Tilman Janus

Klasse Kerle


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der Sahara normalerweise nicht so übermäßig heiß. Außerdem bin ich ein kräftiger, gut trainierter Typ. Diesmal jedoch zehrte der tagelange Fußmarsch an meiner Substanz. Ich schlich nur noch mühsam dahin. Die Füße schmerzten in den festen Schuhen, die Gurte meines Rucksacks scheuerten mir durch die leichte Tropenkleidung hindurch die Haut auf.

      Ich schob meinen Hut etwas weiter zurück und blickte mich in der gleißenden Helligkeit um. War der Weg noch der richtige? Ich befragte meinen Kompass. Lief ich bereits im Kreis und würde nie an die Oase kommen, die ich – nach meinem Plan – am Abend erreichen müsste?

      Ich setzte mich auf einen der heißen, rötlichen Felsen, die aus den Geröllflächen ragten, und hängte meine letzte gefüllte Wasserflasche vom Rucksack ab. Überrascht schüttelte ich die Flasche – sie war fast leer! Das war mir noch nie passiert! Und dann sah ich die Ursache: Das Alugehäuse war eingebeult und hatte ein winziges Loch. Wahrscheinlich hatte die Flasche am Morgen, als ich mich durch eine Spalte des Ahaggar-Gebirges gezwängt hatte, einen Schaden abbekommen, und das Wasser war langsam herausgetropft.

      Ich war noch mindestens drei Tagesmärsche von Tamanrasset entfernt, der größten Stadt am Südwesthang des Ahaggar-Massivs. Sie ist mit ihrem Flughafen der Ausgangspunkt aller Algerientouren, doch auch sie ist nur eine Provinzstadt mit 76.000 Einwohnern, trocken und kärglich.

      Mit meinen brennenden Augen studierte ich die Landkarte, dann wieder den Kompass. Die winzige Oase, die ich nun unbedingt erreichen musste, versteckte sich in einer Gebirgssenke, die aus einer unterirdischen Quelle etwas Feuchtigkeit bezog. Ich zweifelte fast daran, dass ich diese Oase finden würde. Aber ich musste weiter, um Wasser zu suchen.

      Die Sonne stach herab. Es waren die heißesten Nachmittagsstunden, die ich sonst öfter unter meinem Zeltdach verbracht hatte. Doch heute hatte ich dafür keine Zeit. Ich stolperte über einen Felsbrocken und stürzte. Ein wahnsinniger Schmerz durchzuckte mein rechtes Knie. Ein messerscharfer Stein hatte sich durch meine Hose ins Fleisch gebohrt.

      Ich rastete erneut und desinfizierte die Wunde. Es tat höllisch weh. Dann humpelte ich weiter. So würde ich wohl nie irgendwo ankommen!

      Mein Knie schwoll langsam an, bis ich es kaum noch bewegen konnte. Immer wieder musste ich anhalten. Der Durst plagte mich bis zum Wahnsinn. Die flirrende Hitze gaukelte mir weit entfernt einen See vor – eine Fata Morgana, ich wusste es, und mein Durst wurde noch schlimmer.

      Nach einer Stunde qualvollen Marsches sackte ich erschöpft im Sand zusammen. Die Sonne neigte sich dem Horizont zu. Ich wollte warten, bis es kühler wurde, und in der Nacht weitergehen. Ich konnte kaum noch sehen mit meinen zugeschwollenen Augen.

      Eine neue Fata Morgana erschien. Von fern läuteten winzige Glöckchen. Ein blau vermummter Reiter kam hoch zu Kamel auf mich zu. So weit war es mit mir schon gekommen, dass ich Gespenster sah!

      Der Reiter kam näher. Ich rieb mir die Augen und starrte ihm entgegen. War er doch real?

      Er trug einen dunkelblauen Turban, dessen Stoffbahn auch seine untere Gesichtshälfte und den Hals verdeckte. Dazu hatte er ein langes, indigofarbenes Gewand an und schwarze Hosen, die an den Säumen mit weißem Garn bestickt waren. Seine nackten, braunen Füße kreuzten sich über dem wolligen Kamelhals.

      Das Dromedar war prächtig aufgeputzt mit besticktem Halsband und einem hohen Sattel, von dem lange, kostbare Stammesabzeichen seitlich herabhingen. Der Sattel hatte hinten eine schmale, lederbezogene Rückenlehne und endete vorn in einer dreiteiligen Gabelung, die mit buntem Stoff und farbigem Leder verziert war. An der Rücklehne und der Gabelung hingen zahlreiche silberne Glöckchen – die Ursache des Läutens, das ich gehört hatte.

      Der Fremde war offenbar ein Imuhagh, ein hochgestellter Adliger der Tuareg, der stolzen Nomadenvölker der Sahara.

      Er ließ sein Kamel niederknien und sprang aus dem Sattel. Er war kleiner als ich, wirkte aber hoch und stolz. Langsam kam er auf mich zu.

      Ich sah zu ihm auf. Er war eine wundervolle, fantastische Erscheinung. Er sagte etwas, das ich nicht verstand. Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte etwas Arabisch gelernt und sprach auch Französisch, aber Tuareg konnte ich nicht. Ich versuchte es mit Arabisch und grüßte ihn ehrerbietig.

      »Sei gegrüßt, Fremder!«, antwortete er nun auch auf Arabisch. Ohne weiter zu fragen, reichte er mir seine Wasserflasche. Ich musste einen jämmerlichen Anblick bieten! Gierig trank ich.

      »Meine Flasche ist kaputt«, erklärte ich ihm und hielt sie hoch. »Kein Wasser mehr! Ich wollte zur Oase Tahet Aheggar, aber mein Knie ist auch kaputt.« Die arabischen Wendungen, die mir nicht einfielen, füllte ich mit Französisch auf. Ich lächelte ihn schief an. Ich sah nur seine dunklen Augen und die schwarzen, starken Brauen. Der blaue Turbanstoff, der Tagelmust, bedeckte Stirn und Nase sowie Mund und Kinn. Ein verschleierter Mann! Ich hatte einmal gelesen, dass die Männer der Tuareg bei den Ritten durch die Wüstengebirge von Geistern bedroht werden, die durch den Mund Besitz von ihnen ergreifen wollen. Der Tagelmust schützt dagegen. Natürlich schützt er auch vor Sand und Staub und vor dem Austrocknen der Lippen, aber das war bestimmt nicht so wichtig wie der Schutz vor bösen Geistern.

      »Die Oase Tahet Aheggar ist sehr weit weg, einen halben Tagesritt von hier«, sagte er und machte eine ausholende Geste zum Gebirge hin. »Du bist mein Gast heute Nacht. Ich bin Imuhagh Taouri.«

      Ich fasste mein Glück kaum. Ein Schutzengel musste mir diesen Mann geschickt haben. Taouri hieß mein Retter also.

      »Mein Name ist Gerhard«, gab ich zurück und bedankte mich überschwänglich.

      Er griff unter meinen Arm und half mir hoch. Mein schwerer Rucksack hing wie Blei am Rücken, und mein Knie war total hinüber. Wie sollte ich vorwärts kommen?

      Taouri führte mich zu seinem ruhig daliegenden Kamel. Ich durfte in dem prächtigen Sattel Platz nehmen. Die Füße kreuzte ich allerdings nicht nach Tuareg-Art über dem Kamelhals, um das arme Tier nicht mit meinen Stiefeln zu treten.

      Das Dromedar stand schwankend auf. Ich fiel zuerst etwas nach hinten, dann halb vornüber und zum Schluss hintenüber, bis das Tier endlich stand. Mein Retter, der Wüstenprinz Taouri, führte es am Halfter. Der stolze Krieger lief zu Fuß, um seinem Gast zu helfen.

      Die Sonne versank gerade hinter dem Horizont, als wir zu einem großen Lederzelt kamen. Es war kunstvoll aus Schaf- und Ziegenfellen zusammengefügt und hob sich in einer windgeschützten Senke dunkel vom verschwimmenden Licht des Tages ab.

      Taouri half mir aus dem Sattel, band seinem Kamel die Füße zusammen, schlug das Fell vom Eingang zurück und führte mich hinein.

      Der Innenraum war fast dunkel. Taouri zündete eine Öllampe an. Ich erkannte im flackernden Lichtschein einen großen, schön geknüpften Teppich und zahlreiche Kissen. Am hölzernen Zeltgestänge hingen ein paar Ledersäcke, vermutlich mit Vorräten und Wasserreserven. In der Mitte des Zeltes gab es einen kleinen Kocher und eine Teekanne mit winzigen Gläsern.

      Ich setzte mich auf eines der Kissen und legte meinen Rucksack ab. Taouri holte vom Kamel noch sein Gepäck herein. Er packte Tee, Zucker und Tagella, das Weizenbrot aus. Offenbar hatte er auf dem Markt von Tamanrasset eingekauft. Nachdem er sein Dromedar mit Futter versorgt hatte, kam er ins Zelt zurück und setzte sich mir gegenüber.

      Langsam wickelte er den blauen Tagelmust von seinem Gesicht. Ich blickte ihn gespannt an. Durfte ich das? Sein Gesicht sehen? Wohl ja, denn sonst hätte er sich nicht aus dem Stoff befreit.

      Fasziniert erkannte ich, wie gut er aussah. Er war bestimmt um die zehn Jahre jünger als ich. Das schwarze Haar trug er kurz geschnitten, fast wie ein Europäer. Seine Nase war gerade und sehr schön, seine Wangen schmal und glatt. Über den vollen Lippen sprossen ein paar wenige Barthaare. Sein Kinn wirkte energisch, sein Hals schlank. Die hellbraune Haut schimmerte verführerisch im Lampenlicht. Aber am schönsten waren doch seine tiefen, dunklen Augen.

      Taouri setzte Teewasser auf. Als es kochte, goss er es in die ziselierte Metallkanne, in die er vorher grüne Teeblätter hineingetan hatte. Dann schenkte er zwei Gläser ein und reichte mir eines. Während der Teezubereitung hatten wir beide geschwiegen.

      »Du