Angelika Marquis-Servos

PUSCHKINS GEHEIMNIS


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dann doch endlich einmal zu einem Tierarzt. Dieser erkannte dann beim zweiten Besuch, dass es sich hier um einen kleinen Fuchs handeln musste. Einen Fuchs wollte man aber nicht im Haus haben und man machte sich sofort auf die Suche nach einer Unterbringungsmöglichkeit. In den Wald konnte man ihn nicht mehr entlassen, denn er war sehr auf die Menschen fixiert. Bei seiner Zutraulichkeit hätte ihn der erstbeste Jäger sofort wegen des Verdachts auf Tollwut erschossen.

      Die Familie telefonierte überall herum auf der Suche nach einer Bleibe. Keiner wollte Tom wirklich haben. Als sie dann endlich bei uns vorstellig wurden und wir versprachen, den Fuchs aufzunehmen, waren sie sehr erleichtert. Tom lebte ein sehr langes Fuchsleben in einem Gehege in unserem Tierheim, hatte zeitweise einen Artgenossen zur Seite und auch gelegentlich einen Marder, der ihn lehrte, auf Bäume klettern zu müssen. Mir selbst kletterte er immer wieder mit allen vier Füßen auf den Kopf, sobald ich mich bückte. So sind ehemalige Flaschenkinder!

      Während die Bauarbeiten an dem neu errichteten vierten Katzenzimmer abgeschlossen werden konnten, beunruhigten jetzt massive Bauschäden im Hundetrakt die Vereinsführung.

      Nichtsdestotrotz stiegen die Tierzahlen auch im darauffolgenden Jahr ins Uferlose. Wir brauchten dringend mehr Gelände, um auch in Zukunft Erweiterungsmöglichkeiten ausschöpfen zu können. Aus diesem Grund stellte mein Mann schon mal vorsorglich einen Antrag auf Geländeerweiterung bei der Stadt. Es sollten noch fast zwei Jahre ins Land gehen, bis die Zusage für weiteres Pachtgelände von der Stadt gegeben wurde.

      Schon im Laufe des Jahres konnte aber unabhängig davon wenigstens mit der notwendigen Sanierung des Hundehauses begonnen werden. Durch viele Verhandlungen konnte mein Mann erreichen, dass die Stadt sich mit einer angemessenen Geldsumme daran beteiligte. Vom Kreis konnten wir leider keinen Zuschuss erhalten.

      Die gravierenden Bauschäden in der Hundezwingeranlage entstanden durch den ständigen Wassereinsatz an dem in Holzbauweise erbauten Fertigbau. Nun konnte alles saniert werden, die Wände wurden gefliest und der dunkle Boden durch eine helle Farbe mit einem speziellen wasserbeständigen Anstrich versehen. Erst kam der vordere Teil daran und alle Hunde mussten im hinteren Trakt untergebracht werden. Später wanderten dann alle mit ihren Artgenossen in den bereits sanierten vorderen Teil, bis auch der letzte Zwinger wieder bezugsfertig war. Nun sah alles gleich viel freundlicher und sauberer aus. Nur etwas Farbe fehlte noch. Mit meiner Kollegin machte ich mich, mit Pinsel und Farben ausgerüstet, an einem freien Nachmittag und an zwei Abenden an die Arbeit. Wir malten, so gut wir konnten, schöne, große, bunte Tierbilder und Landschaften an die tristen Wände des Hundebaus. Jetzt waren wir endlich zufrieden.

      Lange dauerte es aber nicht mehr, bis wir uns eingestehen mussten, dass das Haus mit nur zwei Tierpflegerinnen nicht mehr auskommen konnte. Es war beim besten Willen nicht mehr zu schaffen, allen Tieren gerecht zu werden. Auch wenn ab und an ehrenamtliche Helfer vorbeischauten und mit anpackten, so gab es immer öfter Tage, an denen wir noch an den Nachmittagen mit den groben Arbeiten beschäftigt waren. Diese Nachmittagsstunden waren aber eigentlich für die genauso wichtigen Besucher bestimmt. Tierbesitzer kamen und brachten ihre Lieblinge in Pflege oder Interessenten wollten sich nach Hund, Katze oder einem Kleintier umschauen und brauchten Zeit für ein Beratungsgespräch. Unsere Tiere sollten ja nicht wie eine Ware über den Thekentisch wandern, sondern sie sollten eine Chance erhalten, jetzt an einen Platz fürs Leben vermittelt zu werden.

      Die Tierbesitzer forderten zu Recht eine vernünftige Beratung und Hilfe bei der Bewältigung ihres Problems. Immer öfter kam es nun vor, dass wir am Vormittag, mittendrin bei der Versorgung unserer Tiere, zu einem Einsatz gerufen wurden. Manchmal waren es echte Notfälle und wir mussten alles stehen und liegen lassen, die wichtigsten Utensilien noch ins Auto werfen und los ging es. Es konnte um verletzte Schwäne gehen, einen herrenlos umherstreifenden Hund, der die Passanten belästigte oder um eine angefahrene Katze, die sich verletzt unter ein parkendes Auto verkrochen hatte. In so einem Falle fehlten schnell mal eine bis zwei Stunden der vorgegebenen Arbeitszeit, die dann nur sehr schwer wieder aufzuholen war.

      So auch an dem Tag, als ich mich wegen einer kläglich miauenden Katze auf die Suche machen musste. Eine Spaziergängerin hatte hinter dichtem Brombeergestrüpp in Ufernähe des Bodensees, aber weit entfernt von einer befahrenen Straße, eine Katze anhaltend schreien gehört. Obwohl sie mir die Stelle sehr genau beschreiben konnte, war kein direkter Zugang zu dem Gelände zu finden. Es war alles total verwildert zugewachsen und ein alter Zaun sperrte zusätzlich noch das Grundstück ab. Irgendwie musste ich sehen, wie ich auf die andere Seite des Zaunes gelangen konnte. Dort grenzte ein bewirtschaftetes Feld direkt an das Naturschutzgebiet. Ausgestattet mit einer Katzentransportbox und mit dicken Lederhandschuhen – man musste davon ausgehen, dass eine wohl verletzte Katze um sich beißen würde –, suchte ich mit den Augen das unwegsame Gelände ab. Was ich dann zu sehen bekam, ließ mich den Atem stocken.

      Dort lag nun das arme Wesen, welchem vermutlich durch einen Mähdrescher oder ein anderes landwirtschaftliches Gerät beide Beine der linken Seite abgetrennt wurden. Sicher lag die ausgewachsene Katze schon viele Stunden, wenn nicht sogar schon ein bis zwei Tage dort und hatte viel Blut verloren. Sie klagte inzwischen nur noch leise und ich musste sie vorsichtig mit einem Tuch in die Katzenbox legen und auf dem schnellstmöglichen Weg zu einem Tierarzt fahren, der ihr nur noch die erlösende Spritze geben konnte. Es war einer meiner ersten Einsätze dieser Art und ich werde ihn niemals vergessen können.

      Ähnlich wie bei meinem Mann zog es auch mich schon als Kind immer zu den Tieren. Das einzige, was ich zu Hause halten durfte, war ein Kaninchen. Auch wenn uns von Zeit zu Zeit mal eine Katze zulief, so durfte ich sie leider nie behalten.

      Meine Eltern waren nicht etwa grundsätzlich gegen Tiere, das glaube ich nicht einmal, aber Tiere machten nun mal Arbeit und, wie das so ist bei Kindern, die Arbeit bleibt immer an den Erwachsenen hängen. Vermutlich war das der Grund, warum ich niemals den Wunsch nach einer Katze oder einem Hund erfüllt bekam.

      In der Nachbarschaft gab es eine Frau mit einem schwarzen Cockerspaniel, den ich gelegentlich ausführen durfte. Dort hielt ich mich natürlich bei jeder Gelegenheit auf und hatte viel Freude mit dem kleinen Kerl. Immer wenn ich mal wieder anfing zu jammern und nach Hund oder Katze verlangte, bekam ich zu hören: „Wenn du einmal eine eigene Familie hast, kannst du so viele Tiere halten wie du willst!“ Das muss ich mir wohl doch ziemlich gut gemerkt haben.

      Im Laufe der Jahre wurden die Tiere in unserem Haushalt immer mehr. Oft blieben Katzenkinder bei mir hängen oder wir hatten uns einfach mal wieder in ein Tierheimtier verliebt. Waren die ersten Hunde, die wir uns anschafften, noch Hunde, die wir uns bei einem Züchter ausgesucht hatten, so waren es später immer Tierheimhunde unterschiedlichster Rassen. Natürlich hatten auch unsere beiden Söhne eine gewisse Mitschuld an dem drastischen Anstieg der Tierzahlen, aber ich wollte ihnen nicht auch sagen müssen: Wartet, bis ihr eine eigene Familie habt.

      Nun hatte ich also wirklich genug Tiere um mich herum. Den ganzen lieben langen Tag und natürlich auch noch nach Feierabend. Es gab Tage, da fiel ich vor Erschöpfung in meiner kurzen Mittagspause auf die Knie und war fix und alle. So konnte es nicht weitergehen. Aber immer wenn du glaubst, es geht nicht mehr …

      Eines Tages kam eine junge Frau mit ihrem kleinen Söhnchen und bot sich an, uns am Nachmittag bei der Versorgung der vielen Kleintiere zu helfen. Wir waren sehr erleichtert. Sie konnte anpacken und mochte die Tiere. Nach einiger Zeit stellten wir sie als Halbtagskraft ein und sie blieb uns sehr viele Jahre als treue Helferin erhalten. Nachdem wir auch im Katzen- und Hundebereich immer mal wieder auf Aushilfskräfte zurückgreifen konnten, entspannte sich die Lage etwas. Das Tieraufkommen stieg zwar unaufhörlich weiter an, aber wir hatten die Lage im Griff.

      Nun konnte was anderes angegangen werden: Fortbildung im Sinne des Tierschutzes! Da wir als Verein an den Deutschen Tierschutzbund in Bonn angeschlossen waren, konnten wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Akademie für Tierschutz in Neubiberg bei München schulen lassen. Es bestand die Möglichkeit, an Wochenendseminaren teilzunehmen, um sich in Sachen Tierschutz fit zu machen. Hier wurden unter fachkundlicher Leitung Seminare angeboten, in denen wir viel erfahren konnten über den Umgang mit Problemhunden, Verhaltensproblemen von Katzen im Tierheim und ihre artgerechte Haltung dort. Ergänzend dazu ging es um Hygienemaßnahmen, Tierkrankheiten sowie um den Alltag in einem Tierheim mit