Önne Hedlund

Die Götter mit den blauen Haaren


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können nicht so schnell“ ruft Varus. Albert dreht sich um und ist erstaunt über seinen Vorsprung. Mürrisch stiefelt er zurück. „Die Spur wird verweht, wenn wir so schleichen! Geht ihr zur Hütte und wartet dort auf uns, wir kommen später mit der Kuh dorthin zurück.“ „Keiner weiß, wann ihr die Kuh erwischt, wir warten bis morgen Früh auf euch und schlagen uns dann alleine durch, bei dem Schnee brauchen wir sicherlich drei Tage bis zum Dorf“ keucht Varus. „Gut, wir geben euch unseren Proviant — wir kommen auch ein paar Tage ohne Essen aus — und wenn absehbar ist, dass wir es bis morgen Früh nicht zur Hütte schaffen, gehen wir mit der Kuh direkt zum Dorf.“ Erwidert Albert und übergibt, wie auch Eras, seinen Proviantbeutel.

      „Viel Glück — aber bleibt immer auf unserem Gebiet sonst erzürnt ihr die Götter“ predigt der Priester, dessen Atem sich inzwischen beruhigt hat. „Woher sollen wir die Grenze kennen, wir haben dich ja deswegen mitgeschleppt, damit du uns das Ende unseres Gebietes zeigst.“ grollt Eras. „Ihr kennt die Grenze so ungefähr, und wenn ihr sie in diesem Notfall, ohne Priester, unwissentlich ein bisschen überschreitet, drücken die Götter sicherlich ein Auge zu. Lasst euch von eurem Gewissen leiten. Ihr dürft aber nicht übertreiben.“ Mahnt Varus. Danach trennen sich die Gruppen. Außer Hörweite wundert sich Eras „Der Alte wird allmählich sonderbar, gestern sticht er mich, wegen ein paar Schritten fast ab und heute können wir uns von unserem Gewissen leiten lassen.“ Albert bleibt eine Antwort schuldig, schreitet aber schneller aus, sodass Eras die Lust an einer Unterhaltung vergeht.

      Bei der Hütte angekommen suchen sich Iogi und sein Großvater eine schneefreie Sitzgelegenheit, um zu frühstücken. Sie essen still, jeder ein bisschen enttäuscht, dass er noch nicht oder nicht mehr mit den jungen Männern mithalten konnte. Iogi bricht das Schweigen. „Was machen wir jetzt? Mir ist langweilig.“ Der Priester lächelt müde. „Warten — ich werde in der Hütte etwas stille Zwiesprache mit den Göttern halten, das könnte dir auch nicht schaden.“ Das ist keine verlockende Aussicht für einen Vierzehnjährigen, er greift nach seinem Stab, hängt sich seinen Vorratsbeutel um und entgegnet: „Ich schaue mich hier lieber etwas um — ich möchte dich bei deinen Gebeten nicht stören.“ „Na gut“ erwidert Varus „aber halte dich nur in diese Richtung, damit du in unserem Gebiet bleibst — verstanden!“

      Iogi nickt und stapft in die angegebene Marschrichtung davon.

      Er ist der Lieblingsenkel von Varus, schlank, einssiebenundsechzig groß, muskulös und vor allem, für sein Alter, sehr überlegt in seinem Verhalten. Dies ist sicherlich der Grund, warum sich die Beiden so schätzen und er den Priester oft begleiten darf.

      Der Schnee beginnt in der Vormittagssonne bereits zu tauen, in dieser breiig werdenden Masse wird das Vorwärtskommen immer mühsamer. Iogi wendet sich nach rechts, in der Hoffnung die Spur der beiden „Kuhjäger“ und sie selbst zu finden. Nach einiger Zeit findet er sie tatsächlich, die Fußabdrücke der beiden Männer sind noch deutlich genug um ihre Richtung zu bestimmen, und folgt der Fährte auf müden Beinen. Etwas später verliert der Junge jedoch die Lust an der Verfolgung und schlurft, nach einer kurzen Essenspause, auf der Spur durch den Matsch zurück in Richtung Hütte.

      Es kommt ein warmer Wind auf und manchmal hört man den fernen Donner eines aufziehenden Gewitters. Iogi erreicht die Stelle der Fährte, an der sich heute Morgen die beiden Männer von ihnen getrennt hatten. Er möchte seinen Opa überraschen und hält sich nun in einem dicht bewachsenen Waldstück parallel zur Spur. Bald kommt die Hütte in Sicht. Kurz danach sieht er auch seinen Opa, der mit dem Rücken zu ihm steht und wild mit den Armen durch die Luft wedelt, als ob er eine Kuh aus dem Garten scheuchen will.

      Merkwürdigerweise ist kein zugehöriger Ruf zu hören. Iogi schleicht sich langsam, immer gut in Deckung, näher. Da sieht er es - beziehungsweise ihn, ein sehr großer, massiger Mann hält auf seinen Großvater zu und lässt sich von dessen wilden Gesten nicht aufhalten. Iogi ist versucht seinem Opa zu Hilfe zu eilen und fasst seinen Speer fester, doch ihm ist klar, dass sie, ein alter Mann und ein Knabe, gegen diesen heranschreitenden Hünen keine Chance haben. Warum ist Großvater nicht geflüchtet, als es noch möglich war; stattdessen wedelt er nur weiter schweigend mit den Armen.

      Das Gewitter ist näher gekommen. Einzelne Windböen wechseln sich mit nahezu windstillen Phasen ab. Der Fremde bleibt einige Schritte vor Großvater stehen und der Wind weht einzelne Wortfetzen an Iogis Ohren. „Hallo - zu spät - Mühe“ Großvater lässt die Arme sinken und entspannt sich etwas, auch seine Worte sind nur teilweise verständlich. „Selbstmö.. .schnell um, vielleicht ... Götter ... wissen ... einsichtig, dass ich dich nicht ... bald ... zwei Männer ... töten.“ Die ersten Tropfen, mehr Regen als Schnee werden heran geweht, der Fremde zeigt zur Hütte und die beiden Männer kommen näher. Mit Schrecken und Erstaunen erkennt Iogi, dass der fremde Hüne, wie auch Varus, den dicken, goldenen Halsring als Zeichen der Priesterwürde trägt. Großvater lässt dem Unbekannten den Vortritt und schlüpft nach ihm gebückt in die Hütte. Iogi nutzt die Gelegenheit und kriecht näher heran, obwohl er auf dem kalten, nassen Boden im Regen liegt, ist ihm vor Neugier ganz heiß, er versucht erneut der, jetzt besser verständlichen, Unterhaltung zu folgen. ... „Wir haben das Jahr neununddreißig nach der Errettung durch die Götter, du warst also bei ihrer Ankunft schon erwachsen.“ — „ Du brauchst nicht weiter zu fragen, wie jeder und als Priester ganz besonders, weißt du, dass Nachforschungen vor das Jahr null verboten sind und von den Göttern mit dem Tod bestraft werden. Ich lebe nur weil ich meinen Schwur, darüber zu schweigen und jeden Frager den Göttern zu melden, halte.“ Nach diesen Worten wird Iogi plötzlich die Kälte bewusst und auch, dass er selbst seinen Großvater nie in dieser Richtung befragen darf. Der Fremde hat nicht so viel Skrupel und lacht. „Du kannst mich ruhig anzeigen, das ist nur eine Lappalie, was glaubst du, warum ich mein Dorf verlassen habe und hier, in für mich verbotenem Gebiet, bin? — Ich habe zwei von diesen allmächtigen Göttern getötet!“ Iogi kann seinen Aufschrei gerade noch unterdrücken und er spürt auch das Entsetzen, das seinen Großvater befällt. Nach einer Pause geht das Gespräch weiter. „Wie konntest du das tun!“ „Sie haben meine Theresa vergewaltigt.“ Es herrscht wieder Stille, danach spricht Varus salbungsvoll wie bei seinen Predigten in der Kirche. „Es ist eine Gnade, wenn sich ein Gott einem Dörfler zuwendet und eine Ehre für all seine Verwandten und Freunde. Du müsstest dankbar sein, dass die Götter deine Frau erwählt haben.“ „Ist mir bekannt, ich bin Priester wie du und habe diese scheinheiligen Phrasen selbst viel zu oft gepredigt. Aber Theresa hat diese göttliche Zuwendung nicht überlebt und sie war nicht meine Frau, sie war meine Tochter — und sie war vier!“

      Das lähmende Entsetzen das diese Worte auslösen ist noch schlimmer als das nach dem Gottesmordgeständnis. Nach einer langen Pause hört Iogi, wie im Traum, Varuss Stimme, sie klingt freundlich und zugleich sachlich distanziert. „Es tut mir leid, dennoch muss jeder Dörfler dich, nach dem Gebot der Götter, töten oder dich den Göttern ausliefern. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit um deinen inneren Frieden zu finden, denn die Götter oder die Dörfler werden dich bald zur Strecke bringen. Wenn meine beiden jungen Männer zurück sind, muss ich sie auf dich hetzen.“ „Ha-ha, jung und dumm, glaubst du, dass sie wirklich dumm genug sind, um sich mit mir anzulegen?

      In meinem Dorf haben es einmal fünf Männer versucht, drei von ihnen können heute, nach eineinhalb Jahren, noch nicht richtig arbeiten. Und die zwei allmächtigen Götter, sie hielten sich für unbesiegbar — ich habe einem das Genick gebrochen und den anderen mit meinem Speer an den Boden genagelt. Ich fürchte weder Menschen und erst recht keine Götter, denn bei dem Wetter werden die hohen Herren nicht im Wald herum suchen und das Risiko eingehen von mir getötet zu werden.“ „All dein Selbstbewusstsein und deine Stärke wird dir nichts nützen, die Götter die dich jagen haben Waffen jenseits deiner Vorstellungskraft, sie werden dich vernichten und ihr Risiko ist kleiner, als das Risiko eine Fliege zu erschlagen.“ „Diesen Schwachsinn habe ich auch gepredigt, weil auch ich die Predigten gehalten habe, die die Götter mir vorgegeben haben aber ich habe nie daran geglaubt. Du bist ein altersschwacher Feigling und fürchtest dich vor den leeren Worten der Blauhaarigen.“ Aus der Ferne hört man das Muhen einer Kuh, Albert und Eras werden bald zurück sein. Weil der gescholtene Varus beschämt schweigt, fährt der fremde Priester fort. „Ich gehe jetzt, sonst muss ich deinen Männern womöglich wehtun. Und grüße die Götter von mir — aber demütig, wie