Önne Hedlund

Die Götter mit den blauen Haaren


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Fenster und mit Rädern wie bei einer Schubraupe.“

      „Halt, halt!“ Unterbricht Großvater den Redefluss. „Zunächst wollen wir beten und uns für die Milch bedanken. Ehre und Dank sei den Göttern ...“ Als er geendet hat, legt er seinen Zeigefinger zu Zeichen des Schweigens vor den Mund und meint beiläufig: „Ich fahre morgen mit und sehe es mir an und du darfst mit niemandem, auch nicht mit mir, darüber reden, bevor ich es dir nicht ausdrücklich erlaube. Hast du verstanden?“ Iogi nickt, trinkt seine Milch aus und geht.

      Am nächsten Morgen ist Johann Birke nicht gerade begeistert, über den Wunsch seines Vaters mitzufahren. Obwohl die Beiden sich bald nach den unschönen Szenen, um den kleinen Pauli, versöhnt hatten, herrscht dennoch eine gespannte Atmosphäre zwischen ihnen. Nun sitzen sie schweigend auf den Vordersitzen während Herr Müller und Iogi sich die hinteren Plätze des klapprigen Autos teilen. Varus hat als Einziger seinen wuchtigen Speer und noch zusätzlich einen armlangen, massiven Knüppel dabei. Iogi fällt auf, dass sein Vater etwas rasanter als üblich fährt und Varus ab und zu lobsuchend anblickt. Es kommt keine Reaktion und so bricht Johann das Schweigen.

      „Na Vater, bist du auf Kriegspfad?“ Varus antwortet ein wenig von oben herab: „Ein alter Mann kann vor einem streunenden Hund oder einem Schwein nicht so schnell weglaufen, er muss sich stellen, Jüngelchen. Dein Fahrstiel kann mir übrigens auch nicht imponieren.“ „Das mag schon sein, aber ich kann, im Gegensatz zu vielen anderen, wenigstens fahren.“ „Denk mal scharf nach, wem du es zu verdanken hast, dass du überhaupt steuern darfst, im Übrigen kannst du ja anhalten und mich ans Lenkrad lassen.“ Johann kichert. „Glücklicherweise haben deine geliebten Götter es allen Dörflern, außer Herbert und mir, verboten ein göttliches Fahrzeug zu führen; deine Fahrkünste bleiben uns so erspart.“ „Diesen gotteslästernden Unterton möchte ich nicht mehr hören!“ Erwidert Varus streng fährt aber milder fort. „Doch ich vergebe dir, da auch ich in meinem Hochmut zur Sünde bereit war. Daher wollen wir im Gebet Verzeihung von den Göttern erflehen. Ehre und Dank sei den Göttern .“ Glücklicherweise kommt schon ihr Ziel in Sicht und die Beterei hat ein Ende.

      Vater und Herr Müller verdrücken sich zum Schlepper, Iogi und sein Opa wenden sich Richtung Wald, angeblich um Brunnenkresse zu suchen. Die Beiden kommen mühsam voran doch dann stehen sie außer Atem vor dem ersten Fahrzeug. Als Iogi zum Sprechen ansetzen will, bringt ihn sein Opa mit einer scharfen Geste zum Schweigen und ergreift selbst das Wort. „Das ist nur eine tote Kuh, aber es ist gut, dass du sie mir gezeigt hast. Ich möchte nicht, dass jemand bei diesem Kadaver herumspielt. Du vergisst das hier am Besten, jedenfalls darfst du nie mehr darüber reden.“ Iogi staunt nicht schlecht, hält aber eisern den Mund. Großvater versucht sich an der Tür des Fahrzeuges, ohne Erfolg, doch dann benutzt er fachmännisch seinen Speer als Hebel und die Tür öffnet sich. „Geh jetzt bitte zurück zum Bach und sammle dort einen großen Strauß Brunnenkresse, ich muss hier noch etwas verschnaufen, wir treffen uns dann später beim Auto — und Klappe halten!“ Iogi ist nach diesem Befehl tief enttäuscht, doch er gehorcht seinem Opa, der sicher Gründe für sein komisches Verhalten hat.

      Zuhause im Bett grübelt Iogi noch immer über die Ereignisse des Tages nach, wohl wissend, dass er niemanden dazu befragen darf und so schläft er ein.

      Die nächsten Tage sucht er verstärkt die Nähe zu seinem Opa in der Hoffnung doch noch irgendetwas zu erfahren, wird aber enttäuscht, im Gegenteil, aus so beiläufig dahingesagten Worten wie: „Ganz besonders Kinder müssen den Anordnungen des Priesters unbedingt Folge leisten.“ Oder: „Es steht niemandem zu, göttliche Dinge zu hinterfragen.“ Erkennt Iogi, dass er dieses Tabuthema, wenn schon nicht vergessen, dann zumindest verdrängen muss.

      Er bemerkt jedoch einige Veränderungen am Verhalten seines Großvaters. Dieser entfaltet ein nie gekanntes Interesse an den dörflichen Arbeiten, er besucht die Melkställe, die Pferdeställe, die dorfnahen Futterplätze der Schweine, die Arbeiter auf den Feldern und sogar die Arbeiter an der Hauptverbindungsstraße.

      Auch klagt er häufig über Rückenschmerzen und nimmt dann gerne den Vorschlag des Stallmeisters an, es mit einer Reittherapie zu versuchen. Dies tut ihm gut und so sieht man den Priester oftmals hoch zu Ross. Zum gesundheitlichen Nutzen kommen bald auch praktische Erwägungen, denn per Pferd sind größere Entfernungen leichter zurückzulegen. Großvater besucht nun die Außenarbeiter zu Pferd. Dies geht sogar so weit, dass er auch die sehr weit entfernten Schweinehirten aufsucht und manchmal tagelang unterwegs ist.

      Es ist Mitte Mai und das Wetter gibt einen Vorgeschmack auf den Sommer. Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel hernieder und es ist außergewöhnlich warm. Wie jedes Jahr müssen die Männer des Dorfes die Frostaufbrüche an der Straße, die das Dorf mit Walhalla verbindet, ausbessern. Schon am frühen Vormittag arbeiten die Dörfler mit nacktem Oberkörper. Miro, der als Jüngster mit dabei ist, darf am Bach Wasser holen. Der ist gut zehn Minuten von der Baustelle entfernt und Miro zieht mit zwei Eimern los.

      Sein Weg neben der Straße führt zunächst kurz in praller Sonne an Wiesen entlang, dann geht es die meiste Zeit durch schattigen, Wald, der sich erst beim Bach wieder lichtet. Das diesseitige Ufer ist mit Brenn-Nesseln und dichtem Gestrüpp bewachsen. Miro geht also über die Brücke und steigt auf der anderen Bachseite von der erhöhten Fahrbahn zum Wasser hinab. Das Ufer ist hier teilweise sandig oder mit Schotter bedeckt, dazwischen liegen große Steine und Treibholz, zum Teil von ausgewachsenen Bäumen. Der Vorarbeiter hat es gut mit ihm gemeint, denn das Wasser wird frühestens in zwei Stunden auf der Baustelle benötigt. Miro hat demnach eineinhalb Stunden Zeit es sich hier gut gehen zu lassen. Er legt sich zuerst ins kühle, eher eiskalte, Nass. Die Abkühlung ist wunderbar erfrischend. Danach zieht er die verschwitzten Hosen und Socken aus, spült sie noch etwas durch, hängt sie zum trocknen an verschiedene Äste und trocknet sich selbst auf einem großen Stein in der Sonne. Anschließend steigt er im Bachbett herum, in der Hoffnung irgendetwas Interessantes zu entdecken. Er beobachtet ein paar Forellen, findet einige bizarre Wurzeln und nimmt hie und da noch ein kurzes Bad, bis ihn sein Gefühl und der Stand der Sonne zum Aufbruch mahnen. Schnell füllt er die Eimer, steigt in die kaum noch feuchten Hosen, Socken und Schuhe, fasst die Eimer und klettert zur Straße hinauf.

      Als er mitten auf der Brücke ist, hört er, viel zu spät, das Geräusch eines entgegenkommenden Fahrzeuges. Hier gibt es keine Möglichkeit sich zu verstecken, er muss die nahenden Götter wohl oder übel so begrüßen, wie es sich gehört; er stellt seine Eimer ab und kniet nieder. Das Auto fährt aus dem Wald und rauscht an ihm vorbei. — gut so. Doch kaum hat er sich aufgerichtet kommt es zurück und bleibt vor ihm stehen. Also wieder auf die Knie. Die Beifahrertür öffnet sich und ein blauhaariger Gott — nein eine Göttin schwingt sich heraus.

      Sie ist mittelgroß und etwas füllig. Unter dem himmelblauen, glatten und schulterlangen Haar sitzt ein hübsches Gesicht mit blauen Augen und hell rosa, glänzenden Lippen. Sie trägt ein blauweißes T-Shirt, dessen Ausschnitt den Ansatz ihrer Brüste frei lässt. Die knappe, kurze, unten ausgefranste Jeans zeigt Beine, die ein „Frauenkenner“ wie Miro schon noch als schön bezeichnet. Als aber die zweite Göttin hinter dem Auto hervortritt, zieht sie Miros Blicke magisch an.

      Sie ist geringfügig kleiner als die Erste, aber schlank, grazil und muskulös. Ihr lockiges, eher kurzes Haar ist so dunkelblau, dass es bei schlechtem Licht schon als schwarz durchgehen könnte. Unter großen, braunen Augen sitzen eine Stupsnase und ein dunkelroter Mund. Ihre Haut, von der sie sehr viel zeigt, ist gebräunt und samtig glänzend. Sie trägt ein orangefarbenes Top mit extrem dünnen Trägern und dazu eine kurze, schwarze Wildlederhose, die ihren knackigen Apfelpo betont. Miro braucht eine Weile um sich von diesem Anblick loszureißen und die Augen niederzuschlagen, wie es sich beim Umgang mit Göttern gehört. Er beginnt stockend mit einer Begrüßungsformel doch die Göttin unterbricht ihn gleich.

      „O.K, O.K, steh auf!“ Und dann. „Dreh dich mal langsam rum!“ Miro gehorcht und hört. „Ja, das könnte passen.“ Die erste Göttin fällt ein. „Alicia das geht doch nicht!“ Worauf diese antwortet. „Natürlich geht das, Chiara, ich hatte eine beschissene Woche, das hier wird mein Zuckerl!“ Danach geht sie zum Auto, öffnet den Kofferraum und kramt darin herum. Chiara steht, sichtlich verlegen, nun allein Miro gegenüber, dies ermutigt ihn zu einer Unterhaltung. „Verehrte Göttin kann