Önne Hedlund

Die Götter mit den blauen Haaren


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Alicia fasst ihn unter den Achseln. „Versuch aufzustehen, ich helfe dir!“ Er schafft es mit ihrer Hilfe auf Anhieb, steht nun wackelig neben ihr und betrachtet ihren nackten, geschundenen Oberkörper. Der Hals ist an den roten Würgemalen bereits geschwollen, darunter befinden sich einige blutverkrustete Kratzer, im Gesicht und an den Armen sind Blutergüsse.

      Erstaunlich gefasst schiebt sie ihn ins Wohnzimmer zu seinem Sessel. „Ich muss noch was erledigen, es dauert nicht lange.“ Krächzt sie mit schwacher Stimme, verlässt den Raum und schließt die Tür. Bald ist sie wieder da. „Wir haben Glück, eine Patrouille ist zufällig in der Nähe und wird gleich herkommen. Verhalte dich hier ruhig, vielleicht wollen sie dich gar nicht sehen. Wenn die Götter doch hier rein kommen, knie aber nieder und begrüße sie, wie es sich gehört. Du darfst auch mich dann nur mit: Ehrenwerte Göttin anreden und nicht mit Alicia! Falls sie dich etwas fragen, sag demütig die Wahrheit, du hast nichts zu verbergen. Steh mal auf!“ Sie wickelt ihm das Badetuch um die Hüften und steckt es zusätzlich mit einer Sicherheitsnadel fest. „Kann ich sonst noch was für dich tun? Brauchst du was? Ist alles O.K?“ „Bei mir ist alles in Ordnung.“ Antwortet Miro und lässt sich wieder in den Sessel fallen. „Ich gehe mich umziehen und warte dann auf die Patrouille.“ Mit diesen Worten schließt Alicia die Wohnzimmertür von außen. Er kann Ihr Organisationstalent nur bewundern und das in ihrem Zustand. Er selbst hängt noch wie betäubt im Sessel und sie, die es weit schlimmer erwischt hat, kümmert sich um alles. Miro hört ein Auto vorfahren und danach Stimmen in der Diele und der Küche. Nach einiger Zeit wird die Wohnzimmertür geöffnet, Alicia kommt mit einer dunkelgrün gekleideten Göttin herein. Miro kniet nieder, bei der Bewegung brennt sein Oberschenkel wie Feuer, und begrüßt die Göttinnen. „Lob und Dank sei euch, ehrenwerten Göttinnen!“ Diese sind aber in eine Unterhaltung vertieft und beachten ihn nicht.

      Zwei ebenfalls dunkelgrün gekleidete Götter führen den fetten Gott durch die Diele, dieser reißt sich plötzlich los und will sich auf Alicia stürzen. „Du Dörflerhure, ich bring dich u ...“ Mit diesem Aufschrei bricht er noch vor der Tür zusammen; einer der anderen Götter tätschelt einen Stock mit vier glänzenden Stiften. Als sich der fette Gott wieder aufrichtet, ist sein Gesicht voller Blut und seine Nase ist verschoben. Alicia schließt die Tür und die Geräusche draußen werden immer leiser. Die grüngekleidete Göttin geht einmal aufmerksam um Miro herum und wendet sich an Alicia.“ Der ist gut unter Kontrolle, Fräulein Monza aber werden Sie nicht leichtsinnig, auch wenn er Ihnen geholfen hat. Wir hatten in diesem Jahr schon drei Tote durch solche Spielzeuge.“ „Danke, ich werde Ihren Rat berücksichtigen.“ Antwortet Alicia und bringt die andere Göttin hinaus. Miro hört ein Auto davonfahren, danach herrscht Stille.

      Alicia kommt ins Zimmer, fällt vor Miros Sessel auf die Knie, umfasst seine Taille mit beiden Händen, legt ihren Kopf in seinen Schoß und beginnt herzzerreißend zu heulen, die Anspannung muss raus. Miro möchte gerne mehr für sie tun, er kann sie aber nur auf seinen Knien leicht hin und her schaukeln und leise trösten. „Es ist vorbei, alles wird wieder gut.“ Sie verharrt so noch einige Zeit, von Weinkrämpfen geschüttelt, bei ihm. Endlich beruhigt sie sich und steht auf. „Ich hole uns was zu trinken.“ Mit zwei Flaschen und zwei Gläsern kommt sie zurück. Das Getränk besteht zur Hälfte aus einer roten Flüssigkeit, der Rest ist sprudelndes Mineralwasser. Miro nippt vorsichtig an dem Glas, das ihm Alicia an die Lippen hält. Er kennt Sprudel, Wein und Bier, welches die Dörfler manchmal von den Göttern bekommen, aber nicht den roten Bestandteil der Mischung. Es schmeckt sehr süß und etwas herb, enthält aber mehr Alkohol als Wein.

      Vor etwa eineinhalb Jahren hat es im Dorf wegen Trunkenheit großen Ärger gegeben. Obwohl er gar nicht beteiligt gewesen war, wurden Miro damals von seinem Opa gewaltig die Leviten gelesen und er hat sich seither ernsthaft vorgenommen, sich sehr zurückzuhalten. Während er noch darüber nachdenkt, schenkt sich Alicia schon das nächste Glas ein, dabei schimpft sie krächzend. „Dieses Schwein, wie konnte er mir das nur antun?

      Schließlich haben wir uns lange gekannt.“ „Warum hast du dich eigentlich nicht an ihm gerächt, als er wehrlos vor dir lag?“ Miro muss diese brennende Frage unbedingt loswerden. „Ihn erwartet Schlimmeres, als ich fertiggebracht hätte. Er verliert seine Göttlichkeit, seine Männlichkeit und seine Zunge, dann wird er ein Diener, das bricht ihn total.“ Japst Alicia mit belegter Stimme; sie ist schon beim vierten Glas. Miro ist deutlich langsamer, erstens, weil er nur kleine Schlucke nimmt und zweitens, weil er ja nicht alleine trinken kann und Alicia ihn häufig vergisst. Sie bemerkt ihren Rauschzustand. „Wir sollten ins Bett gehen, bevor ich unter dem Tisch liege.“ Sagt sie und löst seine Fußfesseln.

      Kurz darauf ruhen sie nebeneinander, zu aufgewühlt und zerschlagen um Schlaf oder Lust zu finden. Miro kann sich nicht auf die rechte Seite legen, da er dort den Tritt abbekommen hat, die Rückenlage ist auf Dauer auch unbequem, weil er dann auf seinen gefesselten Händen liegt. Er wendet sich an Alicia. „Kannst du mich nicht losbinden? Ich kann nur auf dem Bauch und der linken Seite liegen.“ „Das kommt überhaupt nicht infrage! Wenn du dich weiter beschwerst, verpasse ich dir einen Knebel und binde dich breitbeinig an die Bettpfosten dann kannst du nur noch auf den Rücken liegen.“ Schnappt sie angesäuselt zurück. Doch nach kurzem betretenen Schweigen: „Es tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe aber ich kann dich nicht losmachen, solchen Leichtsinn haben dieses Jahr schon drei Götter mit dem Leben bezahlt. Sei mir nicht böse und versteh mich bitte, eine Gottheit kann sich weder bei einem Dörfler noch einem Diener sicher sein.“

      „Nach dem heutigen Abend solltest du dich eigentlich nicht mehr vor mir fürchten.“ Wagt er mit betont sanfter Stimme zu erwidern. „So paradox es dir auch erscheint, gerade seit heute Abend werde ich dich immer gefesselt halten, außer, ich habe eine Waffe in der Hand.“ Erklärt sie ihm. „Das kann ich beim besten Willen nicht begreifen“. Erwidert er etwas forscher. „Ihr Dörfler seid zu klein im Geiste um, die Gedanken der Götter zu verstehen!“ Lacht sie und fährt dann fort. „Das war ein Scherz. Sei froh, dass du es nicht kapierst, sonst müsste ich dich töten — und das ist mein Ernst.“ Miro dreht sich demonstrativ von ihr weg in die unbequeme Rückenlage. „Ich sehe ein, dass du jetzt sauer bist, aber schalte deine Gefühle mal ab und hör einfach nur zu, dann wirst du es verstehen.“ Redet sie ihm beschwichtigend zu und spricht weiter.

      „Bitte sieh es als Tatsache und nicht als Drohung an, aber wir wissen beide, ich, als Göttin, kann jederzeit in dein Dorf fahren und von eurem Priester verlangen, dass er dich zu Tode peitschen lässt. Ich habe alle Macht über dich. Deshalb musst du mir gehorchen und mich bei Laune halten, egal wie dir dabei zu Mute ist. Als ich heute unter diesem Vergewaltiger lag, habe ich drei völlig neue Gefühle kennen gelernt. Ich war ihm hilflos ausgeliefert, ich habe ihn unendlich gehasst und ich hatte Todesangst.“ Alicia deckt sich ab, zieht Miro die Decke weg, kniet sich breitbeinig über ihn und setzt sich dann auf seinen Bauch. „Und was habe ich mit dir gemacht und was mache ich jetzt? Du kannst mir hundertmal erklären, dass das etwas anderes ist, dass es dir gefällt, ich wünsche mir, dass es so ist und es kann auch hundertmal wahr sein — aber ich darf und werde mich nicht darauf verlassen. Nicht seit ich den Hass der Hilflosigkeit gespürt habe. Denk darüber nach und versuch dann zu schlafen. Übrigens vielleicht hilft es dir, ich liebe dich, auch wenn ich dich vergewaltige. Gute Nacht! Schlaf gut!“ Alicia fasst seinen Kopf mit beiden Händen, gibt ihm einen Kuss, steigt von ihm herunter und deckt ihn wieder zu. Danach wickelt sie sich in ihre Decke. Beide schweigen.

      Es ist bereits heller Vormittag, Miro wird durch einen stechenden Schmerz in seinem Bein aus dem Schlaf gerissen, er hatte sich auf die falsche Seite gedreht. Weil sich auch zusätzlich seine Blase meldet, steigt er aus dem Bett. Alicia schläft noch ihren Rausch aus. Um sie nicht zu wecken, entscheidet er sich für die Toilette im Erdgeschoss und geht nach unten; bei jeder Treppenstufe schmerzt sein lädierter Oberschenkel. Danach steht er unentschlossen in der Diele und betrachtet das getrocknete Blut des fetten Gottes am Boden, irgendwie zieht es ihn dann zum Tatort. Nur noch die Kette und die Handschellen, die auf der Anrichte liegen, erinnern an das gestrige Drama.

      Als er sich umdreht, steht Alicia aufgewühlt in der Tür, den Elektroschocker, die Bezeichnung hat er gestern aufgeschnappt, in der ausgesteckten Hand. „Auf die Knie, sofort!“ Versucht sie zu schreien, aus ihrem misshandelten Hals kommt nur ein heiseres Krächzen, doch die Schärfe darin ist nicht