Frank Hille

Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte - Band 2


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fühlte sich mehr als unwohl. Das junge Paar im wenig entfernt stehenden Zelt scherte sich überhaupt nicht darum, dass die anderen Leute auf dem Platz ihnen beim Sex zuhören konnten und sie gaben sich auch nicht die geringste Mühe, ihre Lustlaute zu unterdrücken. Die Frau stöhnte ununterbrochen und rief leise Worte in Tschechisch, der Mann war zurückhaltender und blieb akustisch im Hintergrund, aber auch er redete manchmal mit der Frau, es waren anfeuernde Worte, die Petra zwar nicht verstand, aber der Tonfall erregte sie. Sie hatte schon immer ein gutes Zeitgefühl gehabt und schätzte, dass die beiden sich schon mehr als zehn Minuten miteinander vergnügten. Als die Frau leise zu jammern begann ahnte sie, dass sie bald den Höhepunkt erreichen würde, jetzt nahm sie auch das heftige und schnelle Aufeinanderprallen der beiden Körper wahr und als der Mann hemmungslos stöhnte und die Frau nochmals laut aufschrie fühlte sie sich erregt. Sie fühlte sich von der Szenerie einerseits sehr gefangen, auf der anderen Seite aber auch abgestoßen. Es war ihr unverständlich, dass sich zwei Menschen nicht scheuten, so einen intimen Akt fast in der Öffentlichkeit auszutragen.

      „Das war ja ein richtiges Abendprogramm“ sagte Bernd Fühmann leise und sie ahnte, dass er grinste.

      „Würdest du das hier machen“ fragte sie zurück.

      „Natürlich nicht, dazu gehören nun mal keine Zuschauer oder Zuhörer und wenn zwei so etwas tun sollten sie es besser ohne Publikum machen, aber manche stehen ja auf den besonderen Kick, die Menschen sind eben sehr unterschiedlich.“

      Er drehte sich zu ihr herüber und sagte leise:

      „Petra, ich glaube, ich liebe dich. Das hat übrigens nichts mit der Vorstellung von gerade zu tun. Und du musst jetzt auch nichts sagen.“

      Sie erstarrte, eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er sich irgendwann erklären würde, und ob dies jetzt der richtige Moment war, bezweifelte sie. Sicher war er auch durch das Ereignis erregt worden und sie konnte sich gut vorstellen, dass er eine Erektion hatte und seine Phantasie sie beide beim Sex sah. Dass sie Null Erfahrung auf diesem Gebiet hatte konnte er nicht wissen, sie kannten sich jetzt knapp zwei Jahre und ihr Leben vor dieser Zeit lag für ihn komplett im Dunkeln. Sie wusste selbst dass sie gut aussah, und es war für die Männer, die um sie herum waren, immer unverständlich geblieben, dass sie allein blieb. Sicher war Bernd ein angenehmer Mensch der immer zurückhaltend auftrat, sich nie in den Vordergrund drängte und mit seiner überlegten Art ganz praktische Dinge leicht erledigte. Mit ihm über die verschiedensten Themen zu reden war anregend, eigentlich konnte sie sich schon vorstellen mit ihm zusammen zu sein aber sie bezweifelte, ob sie mit Mitte dreißig überhaupt noch solche Gefühle entwickeln konnte die ihr bislang vollkommen fremd gewesen waren. Ob sie eine starke Nähe zu einem anderen Menschen, die sie noch nie zugelassen hatte, überhaupt ertragen könnte, war ihr nicht klar. Dass er eine Antwort haben wollte war ihr verständlich, sie war dazu aber nicht in der Lage und sagte nur:

      „Lass uns wieder schlafen, es ist spät.“

      Am nächsten Morgen taten beide so, als wäre nichts gewesen. Es war für Petra Becker schon eine Überwindung gewesen überhaupt mit ihm zusammen weg zu fahren und auf engem Raum zusammen zu sein, aber sie hatte sich schnell daran gewöhnt ihr Nachtzeug in dem Waschraum anzulegen und er bedrängte sie in keiner Art, so dass die Tage ihnen wirklich gut taten. Nach ihren Wanderungen saßen sie abends am Lagerfeuer, tranken Wein und redeten miteinander, manchmal schauten sie nur in das Feuer und sie hatte das Gefühl, ihn schon lange zu kennen. Dass sie ihn enttäuschte weil sie ihm keine Antwort gab konnte sie ahnen, aber sie schob diese Entscheidung vor sich her. In den verbleibenden Tagen hatten sie noch viele gute Stunden miteinander, und als er sich vor ihrer Wohnung von ihr verabschiedete drückte sie ihn flüchtig. An diesem Abend fand sie keine Ruhe und vermisste ihn schon nach wenigen Stunden, langsam zerbrach das eiserne Korsett das sie seit Jahren trug, und dann heulte sie hemmungslos.

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