Önne Hedlund

Die Götter mit den blauen Haaren


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Geschehene: Kurz vor Mittag erschienen vier Götter mit zwei Autos im Dorf. Sie gingen zum Bürgermeister und der befahl darauf, in ihrem Namen, dass sich die Familien aller Teilnehmer der Treibjagd vor der Kirche versammeln sollten. Nachdem das geschehen war, wählten die Götter jeweils einen Sohn von vier verschiedenen Familien aus, fragten die Mütter nach ihrem Familiennamen und nahmen die Kinder mit.

      Die betroffenen Väter stehen erschüttert bei ihren klagenden Frauen, selbst weinend oder den Tränen nahe, als der Priester donnernd das Wort ergreift. „Oh, ihr Undankbaren, ihr wagt es euch über das Verhalten der Götter zu beklagen, statt euch darüber zu freuen, dass eure Söhne erwählt wurden, ihnen nah zu sein. Ihr solltet das Fest der Auserwählung feiern, wie wir es alle paar Jahre machen, um die Aufnahme der glücklichen Kinder von uns zu bejubeln, die zu den Göttern berufen werden.“ „Die Kinder, für die wir die Auserwählung feiern sind, mindestens zwölf und nicht so klein wie unser Hansi, er ist erst sieben und andere sind noch jünger!“ Heult eine der betroffenen Frauen. „Die Götter werden euch und uns alle strafen, wenn ihr weiterhin ihre Entscheidungen infrage stellt. Geht in eure Häuser und schlaft den Rest der Nacht darüber. Morgen halten wir gleich nach Mittag einen Dank- und Bittgottesdienst ab, um die Götter zu besänftigen. Geht jetzt, wir sind alle müde und ich möchte nicht, dass möglicherweise noch Worte fallen, die ich bestrafen muss.“ Droht der Priester. Dies zeigt Wirkung, Freunde und Nachbarn reden beruhigend auf die Betroffenen ein und drängen sie zu ihren Häusern. Die Menge zerstreut sich und auch der müde Iogi freut sich auf sein Bett und schleicht nachhause.

      Als er erwacht ist es kurz vor Mittag und er ist dankbar dafür, dass ihn niemand geweckt hat. Heute ist ein trüber Tag, es schneit. Nach dem Essen geht Iogi wie alle Dörfler zur Kirche, sie ist schon überfüllt doch es gelingt ihm, sich irgendwie hinein zu drängeln. Viele schaffen das nicht und versammeln sich vor der Tür und den Fenstern, um noch etwas mitzubekommen. Die Dörfler wirken immer noch entsetzt aber auch, nach der Strafandrohung des Priesters, verängstigt. Es dauert noch eine ganze Weile bis Varus, in seiner kostbarsten Kleidung, erscheint. Er hebt die Arme und beginnt zu beten, die Menge fällt ein. „Ehre und Dank sei den Göttern, die gnädig und helfend über uns wachen.“ Das Gebet wird mehrmals wiederholt, es folgen noch einige endlose Lieder, nochmal das Gebet und endlich begibt sich der Priester hinter sein Pult, um zu predigen. Es herrscht eine ungewöhnliche Stille in der Kirche als Varus beginnt.

      „Scham und Schande über euch, die ihr an den Werken der Götter zweifelt. Statt euch über das Glück eurer Kinder zu freuen, die von den Göttern erwählt wurden, trauert ihr um sie. Scham und Schande auch über mich euren Priester, der es nicht geschafft hat euch Gottvertrauen beizubringen; aber während ihr mit den Göttern hadertet habe ich die ganze Nacht um Vergebung für uns gebetet. Ich habe auch, demutsvoll wie es sich gehört, um die Rückkehr der Kleinen gefleht, denn ihr habt euch die Ehre noch nicht verdient, dass eure Kinder länger bei den Göttern wohnen. Ich glaube fest daran, dass meine Gebete erhört wurden.“ Danach betet die Menge zum Abschluss. „Ehre und Dank sei den Göttern, die gnädig und helfend über uns wachen. Amen“

      Nach dem Gottesdienst geht Iogi sofort zum Haus der Melkers und kann so Swen unterwegs abfangen. „Hallo Iogi, willst du zu mir?“ Begrüßt ihn der Freund. Und auf dessen Nicken. „Komm mit rein, hier draußen ist es ungemütlich.“ Kurz darauf sitzen die beiden in Swens Zimmer und unterhalten sich über die verschwundenen Kinder, die Predigt, die Stimmung im Dorf usw. Nach diesem Vorgeplänkel kommt Iogi zu dem Anliegen, das ihn eigentlich hergeführt hat. „Swen ich brauche deine Hilfe, du darfst mit niemandem darüber reden, es kann gefährlich für dich und deine Familie werden und ich kann dir das Ganze nicht einmal richtig erklären.“ „Das hört sich ja geheimnisvoll an, ich bin ganz Ohr.“ „Es könnte sein.“ Beginnt Iogi zögerlich und fährt dann fort: „Dass mich ein Gott zu sich holen will. Ich fürchte mich vor ihm denn ich glaube er hat nichts Guten mit mir vor. Wenn er hier auftaucht, werde ich flüchten und mich verstecken, bis er wieder verschwunden ist.“ „Du weißt es ist eine schwere Sünde gegen den Wunsch eines Gottes zu handeln, weiß dein Großvater davon?“ Erwidert Swen. „Er darf es nicht erfahren aber ich nehme lieber eine schlimme Sünde auf mich, als zu diesem Gott ins Auto zu steigen.“ „Na gut und was habe ich damit zu tun?“ Fragt Swen. „Ich muss wissen, wann ich gefahrlos zurückkommen kann. Es ist möglich, dass der Gott den Befehl gibt, mich bis zu seiner Rückkehr einzusperren; dann darf ich mich auch nicht zeigen, wenn er weg ist. Du sollst mir ein Zeichen geben, wenn die Luft rein ist.“ „Das wird ja richtig spannend und wie hast du dir das vorgestellt?“ „Wenn alles in Ordnung ist, stellst du zwei Lichter eine Elle weit auseinander in dieses Fenster, das ja zum alten Lagerhaus zeigt; dann weiß ich Bescheid.“ „Wenn es nicht mehr ist, kein Problem, wird gemacht.“ Antwortet der Freund und Iogi ist erleichtert.

      „Die Götter kommen, zwei LKW und ein Auto!“ Dieser Ruf wandert vom nördlichen Dorfrand durch alle Straßen. Iogi schnappt sich seine wärmste Jacke, steckt etwas Essbares hinein und läuft wie viele andere zum Marktplatz vor der Kirche. Er achtet streng darauf, dass er immer einige Dörfler als Deckung vor sich hat. Als er vor dem Gotteshaus ankommt, erspäht er fünf Götter vor abgestellten Fahrzeugen. Einer von ihnen ist Albano, der an seinem verbundenen Arm von weiten leicht zu erkennen ist. Iogi hat sich bereits durch die Dörfler nach vorne gedrängt, als ein sechster Gott aus dem Geländewagen aussteigt.

      „Das hätte nicht passieren dürfen, wie konnte ich nur so voreilig sein!“ Schimpft Iogi sich selbst, der vor der dichten Menge wie auf dem Präsentierteller dasteht.

      Die Zeit scheint stillzustehen. Varus eilt aus der Kirche, um die Götter zu begrüßen. Er kniet nieder und befiehlt mit einer Geste den Dörfler es ihm gleichzutun. Auf Knien, mit klopfendem Herzen, starrt Iogi zu dem sechsten Gott, der sich langsam umdreht. Iogi kennt ihn nicht.

      Albano fordert den Priester und die Menge, nach einem Segenszeichen, auf, sich zu erheben. Dann spricht er leise zu Varus und der Priester verkündet. „Dank, Lob und Ehre sei den Göttern, die uns heute aufgesucht haben, um uns unsere Sünden zu vergeben. Sie haben meine Gebete erhört und bringen uns die Kinder derer, die sich eigentlich als unwürdig gezeigt haben, auch ihnen wird verziehen. Außerdem geben uns die gütigen Götter viele Geschenke, die wir dankbar empfangen dürfen. Ehre und Dank sei den Göttern.“ Die beschämten aber glücklichen Dörfler rücken näher an die Götter und ihren Priester heran, Iogi wird mit vorgeschoben und steht nahe genug bei Albano um dessen Worte zu verstehen. „Veranlasse, dass die LKWs entladen werden und dann solltest du allein im stillen Gebet den Göttern in der Kirche nochmals danken!“

      Auch Iogi erkennt diesen Hinweis: Albano möchte Großvater ungestört etwas mitteilen. Iogi denkt an sein Versteck über dem Altar und strebt schon der Kirchentür zu, als ihn ein Ruf hinter ihm stoppt. „Wo willst du denn hin?“ Erschreckt dreht er sich zu seinem Opa um. „Nun, äh, ich wollte, na ja, ich wollte den Göttern im stillen Gebet danken.“ Stammelt Iogi, dem nichts Besseres einfällt, als die Aufforderung Albanos zu wiederholen. Diese Ausrede muss Großvater sicherlich durchschauen, fürchtet er sich aber der Priester erwidert freundlich. „Brav, mein Junge, knie doch im stillen Gebet vor dem Altar, ich werde dich bald ablösen.“ Die Chance ein Geheimnis zu erfahren ist vertan und so kniet Iogi betend, wie befohlen, doch seine Gedanken schweifen ab. Warum haben die Götter die Kinder zurück und auch noch Geschenke gebracht? Und Großvater, er hat gestern verkündet, dass seine Gebete erhört werden, welches Wissen und welche Macht hat er über die Götter? Die schmerzenden Knie schneiden in seine Gedanken und er hofft auf die Ankunft des Priesters. Der erscheint auch nach weiteren qualvollen Minuten und schickt Iogi nach draußen. Kurz danach verschwindet Albano in der Kirche und verlässt sie nach einer halben Stunde. Bald tritt auch Varus heraus und leitet dann die Verabschiedung der Götter, die in ihren Autos davonfahren. Er kündigt noch einen Dankgottesdienst an. Anschließend löst sich die Menge auf.

      Diesmal steht Iogi draußen vor der völlig überfüllten Kirche, er kam zu spät, um innen einen Platz zu bekommen. Doch das Fenster, seitlich neben dem Altar, ist geöffnet und so kann er die Predigt gut verstehen. „... Diesen Kindern wurde die Ehre zuteil die Nähe der Götter zu erleben. Auch wir Erwachsenen sind so klein im Geiste, dass wir vielfach das Wirken der Götter nicht begreifen können, wie sollen es dann diese kleinen Kinder können? Lasst euch also nicht von ihren Erzählungen