Angelika Marquis-Servos

PUSCHKINS GEHEIMNIS


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dem sie sich jetzt befand, sie würde uns ihre wahre Geschichte erzählen und uns Berlina überlassen. Gerne sollten wir ein Schreiben vorbereiten, denn sie sei bereit, alles schriftlich mit uns zu regeln.

      Blitzschnell saßen wir im Auto und fuhren zu dem vereinbarten Treffen. Unter Tränen und dem Alkoholeinfluss erzählte sie uns tatsächlich die wahre Geschichte. Sie hatte das Liebste, was sie damals besaß, nämlich ihre Hündin, selbst in das Tierheim gebracht unter dem Vorwand, sie habe sie gefunden. Sie stand unter Druck ihres damaligen Freundes und hatte eine schwere Zeit hinter sich. Suchtprobleme und einen Schwangerschaftsabbruch waren nur zwei der vielen Sorgen, die sie hatte. Sie tat uns echt leid.

      Wir erfuhren auch die Vorgeschichte von dem gebrochenen Vorderlauf: Als Welpe hatte die kleine Hündin sich damals beim Springen über die Couch das Bein gebrochen. Aus finanziellen Gründen ging die Besitzerin nicht zum Tierarzt und der Bruch wuchs nicht richtig zusammen.

      Sie unterschrieb uns tatsächlich die Übereignung der Hündin, sagte, sie habe es endlich mal schön in ihrem Leben und das, was sie bei uns hätte, könne sie ihr niemals bieten. Wir luden sie noch zum Essen ein und wünschten ihr eine gute Heimreise. Berlina lebte bis zu ihrem Lebensende bei uns und wurde 12 Jahre alt.

      Als dann zwei Jahre später die Tierheimmitarbeiterin kündigte und mit ihrer Familie aus der Wohnung im Tierheimgebäude auszog, stand eine Entscheidung an.

      Wir verließen das angemietete Haus in Markdorf, in dem genügend Platz vorhanden war für uns alle und von dem aus wir einen herrlichen Blick auf die Schweizer Berge und den Bodensee hatten, und zogen mit „Mann und Maus“ in das Tierheim ein. Von da an musste mein Mann zwar die gleiche Strecke in die andere Richtung zu seinem Arbeitsplatz fahren, aber die Familie hatte wieder mehr gemeinsame Zeit zur Verfügung. Unser jüngster Sohn wurde eingeschult und der zwei Jahre ältere Bruder wechselte an eine andere Schule.

      Tiere, Tiere und was nun?

      Es kam, wie es kommen musste. Noch ehe ich mich versah, stand ich mit Gummistiefeln und Wasserschlauch in den Hundezwingern und hatte ein neues „Hobby“. Als gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau war das alles erst einmal ziemlich gewöhnungsbedürftig. Die Geruchsbelästigung, der Lärm, die Arbeit an sich, womit hatte ich das verdient? Kleine Kätzchen bürsten oder mal etwas schmusen vielleicht, ja, das konnte ich mir noch vorstellen. Aber was da auf einmal von mir verlangt wurde, das war schon heftig. Aber man gewöhnt sich an alles. Es musste ja schließlich schön sauber sein. Also ran an den Dreck. Irgendwann war es was völlig Normales, erst mal mit dem Schaufelchen durch die Zwinger zu marschieren und dann mit Wasser und Neutralseife für einen besseren Duft zu sorgen.

      Mein Mann kam am späteren Nachmittag von der Arbeit nach Hause, Anzug und Schlips flogen in die Ecke und freudestrahlend machte er sich an die Arbeit. Diesmal zwischen Hundegebell und Katzenklo. Er war glücklich.

      Schon als kleiner Bub war er eng mit den Tieren verbunden. Er hielt Kaninchen und züchtete später erfolgreich in einer großen Voliere Kanarienvögel und Zwergwachteln. Als er dann im Alter von 21 Jahren zur Bundeswehr musste, löste er schweren Herzens seine geliebte Voliere auf. Als einziges Tier behielt er damals seinen handaufgezogenen Kanarienvogel. Ihn brachte er Jahre später mit in unsere Ehe. Es war überhaupt ein Wunder, dass er eine Voliere an das Elternhaus anbauen durfte, denn er hatte einen strengen Vater. Sein geliebtes Kaninchen musste er als kleiner Junge selbst zum Nachbarn tragen und dabei zuschauen, wie es getötet wurde. Er hatte diese unmenschliche Aktion seinem Vater ein Leben lang nie verzeihen können.

      Jetzt konnte er Tiere versorgen und pflegen so viel er wollte. Er blühte richtig auf. Verwaltungsarbeit, Gartengestaltung, Verschönerungsarbeiten an den Gehegen und Tierchen, Tierchen und nochmals Tierchen.

      Für mich waren die ersten Wochen ziemlich anstrengend. Es gab keinerlei Einarbeitung und ich wurde sozusagen ins kalte Wasser geworfen. Ich fragte mich schon recht bald, nachdem ich merkte, auf was ich mich da eingelassen hatte: „Warum habe ich mir das nur angetan?“ Die Antwort lautete: aus Liebe zu meinem Mann.

      Natürlich war auch ich ein sehr tierliebender Mensch, mochte Katzen schon immer und fand Hunde ganz toll. Schließlich hatten wir ja auch selbst zwei Katzen und drei Hunde in der Familie. Woher aber sollte ich z. B. wissen, wie man eine gerade eingelieferte verwilderte Katze, die fauchend und schon mit blutiger Nase in einer Katzenfalle sitzt, heil und unbeschadet in eine Box in die Aufnahmestation bekommt. Sie sollte natürlich nicht bei dieser Aktion das Weite suchen oder sich in meinen Lederhandschuhen vor lauter Angst einen Zahn ausbeißen.

      Oder wie bringt man einen des Nachts an den Zaun angebundenen, sichtbar verstörten und deutlich hörbar knurrenden Doggenmischling in das Hundehaus, ohne gebissen zu werden? All das war Neuland für mich. Da war es im Büro schon etwas entspannter. Die unterschiedlichen Verträge, die man mit den Tierbesitzern abzuschließen hatte, waren die ersten Tage zwar etwas verwirrend, aber das war alles nichts gegenüber dem, was mich hier an der Front erwartete.

      Eines war mir schnell klar: Ich brauchte Hilfe, und zwar bald. Aus diesem Grunde suchten und fanden wir eine gelernte Kraft. Es war eine Tierpflegerin, die schon viel Erfahrung im Umgang mit Tieren mitbrachte. Sie wusste auch, welche große Rolle die Hygiene in einem solchen Tierasyl spielte und deshalb machte sie erst mal Ordnung. Alle Teppiche, die noch aus früheren Zeiten des Tierheimes stammten, flogen als erstes vor die Tür. Wir wollten ja keinen Flohzirkus eröffnen. Alles was nicht in der Maschine gewaschen werden konnte, hatte bei ihr keine Überlebenschance. Desinfektionsmittel, Desinfektionswannen, Antiflohpuder und Antiflohspray, Milbenmittel usw. mussten nun her. In jedes Katzenzimmer kamen Besen, Schaufeln und Wannen in den gleichen Farben. Es sah nicht nur nett aus, es hatte einen tieferen Sinn. Alles blieb dort, wo es hingehörte, und als eventuelle Krankheitsüberträger schieden diese Teile somit aus. Es wurde geschrubbt, gewischt, geräumt und verändert. Am Ende des Einsatzes waren wir zufrieden und erschöpft, aber der Grundstein für ein sauberes und gepflegtes Tierheim war gelegt.

      Nun waren wir also zu zweit und hatten ca. 60 – 80 Katzen und je nachdem zwischen 20 und 30 Hunde zu betreuen. Dazu kamen noch diverse Kleintiere wie Kaninchen, Meerschweinchen, Farbratten oder Igel im Winter. Im Frühjahr waren es statt der Igel dann eher die aus den Nestern gefallenen Jungvögel wie Amseln, Grünfinken, Rabenvögel und Co.

      Anfangs wechselten wir noch wöchentlich die Bereiche Hunde und Katzen, was sich aber als nicht so sinnvoll erwies. Es war einfach besser, wenn jeder für seinen Bereich die Verantwortung übernahm, man kannte seine Tiere und wusste, was getan werde musste. Ab sofort war ich also Hundepflegerin und hatte täglich viele bellende Mäuler zu stopfen und ein Hundehaus mit zwölf Innen- und Außenzwinger auf Hochglanz zu bringen.

      In den Sommermonaten war recht gut schaffen. Mit Wasserschlauch, Schrubber und Neutralseife ging es dem täglichen Schmutz an den Kragen. Im Winter allerdings, wenn alles zu Eis gefroren war, ging das natürlich in den Außenzwingern nicht. An den frostfreien Tagen musste man dann alles nachholen, was vorher liegengeblieben war. Aber auch diese Zeit ging wieder vorbei.

      Es war Anfang Juni, als meine ersten Welpen eintrafen. Es erreichte uns ein Hilferuf aus der 20 km entfernten Kleinstadt Markdorf. Ich kannte mich schon recht gut dort aus, weil wir ja die ersten 3 Jahre dort gewohnt hatten. Also wurde das Tierheim-Auto für den Transport der Hunde hergerichtet und los ging es. Zu zweit machten wir uns auf den Weg und die Vorfreude auf die ersten Hundekinder war groß. Lange suchten wir nach der uns genannten Adresse und fanden erst nach fast 20 Minuten das einsam gelegene kleine Holzhaus in der Nähe eines Wasserschutzgebietes. Idyllisch gelegen, ein kleines Paradies für Natur- und Tierfreunde.

      Es empfingen uns freundlich eine stark übergewichtige Frau und die Mutterhündin, sichtlich von der Aufzucht ihrer Jungen gezeichnet. Ihr Gesäuge war durch das lange Säugen der Kleinen stark angeschwollen und hing tief herunter. Sie hatte zehn süße Welpen geworfen und alle hatten es überlebt. Die Besitzerin hatte die Junghunde, die nun seit einigen Wochen entwöhnt waren, recht gut ernährt und alle kamen sie optisch zu 100 % auf ihre Mutter.

      Vermutlich war es nicht nur eine finanzielle Überlegung, die Hunde ins Tierheim zu geben, sondern es war ihr auch sichtlich zu viel geworden. Das ständige sich bücken müssen, um die Hinterlassenschaften der Kleinen