Angelika Marquis-Servos

PUSCHKINS GEHEIMNIS


Скачать книгу

was einem lästig geworden war. Aber natürlich nicht nur diese Problemfälle, sondern auch die ganz normalen Findelkinder. Von der kleinsten Zwergfledermaus angefangen, über einen bei uns selten gehaltenen Fennek, einen Wüstenfuchs, bis hin zum Affen kam so ziemlich alles im Laufe der Jahre zu uns.

      Die Anzahl der Fundtiere stieg von Jahr zu Jahr immer mehr an. Es war nicht nur ein finanzielles Problem, immer mehr Tiere versorgen zu müssen, sondern es wurde auch immer mehr zu einem großen Platzproblem. Es war abzusehen, dass wir um bauliche Veränderungen auf Dauer nicht herumkommen würden. Da war natürlich mein Mann als Vereinsvorsitzender gefragt.

      Die ersten Planungen für den Anbau eines weiteren Katzenzimmers und eines Kleintierhausanbaues begannen. Die Finanzierung musste gesichert werden. An erster Stelle stand nun wieder die Mitgliederwerbung. Der Verein zählte bei der Übernahme des Vorsitzes durch meinen Mann 670 zahlende Mitglieder. Ein starker Mitgliederzuwachs innerhalb der kommenden zwei Jahre verdeutlichte das neue Vertrauen in den Verein. Mittlerweile hatten wir fast 1000 Mitglieder! Diese Mitglieder stellten mit ihren Jahresbeiträgen eine erste Grundlage für die Finanzierung der geplanten Baumaßnahmen. Mein Mann führte zusätzlich Verhandlungen mit Stadt und Kreis, um Zuschüsse zu erhalten. Es war nicht einfach, aber irgendwann war die Planung abgeschlossen und es konnte mit dem Bau begonnen werden. Es wurde allerhöchste Zeit, denn die Katzenzimmer platzten bereits aus allen Nähten. Ganz besonders problematisch war es in der Auffangstation, in die erst einmal jede neuangekommene Katze aufgenommen werden musste. Die Stubentiger wurden dort zuerst einzeln in Boxen untergebracht, entwurmt, von Ektoparasiten befreit und geimpft. Erst wenn der Impfschutz aufgebaut war, durften sie im Zimmer mit ihren Artgenossen herumtoben und spielen. Da erwachsene Tiere auch noch kastriert werden mussten, konnte eine Box auch schon mal über vierzehn Tage belegt sein. Da die Tierzahlen auch bei den Katzen immer mehr anstiegen, wurde es mehr als eng. Überall standen Boxen mit jungen Katzenbabys, selbst in der Futterküche und im Heizungskeller musste man sie einquartieren.

      Von meiner Kollegin im Katzenbereich musste ich erst mal wieder über das Wesentliche bei der Jungkatzenaufzucht informiert werden. Die vielen Katzenkinder, die mutterlos hier abgegeben wurden, durften nämlich auf keinen Fall mit herkömmlicher Milch gefüttert werden. Immer wieder wurden welche eingeliefert, bei denen der Versuch, mit Kuhmilch die Kleinen großzuziehen, schon begonnen hatte. Stark abgemagerte Welpen mit fast nicht zu stillendem Durchfall waren die Folge. Es ist der Milchzucker, auf den die Katzen so gravierend reagieren. Da nützt es auch nichts, die angebotene Milch mit Wasser zu verdünnen. Schnell musste also eine spezielle Katzenaufzuchtsmilch besorgt werden. Es war ein Pulver, welches man im heißen Wasser auflöst. Die kleinste Dose kostete schon mehr als 12 Liter Vollmilch aus dem Supermarkt. Kein Wunder, dass jeder gut meinende Katzenfreund es erst einmal mit der herkömmlichen Milch versuchte. Aber die Folgen für die Katzenbabys waren fatal.

      Die winzigen Katzen mussten fortan alle drei Stunden gefüttert werden. Dazu kam noch das Bäuchlein zu massieren und von Zeit zu Zeit noch zu baden und wieder trocken zu föhnen. Nach Feierabend meiner Kollegin war es also meine neue Aufgabe, die kleinen Wollknäule am Abend und über die Nacht satt zu bekommen. Gut, dass ich im gleichen Gebäude wohnte und in einer Minute bei meinen Katzenbabys sein konnte. Wärmflaschen wurden gefüllt, die Katzenboxen mit kuscheligen Decken ausgelegt, alles, damit sich die Kleinen auch wohl fühlten. Am besten war es natürlich für die Jungkätzchen, wenn sie mit ihren Geschwistern eingeliefert wurden. Sie konnten sich aneinander kuscheln und hatten den so wichtigen Hautkontakt.

      Für uns Pfleger bedeutete es eine gewaltige zusätzliche Arbeit, denn es kostete enorm viel Zeit, die Babys mit der Flasche großzuziehen. Alles, was die nicht vorhandene Katzenmutter getan hätte, musste nun von uns übernommen werden. Bei einem mittelgroßen Wurf von vier bis sechs Kätzchen dauerte es mindestens 20 - 30 Minuten, bis alle satt waren und wieder entleert und gesäubert in ihren Quartieren lagen. Dann hatte man gute zwei Stunden „Luft“, bis die Ersten wieder unruhig wurden und nach ihrer Milch verlangten. Erst als sie anfingen, feste Nahrung zu sich zu nehmen, hatte sich dann die Lage wieder etwas entspannt. Das tägliche Baden war dann unumgänglich, weil die kleinen Wollknäule meistens mit zwei Pfoten im Futter standen und rein hauten wie kleine Löwen. Dementsprechend sahen sie danach auch aus.

      Am Schönsten war es immer, wenn ein kleines Einzelkind eingeliefert wurde. Auch das kam von Zeit zu Zeit vor, aber eben nur selten. Das waren dann immer ganz besondere Erlebnisse.

      Da wurde eines Abends ein Winzling, kaum größer als mein Daumen, in das Tierheim gebracht. Ich schätzte ihn auf vielleicht höchstens drei Tage. Sein Fell hatte eine graue Farbe und sofort kamen Muttergefühle auf. Für diese Fälle hatte ich immer meine bewährten Brusttäschchen zur Hand. Mit einem ausgedienten Waschhandschuh und einem Band, um ihn um den Hals zu binden, war ich bestens ausgestattet, so ein kleines mutter- und geschwisterloses Findelkind gut zu versorgen. Ich trug es immer unter meinem Shirt oder Pullover, konnte ständig Kontakt halten und nach dem Trinken und Säubern wanderte das kleine Wesen wieder in den Waschhandschuh. Wenn dann am zehnten Tag das winzige Kätzchen endlich die Augen öffnet, sieht es als erstes seine Ersatzmutter.

      Es sind immer ganz besondere Beziehungen zu den Flaschenkindern gewesen, aber noch mehr natürlich zu den handaufgezogenen Einzelkindern. Kein Interessent war mir jemals gut genug für diese mir so lieb gewordenen Jungkatzen und es waren schon einige, die in unserem Haushalt hängen geblieben waren. Aber auch für viele habe ich Traumplätze gefunden, bei denen sie liebevoll aufgenommen wurden.

      Hätte man mir damals gesagt, dass ich in den Jahren meiner Arbeit im Tierheim so an die 250 bis 300 mutterlose Katzen aufzuziehen hätte, wäre ich vermutlich davongelaufen. Es war ja schließlich nicht meine einzige Aufgabe in dieser Zeit. Bei nur drei bis vier eingelieferten Würfen im Jahr, die ohne Katzenmutter vorbeigebracht wurden, kommt schnell im Laufe der Jahre eine Menge zusammen. Manchmal waren es auch mutterlose Marder, kleine Füchse, junge Igel oder auch mal aus dem Nest gefallene Eichhörnchen, die mit Flasche oder, wie ich es ganz gerne machte, mit einer kleinen Spritze aufgezogen wurden. Meine Vorliebe hatte stets den Säugetieren gegolten.

Frau mit Katze Katze mit spritze

      Handaufzucht - eine von vielen

      kleine Hexe

      Jungfuchs

2Fuechse

      Zwei Füchse im Gehege – Tom mit kleinem Kameraden

jung_jonny

      verstoßenes Jungschaf Jonny

schafbock

      Jonny als stolzer Schafbock

      Eine Folge der Handaufzucht ist die extreme Zutraulichkeit zu den Menschen. Das trifft auch gerne auf die Wildtiere zu. Egal ob Fuchs, Marder oder Rehkitz. Die Tiere wurden fast immer zahm, wenn man sich intensiv mit ihnen beschäftigte. Mit dem Fuchs konnte man an der Leine im Wald spazieren gehen, der Marder spielte mit den Katzen im Wohnzimmer und das ausgewachsene Reh kam noch nach Jahren fast täglich zu Besuch in den eigenen Garten und ließ sich bereitwillig streicheln.

      Da war zum Beispiel der Fuchs „Tom“. Eine Familie aus dem etwas weiter entfernten Tuttlingen hatte ihn als kleinen Welpen nachts am Straßenrand entdeckt. Sie dachten, sie hätten einen kleinen Dackel gefunden, und nahmen ihn mit nach Hause. Dort wurde er die nächste Zeit gehalten wie ein junger Hund und liebevoll betreut. Eigentlich hätten die tierlieben Finder doch riechen müssen, was sie da vor sich hatten. Aber sie kannten wohl den typischen Wildgeruch eines Fuchses damals noch nicht. Noch heute nehme ich bei Spaziergängen im Wald immer wieder die Füchse wahr, die sich an den verschiedensten Stellen herumtreiben.

      Nach