Önne Hedlund

Die Götter mit den blauen Haaren


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Aufgaben in Haus und Garten, die er sich jedoch mit seinem Bruder Karl und seinen Schwestern Rita und Iris teilt. Eine weitere Freizeitbegrenzung ist der Gottesdienst, den alle Kinder von sechs bis vierzehn Jahren wöchentlich besuchen müssen, doch es bleibt Zeit genug für Spiel und Dummheiten, manchmal ist ihm sogar langweilig.

      Heute steht für ihn eine interessante Aufgabe an, dafür ist er selbst vom Gottesdienst befreit.

      Die Dorfgemeinschaft hält nur maximal neunzig Schweine auf einer umzäunten Koppel, die restlichen werden von den jungen Männern im Wald gehütet. Das heißt, die Hirten versuchen irgendwie zu wissen, wo sich die halbwilden Rotten aufhalten, füttern sie hin und wieder an und sorgen vor allem dafür, dass sie von den Mieten für die Wintervorräte fernbleiben. Die Schweinehirten sind immer für mehrere Tage draußen und werden meist täglich mit Proviant versorgt. Einer solchen Versorgungsmannschaft darf sich Iogi heute anschließen. Unter der Führung von Klaus schultern Eras, Miro, Swen und Iogi ihre Rucksäcke und machen sich auf den Weg. Da die Hirten eher den Schweinen folgen als umgekehrt, ist es für die Versorger immer spannend ob, wann und wo sie die Hüter finden, für Iogi, Swen und mit Abstrichen auch für Miro, ist das Verstecken spielen im Großen. Klaus ist aber sehr erfahren, er steuert, in der von ihm vermuteten Richtung, einen, ihm bekannten, Aussichtspunkt an und schickt Miro dort auf eine gut besteigbare Fichte. „Rauch voraus beim kleinen See“ ruft der hinab. „Also noch eine Stunde“ stellt Klaus fest und geht zügig voran. Am See werden sie von zwei Hirten am Feuer freudig begrüßt. Die Neuankömmlinge stillen zunächst ihren Durst mit Wasser aus dem See, suchen sich geeignete Sitzunterlagen und nehmen am wärmenden Feuer Platz. Die Großen, bei denen Miro auf Grund seiner Körpergröße und seines Auftretens voll akzeptiert ist, sind bald in eine Unterhaltung vertieft, die Swen und Iogi nicht interessiert. Und so verabschieden sie sich zur anderen Seite des Wassers um dort, wo der See von einem Bach gespeist wird, zu fischen. Nach der fünften Forelle erreicht sie ein Ruf vom gegenüber liegenden Ufer. Miro winkt ihnen zu, zurückzukommen. Sie erreichen ihn nach einer viertel Stunde, er ist allein. „Die Schweine sind Richtung Sumpfwald ausgebrochen.“ Erklärt er. „Die anderen verfolgen sie und wir sollen nachkommen.“ Iogi und Swen nehmen ihre Rucksäcke mit dem Proviant auf und folgen dem voranschreitenden Miro.

      Tja Miro, obwohl er sein Cousin ist, ist Iogi selten mit ihm zusammen. Dies liegt nicht nur am Altersunterschied, sondern daran, dass der siebzehnjährige Miro bereits größer als mancher Erwachsene ist. Auch sein Verhalten ist schon sehr männlich, er kann glaubhaft über das Thema Nr. 1 mitreden, denn er ist der Schwarm vieler Mädchen, die gerne die Gesellschaft dieses schlaksigen, und rundherum netten, Jungen suchen. Da ist für den kleinen Cousin natürlich nur wenig Platz. Iogi weiß das, fühlt sich aber dennoch von Miro angezogen.

      Nach einiger Zeit erreichen sie den Anfang des Sumpfwaldes. Der Boden ist morastig und über dem Untergrund breitet sich ein Gewirr von, zum Teil freiliegenden, Baumwurzeln aus, zwischen denen die Schweine gerne herumwühlen. Miro führt die Jungs durch einen abfallenden Hohlweg als sie plötzlich einem der mächtigen, halb verwilderten, Keiler gegenüberstehen, die sich gerne hier herumtreiben. Das Schwein, das zwar daran gewöhnt ist, hin und wieder von Männern getrieben zu werden, spürt die Angst der Halbwüchsigen und trabt trotzig auf sie zu. „Zurück!“ schreit Miro und wendet sich zur Flucht. Auch Swen und Iogi geben Fersengeld. „Ah — mein Fuß“ kreischt Miro. Iogi dreht sich um und sieht den Cousin am Boden liegen, sein Fuß hängt verdreht unter einer Wurzel, der Keiler ist nur zehn Schritte entfernt.

      Laut schreiend schleudert Iogi seinen Speer über Miro hinweg und trifft tatsächlich das Schwein mitten auf der Stirn. Der Speer, ein jugendgerechter Haselnussstecken, tropft vom Kopf des Keilers ab ohne Schaden anzurichten und doch, das Schwein bleibt verwundert stehen, grunzt, dreht sich um und trottet davon. Miro kann sein Glück kaum fassen. „Gut gemacht Iogi, ich bin dir jetzt etwas schuldig.“ „Es ist gut dich zum Freund zu haben“ erwidert Iogi.

      Miro hat gerade seinen Fuß von der Wurzel gelöst, da taucht, durch die Schreie alarmiert, Klaus auf. Während er sich Iogis Heldentat anhört, untersucht er Miros Fuß, schmiert etwas kalten Morast darauf und feixt: „Vorsichtig laufen und arbeiten ist mit dem Fuß möglich, nur vor den Mädchen kannst du jetzt nicht mehr so schnell davonlaufen.“ Miro grinst nur schmerzverzerrt und verlegen zurück, hinkt aber ohne Hilfe bis zu Lagerplatz.

      Einige Tage später: Iogi hat das perfekte Versteck entdeckt. Hier finden die anderen Kinder ihn nie, auch wenn nach und nach alle nach ihm suchen werden, der Sieg im Versteckspiel ist ihm sicher. Er liegt im Hohlraum der Kirchendecke und blickt durch ein Astloch genau auf den Altar. Wenn die anderen Kinder sich überhaupt in die Kirche herein trauen und unter ihm suchen, darf er nur nicht lachen. Tatsächlich öffnet sich bald darauf die

      Kirchentür, Großvater tritt ein — begleitet von einem Gott. Nun aber mucksmäuschenstill und keine Bewegung sonst gibt es Riesenärger denkt sich Iogi. Er hat diesen Gott bereits öfter beim Großvater gesehen. „Magst du ein Bier, Albano?“ fragt Varus weder salbungsvoll noch demütig.

      „Gerne Brink“ antwortet der Gott. Iogi hat dies schon einmal gehört, wenn die Beiden sich allein fühlen, nennt Uhrgroßvater diesen Gott „Albano“ und der sagt „Brink“ zu ihm. „Setz dich an den Altar, hier ist das Bier, was führt dich zu mir?“ redet Varus weiter. „Die Stadtverwaltung möchte Hasen jagen.“ „Braucht ihr dazu meinen Segen?“

      „Der Spruch ist wirklich gut, Brink.“ Lacht der Gott und entfaltet ein großes, buntes Papier auf dem Altar. Es zeigt, aus Iogis Sicht, merkwürdige Muster: Ganz grob erinnert es an ein Rad; die Nabe in der Mitte, die Speichen und der äußere Bereich, sind schwach Rosa, die dazwischen, eingeschlossenen Bereiche entweder weiß oder blass gelb. Die Speichen sind auch nicht gerade oder gleichmäßig dick, sodass man das Ganze auch als eine, in etwa, kreisförmige Ansammlung von verschiedenen Flecken auf rosa Grund, ansehen kann. Über diesem Grundmuster liegt noch ein Wirrwarr aus Linien, Punkten und Zeichen.

      „Das Komitee hat beschlossen, hier zu jagen.“ Fährt der Gott fort und bewegt seinen Finger kreisförmig über zwei weißen Flecken und dem rosa Grund dazwischen. „Bei euch und auf MD4. Und ihr müsst fünfzehn Treiber stellen, denn ihr habt schon Erfahrung mit Gewehren.“

      Varus betrachtet die Stelle des Papiers auf die der Gott gezeigt hat und lächelt. „Das verstößt gegen eure eigenen Gebote.“ Albano zuckt mit den Schultern. „Das habe ich auch gesagt, aber ich wurde überstimmt. Es soll dort sehr viele Hasen geben.“ „Das mit den Hasen ist richtig aber unsere Erfahrung mit Gewehren ist nicht sehr bedeutend.“ Entgegnet Varus. „Besser wenig als gar keine Ahnung. Du sollst die drei Männer, die bei der Schießerei dabei waren und zwölf weitere auf ihre Aufgaben und

      Verhaltensweisen bei der Treibjagd vorbereiten. Wir holen euch übermorgen hier vor der Kirche um sechs Uhr ab. Seid pünktlich!“ Antwortet Albano und nimmt einen tiefen Schluck Bier. „Und wie wird verhindert, dass wir auf Leute aus MD4 treffen und was sollen wir tun, wenn es trotzt, allem passiert?“ Fragt Varus belustigt. Albano wirkt ein wenig verärgert. „Übermorgen dürfen die MD4ler ihr Dorf nur nach Westen verlassen, drei Mann von uns werden es sogar bewachen. Eine Begegnung ist ausgeschlossen, wenn du dafür sorgst, dass keiner von euch diese Straße überquert.“

      Iogi ist erschüttert, dieser Gott redet mit seinem Opa ganz selbstverständlich über ein fremdes Dorf, obwohl doch unser Dorf, laut vielen Predigten von Opa und nach dem Gebot der Götter, das einzige ist. Eine Melodie erklingt, der Gott zieht ein kleines Kästchen aus seiner Jackentasche, hält es an seine Backe und poltert kurz darauf los. „Schöner Mist, warum konntest du es nicht verhindern ... O.K, versuch etwas Zeit zu gewinnen, ich bin in einer guten Stunde da.“ Und zu Varus. „Ich muss sofort zurück, eine Dringlichkeitssitzung im Rat der Hundert, wir sehen uns übermorgen.“ „Ich bringe dich zum Auto.“ Antwortet Großvater und eilt mit Albano aus der Kirche. Endlich darf sich Iogi rühren. Er klettert aus seinem Versteck, streckt die steif gewordenen Glieder, schleicht zur Kirchentür, öffnet diese einen Spalt und lugt nach draußen. Albanos Auto fährt gerade mit durchdrehenden Reifen davon und Großvater ist, auf dem Rückweg zur Kirche, nur noch zwanzig Schritte entfernt. Iogi überlegt fieberhaft wo er sich verstecken soll da kommt ihm das Glück in Form des Dorfvorstehers zu Hilfe. „Hallo! Varus, die Dorfverwaltung