärmlich dreinschauende Afghanenhündin. Grau, zum Teil geschoren und mit starkem Nickhautvorfall. Ich war geschockt. Dieser arme Hund, eine extrem bewegungsfreudige Rasse, sollte hier dahinvegetieren? Das darf nicht sein. Wir fanden an Hand der Tätowierungsnummer über die Zuchtbuchführerin in Westdeutschland den Züchter in Berlin heraus. Diesen suchten wir prompt auf, in der Hoffnung, dass er doch in kürzester Zeit seinen ehemaligen Hund aus dieser traurigen Umgebung herausholen würde. Das Gespräch im Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses war leider sehr enttäuschend. Er hatte keinerlei Interesse, den einmal verkauften Hund wieder in seine Obhut zu nehmen. Wir waren entrüstet. Was nun? Allmählich kamen meinem Mann und auch mir die absurden Gedanken, den armen, traurigen Hund mit in den verheißungsvollen Westen zu nehmen. Irgendein Windhundfreund aus unserem Bekanntenkreis würde sicher die Hündin in seine Familie aufnehmen.

      Nach längeren „Verhören“ im Büro der damaligen Tierheimleiterin durften wir, als wohl erste Tierübernehmer, einen Hund aus dem geteilten Berlin mit in den Westen nehmen. Es war bisher nicht üblich, die Tiere außerhalb von Berlin zu vermitteln. So fuhren wir also nach einer Woche Urlaub in Berlin mit drei Afghanen zurück an den Bodensee.

      Als erstes besuchten wir einen Tag später die Windhundrennbahn, in der Hoffnung, für „Berlina“ einen neuen Besitzer zu finden. Aber leider hatte sich niemand erbarmt, die viel zu kleine, unscheinbare und durch einen früheren Unfall leicht gehbehinderte Hündin zu übernehmen. Es fanden sich, trotz vieler Bemühungen unsererseits, einfach keine Interessenten ein. Offen blieb nur eine Option: Wir fragen unsere beiden Rüden, ob sie sich ein Leben an der Seite einer Hundedame vorstellen können. Sie konnten! Fortan lebten also drei Hunde und eine Katze in dem angemieteten Haus in Markdorf. Unser Vermieter meinte, jetzt sei die Schmerzgrenze eindeutig überschritten und wir sollten uns doch allmählich nach einer neuen Bleibe umschauen.

      Wir hatten Berlina, wie wir sie inzwischen genannt hatten, natürlich sehr schnell in unser Herz geschlossen. Sie war einfach nur lieb, freute sich über jeden Mülleimer am Straßenrand, vermutlich auch weil sie so schlechte Augen hatte. Der sichtbare Nickhautvorfall war also nicht die Folge eines eventuellen Wurmbefalls, wie es oft der Fall ist, sondern war angeboren. Die Gehbehinderung wurde durch eine Röntgenaufnahme als alter, unbehandelter Beinbruch des Vorderlaufs erklärt. Bei unserem Vermittlungsgespräch mit der Tierheimleiterin in Berlin erfuhren wir, dass die Hündin damals als gefundenes Tier ins Heim gebracht wurde. Was aber wirklich geschehen war, sollten wir vier Monate später schmerzlich erfahren.

      Eines Tages nämlich klingelte das Telefon und es meldete sich eine Frauenstimme. Sie wollte wissen, ob bei uns eine graue Afghanenhündin lebe. Wir bestätigten ihr dies, nichtsahnend über die Konsequenzen, die darauf folgen sollten. Es war die ehemalige Besitzerin der Hündin, die behauptete, ihr sei das Tier vor 4 Monaten entlaufen, als es zur Pflege bei einer Freundin gewesen sei, während sie sich selbst mit ihrem Freund in Spanien aufgehalten habe. Sie wolle ihren Hund wiederhaben sagte sie uns unverblümt, und das war ja auch durchaus nachvollziehbar. Zwischenzeitlich hatten wir uns aber so sehr an die Hundedame gewöhnt und sie sehr lieb gewonnen. Sie vertrug sich sehr gut mit den beiden Hunden und den inzwischen zwei Katzen und irgendwie war uns die Geschichte nicht ganz geheuer. Noch ziemlich neu in dem ganzen tierschutzrechtlichen Sachverhalt, gingen wir zu einem Anwalt, um uns zu informieren. „Wie stehen unsere Chancen, dass wir Berlina behalten dürfen?“ Das war unsere erste Frage, welche wir dem Juristen stellten. „Sie haben keine Wahl, die Besitzerin hat das Recht auf ihrer Seite“, war die ernüchternde Antwort.

      Tatsächlich ist es so, dass jeder Tierbesitzer sechs Monate lang das Recht hat, sein Eigentum, welches er verloren hat, zurückzufordern. Es wird mit Tieren genauso verfahren wie mit jeder anderen Fundsache auch. Nun hatten wir nur noch die Möglichkeit, die gute Frau davon zu überzeugen, dass Berlina bei uns ein schönes Leben in Gesellschaft von Artgenossen hat und einen großen Garten noch dazu. Vielleicht lässt sie sich erweichen. Nein, natürlich nicht, auch nachvollziehbar. Nun der letzte Versuch: Wir lassen das neue Familienmitglied selbst entscheiden. Kaum zu glauben, aber die uns nur vom Telefon her bekannte Dame willigte spontan ein. Sie kündigte ihren Besuch für den darauffolgenden Sonntag an.

      Wir waren alle voller Hoffnung, entwickelten Strategien und fieberten diesem Tag mit den unterschiedlichsten Gefühlen entgegen. Gegen 14 Uhr war es dann so weit, ein Taxi fuhr vor und wir sahen die Frau, die extra aus Berlin für ihren Hund angereist war, zum ersten Mal.

      Die Hündin Berlina freute sich mäßig über den Besuch und wir boten erst mal Kaffee und Gebäck an. Danach wollten wir zu dritt mit der Hündin zu einem Spaziergang aufbrechen. Wir gingen einen gewohnten Weg in Richtung Wald, machten die Windhündin los und gingen weiter. Frau S. ging den Weg wieder zurück und rief nach ihrem Hund. Es vergingen lange Minuten oder waren es vielleicht nur Sekunden? Ich kann es nicht mehr sagen. Andere Dinge haben sich in meinem Gedächtnis eingegraben. Zum Beispiel der fragende Blick Berlinas. Sie schaute in beide Richtungen abwechselnd, bewegte nur den Kopf und stand da wie angewachsen. Wie wird sie sich entscheiden? Kann sie das überhaupt oder ist sie damit überfordert? Diese Fragen schossen meinem Mann und auch mir durch den Kopf. Wir standen wohl ebenso versteinert auf dem einsamen Waldweg, bis mir plötzlich eine innere Stimme sagte: „renn davon in Richtung Wald“.

      Jetzt war Berlina plötzlich klar, zu wem sie gehörte und wo sie in diesem Moment sein wollte. In einigen wenigen Augenblicken war sie schon neben uns und ihre Freude war nicht zu übersehen. Wir nahmen sie an die Leine und kehrten zu der Frau, die am anderen Ende des Waldweges auf uns wartete, zurück. Sie war überzeugt, so sah es zu diesem Zeitpunkt aus, uns die Hündin zu überlassen. Sichtlich erleichtert begaben wir uns auf den Heimweg, wo unsere zwei Buben uns schon mit fragendem Blick erwarteten. Entspannt nahmen wir im Wohnzimmer Platz und Berlinas frühere Besitzerin bat als erstes um einen Cognac, danach einen zweiten und nachdem sie auch dieses Glas ziemlich schnell geleert hatte, sah alles wieder anders aus. Plötzlich war sie aggressiv und drohte uns mit allem, was ihr so einfiel. Aufgebracht verließ sie das Haus und enttäuscht sowie traurig blieben wir zurück. Was sollte nun geschehen?

      An diesem Tag war in der Kleinstadt, in der wir lebten, ein Vergnügungspark und es gab einen verkaufsoffenen Sonntag. Mein Mann nahm die Kinder, um sie etwas von der Tragik dieses Tages abzulenken, und ging mit ihnen über den Rummelplatz. Der jüngste Sohn, ein sensibles Menschenkind, durfte sich Lose kaufen und zog prompt den Hauptgewinn. Er hatte die freie Auswahl zwischen riesigen Tigerkatzen, Bären und anderen Stofftieren. Als ich meiner kleinen Familie nach zwei Stunden die Tür öffnete, stand Sohnemann mit einem grauen Stofftier im Arm vor mir. Es war ein Hund mit längeren, grauen Haaren und einem breiten roten Halsband. Auch Berlina trug ein breites, rotes Halsband. Was sollte man da noch sagen!

      Wir glaubten die Frau schon lange im Zug nach Berlin, als plötzlich am späten Abend das Telefon klingelte.