P.C. Friedrich

Skratschko & Patsch


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mal, Skratschko. Du hast doch gesagt, Patsch gäbe es erst, seit du ihn das erste Mal gesehen hast.“

      „Ja sicher“, entgegnete Skratschko und polierte mit dem Ärmel verlegen an seiner Rüstung herum. Dann machte er mit dem Arm eine ausladende Bewegung und sprach gedehnt: „Versteht – Er – wieder – etwas – nicht?“

      „Nun ja“, fragte ich zaghaft, „wie kann Patsch dann vor eurer ersten Begegnung in einer Familie gelebt haben, wenn es ihn damals noch gar nicht gab.“

      Patsch, der gerade bei seiner Lieblingsbeschäftigung war – er kratzte sich mit einem Messer den Dreck unter den Fingernägeln heraus – hörte damit auf, hob den Kopf und sah Skratschko erwartungsvoll an.

      Doch der schüttelte nur den Kopf und stöhnte: „O, allmächtiger Skratschko! Warum bist du von so viel Dummheit umzingelt. In dem Moment, in dem ich geruhte, ihn anzusehen und er anfing, zu existieren, musste er natürlich auch eine Vergangenheit besitzen.“

      „Und seine Familie?“

      „Na, die habe ich doch im gleichen Augenblick gesehen. Das ließ sich nicht vermeiden.“

      Patsch selbst äußerte sich nie negativ über seine traumatische Kindheit. Er tat so, als sei das alles ganz normal gewesen.

      Ich hätte nicht sagen können, ob er Skratschko dankbar dafür war, dass er ihn aus diesem Sumpf gezogen hatte, oder ob er ihn nicht gerade deswegen hasste. Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem zwielichtigen Kerl.

      Nach diesen Auslassungen über Patschs Kindheit wird der ein oder andere Leser vielleicht das Bedürfnis spüren, auch über mich selbst, den Verfasser dieses Berichtes, ein paar wenige autobiographische Details zu erfahren. Doch diese Leser muss ich enttäuschen. Mein Name ist es nicht wert, neben dem des großen Skratschko zu stehen. Es wäre maßlose Anmaßung. Meine Hand soll auf der Stelle verfaulen, wenn sie es wagen sollte, in dieses Heldenepos auch nur ein Wort über meine Person einzufügen. Wer unbedingt Namen braucht, der nenne mich Vera Thies. Da ich keine Frau bin, steckt in diesem Namen genügend Selbstverleugnung und der gebildete Leser wird darin ein Anagramm meines höchsten Gebotes erkennen: Veritas – Wahrheit.

      4. Kapitel

      Skratschko berichtet von einem in seinen Augen – aber nicht in denen des Verfassers – vergleichsweise harmlosen Abenteuer. Des Weiteren wird ein Beispiel von Patschs haarsträubenden Geschichten gegeben.

      Es dauerte noch lange, bis sie mir über ihr größtes Abenteuer, ihren Kampf gegen die Wilde Annamarie berichteten. Skratschko hüstelte sofort oder trat Patsch heftig gegen das Schienbein, wenn dieser in seiner unbedachten Art ins Plaudern geriet und unvorsichtige Andeutungen machte. Nein, lange erzählte Skratschko nur von eher unbedeutenden Kämpfen. Aber mir erschienen diese Abenteuer damals in keiner Weise unbedeutend oder gar langweilig. Denn noch wusste ich ja kaum etwas von der Wilden Annamarie und schon gar nichts von ... – doch dafür ist es noch zu früh.

      So berichtete Skratschko zum Beispiel eines Tages – wir hatten alle drei eine gute Stunde dösend in der Nachmittagssonne gelegen und fingen gerade an, wieder etwas munter zu werden – von seinem blutigen Sieg über den heimtückischen Duschkopfzüngler.

      „Zu jener Zeit“, begann er seinen Bericht und kratzte etwas Rost von seiner Rüstung, „hielt jedermann den Duschkopfzüngler für längst ausgestorben. Das einzige erhaltene fossile Exemplar war in schwere Ketten gelegt und seit Jahrtausenden war kein Bericht über einen tödlichen Zwischenfall in einer Hoteldusche an mein huldvolles Ohr gedrungen. Deshalb ging ich auch an diesem Tag – ich und Patsch waren die einzigen Gäste in dem kleinen Hotel Psyche, einem bescheidenen Nachtlager für durchreisende Ritter, – völlig unbekümmert und ohne jegliche Vorsichtsmaßnahme unter die Dusche. Zuerst merkte ich nichts, denn ich hatte genießerisch die Augen geschlossen und intonierte lauthals die alte Ritterballade Puff, the magic dragon. Ob dieses meines Gesanges geriet ich so in Verzückung, dass ich mir erst, als meine Stimme immer leiser wurde, bis sich am Ende kein Ton mehr meinen Lippen entfleuchte, bewusst wurde, dass mich etwas würgte. Nur eine Sekunde später und die Lebensgeschichte von Skratschko hätte ein verfrühtes und unerquickliches Ende gefunden. Hier schau!“

      Skratschko reckte den Kopf hoch und zog mit der Hand den Spitzenkragen seines Hemdes so weit herunter, wie es seine Rüstung erlaubte. Eine dünne, striemenartige Narbe zog sich quer über den ganzen Hals.

      „Der Duschkopfzüngler, der verborgen in Wasserleitungen lebt, hatte tausende spaghettidünner Fangarme durch die Düsen des Duschkopfes auf mich herabgleiten lassen und einer dieser gummiartigen, aber stahlharten Fäden hatte sich um meinen schwanengleichen Hals gewunden. Eigentlich gibt es kein Entrinnen mehr, wenn man einmal in diesem Griff des Duschkopfzünglers steckt. Aber geistesgegenwärtig, wie es sich mir geziemte, machte ich eine Hochgeschwindigkeitspirouette, wodurch der Fangarm meinem Hals entwunden wurde. Zu allem entschlossen, packte ich mit beiden Händen die herabhängenden und nun verdrillten Fangarme und – biss hinein.“

      Skratschko holte durch die Nase tief Luft und verzog das Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen. „Es schmeckte ekelerregend. Mich befällt jetzt noch eine alle Sinne folternde Übelkeit, wenn meine Erinnerung daran erwacht. Aber es war meine einzige Chance, mich selbst dem Leben zurück zu gewinnen. Mit ein oder zwei Bissen war es allerdings nicht getan. Die Fangarme eines Duschkopfzünglers sind unendlich lang und gleiten unaufhaltsam sich verlängernd aus dem Duschkopf. Hatte ich ein Stück abgebissen und hinunter geschlungen, waren die Fangarme von oben bereits um die doppelte Länge nachgewachsen. Ich aß um mein selbstloses Leben. Ich musste schneller essen, als die Fangarme aus dem Duschkopf wuchsen. Der Kampf dauerte Stunden und als ich kurz davor stand, zu verzagen und mich meinem Schicksal zu ergeben, weil mein um das Dreifache angeschwollener Bauch zu zerbersten drohte, gab es mit einem Mal ein schmatzendes Geräusch. Der Duschkopfzüngler hatte den Rest seiner verstümmelten Fangarme zurück schnellen lassen und war verschwunden.“

      Skratschko hielt inne und schaute mit leerem Blick in die Ferne. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er schien so erschöpft zu sein, als habe er beim Erzählen den Kampf ein zweites Mal ausfechten müssen. Schließlich erhob er sich schwerfällig und tat einen tiefen Atemzug. „Seit diesem Ereignis ist die Welt sicher vor dem Duschkopfzüngler. Er lebt zwar noch, aber er getraut sich aus keiner Dusche mehr heraus. Zumindest, solange ich lebe.“

      Mit ernster, nachdenklicher Miene ging er ein paar Schritte hin und her. „Hm“, brummte er vor sich hin, „vielleicht sollte ich in meinem Testament verfügen, dass man mich nach meinem Dahinscheiden ausstopft und mich vor eine Dusche stellt. Darauf müsste der Duschkopfzüngler eigentlich hereinfallen ...“ Dann schüttelte Skratschko sich und sagte zu uns: „Jetzo wollen wir nicht mehr diesen in der Tat das Gemüt beschwerenden Gedanken nachhängen. Noch weile ich ja unter euch.“

      Patsch, der wieder einmal gelangweilt mit seinem Messer den Dreck unter seinen Fingernägeln herauskratzte, gähnte und meinte: „Mein lieber Skratschko! Du hast vajessen zu erwähnen, dass der Duschkopfzüngler sich bloß zurückjezogen hat, weil icke den Wasserhahn zujedreht hab.“

      Skratschko warf einen vernichtenden Blick auf Patsch. „Elender Verleumder.“ Und zu mir gewand, fügte er hinzu: „Hör Er nicht auf diesen krankhaften Hochstapler, der an keiner fremden Ruhmesfeder vorbeigehen kann, ohne sich selbst damit zu schmücken.“

      Um nicht dem Vorwurf der Einseitigkeit ausgesetzt zu werden, habe ich diese beleidigende Bemerkung von Patsch nicht verschweigen wollen. Jeder Leser möge sich selbst ein Urteil bilden. Doch sollte man wissen, dass Patsch es mit der Wahrheit nicht immer sehr genau nahm. Er war ein Ironiker, ein Fabulierer, der kein Maß kannte. Insbesondere sein, bereits erwähnter, krankhafter Zwang zum Widerspruch, ließ ihn oft abstruse Äußerungen machen.

      Wenn er allerdings, was nicht allzu oft vorkam, ungewöhnlich gut gelaunt war und sich selbst auf seinem sonst so griesgrämigen Gesicht ein Lächeln abzeichnete, dann war es schlicht und einfach die Freude am Spaß, die Patsch aufschneiderische Geschichten erfinden ließ. Dann waren seine Geschichten so abstrus, dass sofort klar war, er hielt uns jetzt nur zum besten. So erzählte er einmal eine wahrhaft haarsträubende Geschichte.

      Er