Gabi Scheren

Der Schrei eines Untieres


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      Gabi Scheren

      Der Schrei eines Untieres

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Das letzte Tabu

       Schneewittchen auf Hawaii

       Sonja, Kalb und die Nacht

       Tiger mit Rasterzöpfen im Fenster

       Bäume auf der imaginären Wiese

       Unter der Lupe im Café

       Zwischen Gefängnis und Kläranlage

       „Das ist der Wahnsinn!“

       Klinikpate und die Schöne

       Wenn das Rentier beißt

       Auge in Auge

       Psyche gegen Pharmaka

       Visite des Psycho-Gurus

       Fuck-Problem mit der Harmonie

       Komm, mein Tiger!

       Ohne Seil

       Eine irre Weihnachtsgeschichte

       Eine verrückte Gretel und ein schwuler Hans

       Kein davor und kein danach

       Ich muss an dich denken, Ulrike!

       Wenn wir nicht schlafen

       Sagen oder nicht sagen?

       Luises Abschied

       Ein kurzer Prozess

       Hyänen und Geier

       Auch verrückt!

       Karamell

       Unser Tag

       Durch die rote Tür

       Ich bin bereit

       Impressum neobooks

      Das letzte Tabu

      Ich fuhr hierher mit einem von den Schulkindern überfüllten Bus an einem warmen sonnigen Herbsttag, der hinter dem Fenster im Überfluss der Farben glänzte. An den Tagen wie der heutige müsste man Frieden mit sich selbst und der Welt schließen und an die Gnade des Himmels glauben. Die Sonnenstrahlen drangen hindurch und streiften mein Gesicht, angelehnt an die Scheibe. Ich glaubte die Berührung zu spüren. Auf meiner Haut, die sich danach sehnte. Nach Liebkosungen. An die Gnade des Himmels glaubte ich jedoch nicht. Der Himmel war unerreichbar und seine Gnade gab es für mich nicht, weder gestern, noch heute. Auch nicht in der Zukunft. Davon war ich überzeugt.

      Mein ganzes Wesen von Kopf bis Fuß erfüllte eine schwere Hoffnungslosigkeit. Ihre feuchtdunkle Materie war mir inzwischen sehr vertraut. Ich war sie und sie war ich. Eine Einheit. Um sie von mir zu trennen, hätte man mich durchschneiden, tiefe Schnitte durch die Haut, Sehnen und Muskeln bis zu den Knochen führen müssen. Und noch weiter, auch die Knochen zertrümmern, um die Hoffnungslosigkeit zu entfernen.

      Ich schloss meine Augen und grenzte mich von der Umwelt ab. Sie verschwand trotzdem nicht und raschelte, knirschte, hupte, lachte und rief unbekannte Namen, die ich nicht wissen wollte. Als ob der ganze Bus über mich hergefallen wäre und mich zu Boden drückte. Im Nu zerbarst ich wie ein Glas. Ich musste mich sammeln: die verstreuten Teile eines zerbrochenen Spiegels, der nur ein verzerrtes Bild abgeben kann. Wobei mich ermüdete, dem lebhaften Treiben zuhören zu müssen, und unter der Flut der Geräusche nicht unterzugehen. Diesen Schwall konnte ich nicht aushalten. Mich selbst konnte ich nicht aushalten. Ich litt, ohne wirklich zu leiden. Mein Schmerz existierte physisch im Grunde genommen nicht. In seiner Nicht-Existenz zeigte er sich dennoch allgewaltig und erfasste nicht nur mich, sondern auch mein Umfeld.

      Die Strecke führte aus der Stadt hinaus über die flache Landschaft und die Dörfer, die auf den beiden Seiten der Straße kauerten. Für mich endete sie in einer überschaubaren Siedlung.

      Ich stieg aus. Mein Herz schlug dumpf und laut. Eine schwere Glocke in meiner Brust. Ich blieb stehen und war im Begriff in den Bus zurückzukehren. Ein letzter Versuch. Als ich mich umdrehte, fuhr der Bus schon weiter und mit ihm entfernte sich die Möglichkeit davonzulaufen. Meine Hände zitterten, während ich aus meiner Tasche ein gefaltetes Blatt Papier herausholte: die Beschreibung, die ich mir vorbereitet habe. Sie nutzte mir allerdings wenig. Obwohl ich den Hinweisen auf dem Blatt getreu zu folgen glaubte.

      Die wenigen Häuser vermehrten sich augenblicklich und erdrückten mich mit einer unübersichtlichen Masse. Ich beschleunigte, als ob ich dadurch die Gegend bezwingen könnte, bis ich merkte, dass ich die gleichen Gassen und Schilder zum zweiten Mal sah. Ein Gefühl der Unwirklichkeit breitete sich in mir und darüber hinaus. Ich verlor unausweichlich die Verbindung zur Realität und rutschte in die Panik, die mich hineinsog wie ein Sumpf. Aus der gleichen Materie bestehen Alpträume. Ich verlief mich in ihnen andauernd auf eine unterschiedliche Art und Weise, und suchte verzweifelt in den bekannten und unbekannten Städten, auf den Feldern und in den Wäldern nach einem Zeichen, das mich retten sollte. Wovor? Vor Vernichtung. Vor unbekannter Bedrohung, die sich nie konkret darstellte. Dadurch wurde sie noch schrecklicher, wie alles, was man nicht begreift. Meine Panik durchbrach soeben die Barriere zwischen der Gegenwart und der Mär. Ich wackelte auf den Beinen und kämpfte mit einer plötzlichen Übelkeit. Was sollte ich tun? Das verfluchte