P.C. Friedrich

Skratschko & Patsch


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zum Laufen und Treten. Und beim Treten kommt es nicht auf Anmut und Grazie an. Das wäre törichte Eitelkeit, in der Tat.“

      Patschs Bekleidung war gänzlich anders. Es schien, als wolle dieser lässige Bursche bereits mit den Kleidern seinen zwanghaften Widerspruchsgeist gegen den überlegenen Skratschko ausdrücken. Er trug ein langes, graues Hemd aus grobem Leinenstoff, das nur sehr unordentlich in eine elegante Nadelstreifenhose gesteckt war. Die Füße steckten in schweren Wanderstiefeln. „Die trage ick“, so raunte er mir einmal hinter vorgehaltener Hand zu, „damit icke immer schön uffm Boden der Tatsachen bleibe. Im Gegensatz zu diesem Hochstapler da.“ Dabei nickte er verstohlen zu Skratschko.

      Doch zurück zu meiner ersten Begegnung mit den beiden. Als ich so unvermittelt vor ihnen stand, begannen sie hektisch miteinander zu tuscheln. Bereits da fiel mir das nervöse Zucken des rechten Mundwinkels von Skratschko auf. Er konnte praktisch nicht reden ohne dieses Zucken. Von ihrem Getuschel konnte ich nur einzelne Worte aufschnappen.

      „... ein Menschling ... zu spät ... nur ein Kind ...“

      Schließlich stellte Skratschko sich breitbeinig vor mich, stützte sich mit beiden Händen auf ein – für seine Körpergröße – riesiges Schwert, das an seinem Gürtel gebaumelt hatte, grüßte mich durch ein angedeutetes Kopfnicken und sprach: „Was führt Ihn zu uns? Wird Er von Schnurks verfolgt oder hat ein Schleimbeutler seine Eltern geschändet? Irrt Er seit Tagen hilflos und vom Hunger ausgezehrt durch den finsteren Wald?“

      Außer einem blöden „Äh?“ kam nichts aus meinem Mund.

      „Wenn Er Schutz und Obdach für eine Nacht begehrt“, fuhr Skratschko fort, „so wird Er in unserer bescheidenen Behausung so sicher ruhen wie in Abrahams Schoß. Dafür stehen wir mit unserem Leben ein.“

      Mit Behausung meinte er ein großes, altes Weinfass, das halb verdeckt in einer Brombeerhecke lag.

      „Schutz und Obdach?“, stotterte ich. „Nein, das brauche ich eigentlich nicht. Ich wohn gleich da hinter dem Wald, im Erlenweg Nr. 17.“

      Patsch stieß Skratschko mit dem Ellenbogen in die Seite, wobei die Rüstung schepperte, und raunte ihm zu: „Der iss noch völlig ahnungslos.“

      Skratschko warf einen kurzen, schneidenden Blick zu Patsch und murmelte: „Überlass solch eindeutige Beobachtungen lieber meinem überwältigenden Scharfsinn.“

      Patsch hob beide Arme, machte ein gelangweiltes Gesicht und sagte: „Okay, okay, Boss. Du bist hier für die Fehlentscheidungen zuständig.“

      Skratschko beachtete ihn gar nicht und sagte mehr zu sich selbst als zu mir: „Du bist also noch keinem Eigentlichen begegnet?“

      „Einem Eigentlichen?“, antwortete ich verwirrt.

      Skratschko legte sein Schwert hin und setzte sich auf einen Stein. „Nun gut, Kleiner. Setzt dich zu meinen Füßen nieder und gewöhne dich erst mal an unseren betörenden Anblick.“

      Schüchtern wagte ich zu fragen, was sie denn hier im Wald machten und ob sie hier wohnten. Patsch, der mittlerweile lässig im Gras lag und auf einem Grashalm herumkaute, bemerkte: „Iss bloß so ne Art Urlaub hier. En bisschen Erholung ham wa schließlich vadient nach unserm Kampf jejen die Wilde A...“

      „Patsch!“, unterbrach Skratschko ihn heftig. „Will Er ihn umbringen? Der Schleier der Unwissenheit darf nur nach und nach gelüftet werden. Der unvermittelte Anblick der grausamen Wirklichkeit würde einen Ahnungslosen in Wahn und Verzweiflung stürzen.“

      Patsch antwortete nur, in dem er auf eine ihm ganz eigene Art aus dem linken Mundwinkel spuckte. Ich habe nie mehr jemanden getroffen, der seitwärts aus dem Mund spucken kann.

      Ja, Skratschko ging sehr behutsam mit mir um. Mir selbst dagegen ist nicht diese Engelsgeduld von Skratschko in die Wiege gelegt worden und ich kann mich nicht länger im Zaum halten, sondern muss gleich jetzt, nachdem diese erste Andeutung von Patsch gefallen ist, die Wahrheit hervorschlüpfen lassen und diesen stolzen Recken auf das Heldendenkmal emporheben, das ihm gebührt. Auch wenn mich Hohlscheins Rache in Gestalt eines jähen Blitzes treffen sollte, weil ich mein Schweigegelübde nun breche, es muss aus mir heraus: Skratschko war es – und niemand anderes, wie manche Sage uns inzwischen weiß machen will – er war es, der die Welt von der Wilden Annamarie befreit hat. Ja, ihr habt richtig gehört: Der Wilden Annamarie. Der Wilden Annamarie.

      Falls der Leser zu denjenigen zählen sollte, die tatsächlich noch nichts von der Wilden Annamarie vernommen haben und, so wie ich damals, noch zu den Ahnungslosen gehören, so frage er seine Großeltern. Hat er sich nie gefragt, warum seine Oma so humpelt oder nur noch auf einem Auge sieht oder warum seinem Opa ein Finger oder ein Ohr fehlt? Aber wenn der Leser sie fragt – lass er sich nicht mit billigen Ausreden abspeisen! Frage er direkt nach der Wilden Annamarie, auch wenn sie dabei blass vor Schreck werden.

      Ich muss meinen Bericht hier unterbrechen und die ersten zarten Blätter dieses Manuskriptes schnell verstecken. Ich höre Schritte auf dem Gang. Hohlschein hat seine Spitzel – überall.

      2. Kapitel

      enthält eine Beschreibung der beiden ungleichen Helden sowie erste Enthüllungen über die Eigentlichen.

      Hätte ich damals auch nur geahnt, welche Enthüllungen mir bevorstanden, ich wäre wahrscheinlich nie wieder zu den beiden in den Wald gegangen, sondern hätte mich zitternd für den Rest meines Lebens im Bett verkrochen. Aber so ging ich gleich am nächsten Tag wieder zu ihnen. Ich hielt sie immer noch für etwas schrullige und zwergwüchsige, aber trotz allem normale Menschen.

      Anfangs besuchte ich sie aus purer Neugier und weil es bei ihnen nie langweilig war. Sie hatten immer etwas zu erzählen. Dass heißt, Skratschko hatte immer was zu erzählen. Patsch dagegen, erklärte mir Skratschko schon bei meiner zweiten Begegnung mit ihnen, könne keine wahrhaft wirklichen Geschichten erzählen. Er würde die Dinge stets verdrehen oder Sachen erfinden. „Seine Fantasie“, sagte Skratschko oft, „ist ein von einer Wespe gestochenes Wildpferd, das davon stürmt, sobald er den Mund auf macht.“

      Meist gab es gleich eine Balgerei, wenn Skratschko dies sagte, denn in diesem Punkt war Patsch sehr empfindlich. Überhaupt gehörten Balgereien bei den zweien dazu wie bei uns das tägliche Zähneputzen. Obwohl es dabei nicht gerade harmlos zuging. Das Geringste war noch, wenn sie sich ihre Nasen verbogen oder sich gegenseitig Knoten in ihre bis zu den Schultern herabhängenden Ohrläppchen machten. Doch wie übel sie sich auch zurichteten, anschließend waren sie stets bester Laune.

      Da ich gerade die langen Ohrläppchen erwähnt habe, möchte ich kurz noch die markanten Gesichter der beiden beschreiben, von denen es weder Fotos noch Gemälde gibt (Skratschko sagte, es diene ihrem eigenen Schutz, dass niemand ihr Gesicht kenne; aber in erster Linie war es seine übergroße Bescheidenheit, die ihn jede Öffentlichkeit scheuen ließ).

      Skratschkos Gesicht strahlte eine tiefe Würde aus, obwohl es im Grunde eher als hässlich zu bezeichnen war. Es war über und über von Falten zerfurcht und auf der rechten Nasenseite befand sich eine dicke, rote Warze, aus der drei lange, sich kräuselnde Haare wuchsen. Die üppigen, schwarzen Haare auf seinem Kopf machten einen verwahrlosten Eindruck, doch mittlerweile habe ich Gründe zu glauben, dass diese in unseren Augen völlig verschnittene Frisur bei den Eigentlichen eine tiefe symbolische Bedeutung hat. Der Schnurrbart dagegen war auch in unseren Augen eine wahre Pracht. Skratschko zwirbelte die beiden Hälften jeden Morgen auf und machte sie mit Hilfe einer speziellen Pomade so steif, dass er sie in einem rechten Winkel nach oben knicken konnte. Die dünn auslaufenden Spitzen der beiden Schnurrbarthälften endeten in Höhe der stahlblauen Augen, die dadurch einen wahrhaft stechenden Blick bekamen. Das bereits erwähnte nervöse Zucken des rechten Mundwinkels beim Sprechen ließ diese Schnurrbarthälfte ständig hin und her wippen. Ich kann nur vermuten (denn natürlich verrieten die beiden mir nicht alle ihre Tricks), dass dieses Zucken mit so einer Art hypnotisierender Fähigkeit zusammenhing, die Skratschko bei Bedarf auf sein Gegenüber anwenden konnte.

      Doch wichtiger als alle Äußerlichkeiten dieses markanten Gesichts war die Ausstrahlung. Das Gesicht – nein, die ganze Person Skratschkos – strahlte eine