Mira Schwarz

Date to go - (K)ein Mann zum mitnehmen


Скачать книгу

Ich verließ den großen Verkaufsraum durch eine Tür, auf der „NUR FÜR MITARBEITER“ stand. Zügig durchquerte ich den dunklen Flur, der zu den Lagerräumen führte und bog in den kleinen Gemeinschaftsraum ab. Ich hängte meinen blauen Arbeitskittel an einen Haken und griff nach meiner Tasche.

      Eine Stimme ließ mich in der Bewegung verharren. „Isabel, könnte ich dich einen Moment sprechen?“

      Verdammt, ich war nicht schnell genug gewesen. Durch die halb geöffnete Tür schob sich der Kopf von Katharina, der Geschäftsführerin.

      „Sicher“, seufzte ich und hängte meine Tasche zurück an den Haken. Unauffällig warf ich einen Blick auf die Uhr. Ich hatte eigentlich seit zehn Minuten Feierabend.

      Katharina winkte mich zu sich heran und zeigte auf ihr kleines Büro. Sie war mindestens fünf Jahre jünger als ich, gerade mal Mitte zwanzig. Seit einem Jahr war sie für die vier Hamburger Verena-Biosupermärkte zuständig. Soweit ich sehen konnte, war das ein recht übersichtlicher Job. Aber Katharina benahm sich gerne so, als müsste sie ein international operierendes Milliarden-Unternehmen managen.

      „Worum geht es denn?“, fragte ich und versuchte, jeden aggressiven Unterton aus meiner Stimme zu verbannen.

      „Pass auf“, sagte sie, als spräche sie mit einem Kind. „Wir haben hier ein paar einfache Regeln. Erstens: Unter den blauen Kitteln tragen wir weiß. Und zweitens: Wenn wir uns an der Kasse von den Kunden verabschieden, fragen wir: Haben Sie alles bekommen?

      Ich sah an mir herunter. Ich trug ein T-Shirt in hellstem Beige. Und ich hatte diese dämliche Frage wirklich so gut wie allen Kunden gestellt und ihre genervten Blicke heldenhaft ertragen. Ich atmete tief durch. „Tut mir leid, ich werde in Zukunft daran denken.“

      „Das wird schon noch.“ Mein unterwürfiges Verhalten stimmte sie milde, aber sie konnte sich eine spitze Bemerkung trotzdem nicht verkneifen. „Eigentlich solltest du doch in der Lage sein, dir diesen einfachen Satz merken zu können“, fügte sie hinzu.

      Ich dachte an mein mit Auszeichnung bestandenes Architektur-Studium. An mein Auslandssemester in Oxford. Ich hatte nach meinem Abschluss mit achtundzwanzig Jahren einen Job in einem der führenden Architektur-Büros Deutschlands ergattert. Ich war noch vor ein paar Wochen federführend für ein Millionenprojekt zuständig gewesen. Aber Fakt war: jetzt war ich hier und arbeitete als Kassiererin.

      Manchmal war das Karma ein wirklich mieser Verräter.

      Mein Lächeln vereiste, aber ich nickte brav. „Wie gesagt, ich werde mein Bestes tun“, erwiderte ich.

      „Na, gut“, schloss sie das Gespräch ab. „Dann sehen wir uns morgen.“

      Ich holte schnell meine Tasche und atmete tief durch, als ich den Laden endlich durch die Hintertür verließ. Was war bloß mit mir passiert? Wie konnte es sein, dass ich mit dreißig Jahren vor den Trümmern meines Lebens stand?

      Ich holte mir einen Döner am nächsten Kiosk und nahm einen kleinen Umweg in Kauf, um durch den Park nach Hause zu gehen. An einer Brücke blieb ich stehen und beobachtete einen Vater, der mit seiner Tochter ein Papierboot in den Bach setzte. Er sah aus wie Daniel – die gleichen dunklen Haare, die gleiche Statur. Der Anblick traf mich mitten ins Herz.

      Ich schloss die Augen und wünschte mir, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Ich hätte von Anfang an alles anders machen sollen. Na ja, vielleicht nicht alles. Denn dann hätte ich Daniel ja nie kennengelernt. Aber vielleicht hätten wir eine Chance gehabt, wenn ich nicht so eine Idiotin gewesen wäre.

      Kapitel 1 - Auf zu neuen Ufern!

      Zwei Monate zuvor

      „Ach, komm schon, Isi“, stöhnte meine beste Freundin Lena. „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Ich kenne wirklich niemanden, der immer wieder auf die gleiche Art von Aprilscherzen hereinfällt.“

      „Ich hatte nicht auf den Kalender gesehen“, verteidigte ich mich. „Mir war doch nicht klar, dass heute der erste April ist.“ Wir saßen auf unseren Spinning-Rädern im Fitness-Studio und traten gemächlich in die Pedalen.

      Sehr gemächlich.

      „Was haben diese Idioten denn nun genau gesagt?“, fragte Lena und hörte auf zu treten. Sie holte ein Haargummi aus der Tasche ihrer trendigen Sporthose und band sich ihre dunklen Haare zusammen. Obwohl sie mich mitleidig ansah, blitzten auch Spott und Neugier in ihren Augen.

      Die Idioten waren Tobias und Maik. Ich teilte mir mit ihnen ein Büro bei Berthold & Fechtner, der größten Architekturfirma in Deutschland. Sie arbeiteten wie ich in der Zweigstelle des Unternehmens in Hamburg und ließen nichts unversucht, um mir das Leben schwer zu machen.

      Obwohl wir seit fast zwei Jahren ein Büro teilten, hatten meine Kollegen es bisher geschafft, mich aus all ihren privaten Unternehmungen auszuschließen. Nicht, das ich wild darauf gewesen wäre, mit ihnen zu irgendwelchen Sportveranstaltungen oder in dubiose Nachtclubs zu gehen. Aber es war wirklich unverschämt, wie sehr sie sich immer gegenseitig unterstützten und mich gleichzeitig bekämpften.

      Ich seufzte theatralisch. „Sie haben mir gesagt, dass der alte Fechtner uns aufgefordert hätte, unsere Ideen für einen Stripclub im Las Vegas-Stil zusammenzutragen.“ Ich konnte sehen, dass Lena alle Mühe hatte, sich das Lachen zu verbeißen. Ich warf ihr einen warnenden Blick zu, während ich weiter redete. „Also habe ich mich den ganzen Vormittag damit beschäftigt, mir solche Clubs im Internet anzusehen. Ab und zu sind diese Lackaffen an meinen Platz gekommen und haben mir über die Schulter gesehen und mir aufmunternd zugenickt.“ Ich musste schlucken. „Weißt du, was das Erbärmlichste ist? Ich habe es richtig genossen, mich mit ihnen auszutauschen. Ich dachte, sie hätten mich endlich akzeptiert.“ Ich schloss einen Moment die Augen. „Ich bin so bescheuert! Das Gemeine war ja, dass wir wirklich ein Meeting mit dem Chef hatten. Er hatte angekündigt, uns am Nachmittag über ein neues Projekt zu informieren. Es hat alles zusammen gepasst.“

      Lena hatte wieder angefangen, in die Pedalen zu treten.

      Sie sah mich nachdenklich an. „Das ist wahrscheinlich dein eigentliches Problem. Das du immer noch dazugehören willst.“

      Ich seufzte. „Es war wirklich schrecklich. Ich kam da mit diesen ganzen Bildern von nackten Frauen in die Besprechung. Diese Scheißkerle haben sich weggeschmissen. Sie konnten kaum das April, April rausbringen, so haben sie gelacht.“ Jetzt kochte ich wieder vor Wut. „Und weißt du, was die Oberfrechheit war? Tobias hatte die Dreistigkeit zu behaupten, sie hätten mir doch nur einen Gefallen getan. Er meinte, es hätte mir doch sicher Spaß gemacht, die Stripperinnen anzusehen.“

      Ich musste schlucken, um die Tränen zurückzudrängen.

      „Ach, komm.“ Lena boxte mich leicht. „Die sind halt immer noch beleidigt, weil sie bei dir nicht landen konnten.“

      Wir radelten eine Weile schweigend vor uns hin. Jetzt, wo ich Lena alles erzählt hatte, kam mir die Sache schon gar nicht mehr so schlimm vor. Vielleicht konnte ich diese Geschichte wirklich mit etwas mehr Humor sehen und als lustige Anekdote abhaken.

      „Dein Chef hat davon aber nichts mitgekriegt, oder?“, erkundigte sich Lena nach einer Weile besorgt.

      Ich schüttelte den Kopf. „Nein, er kam wie immer eine Viertelstunde zu spät und hatte es verdammt eilig.“

      „Und um was für ein Projekt geht es wirklich?“

      „Wir sollen dem Chef bei der Vorbereitung für eine Ausschreibung zuarbeiten.“ Ich merkte, dass mein Herz bei dem Gedanken ein wenig schneller klopfte. „Es geht um eine Ferienanlage im Harz. Eine Mischung aus Wellness-Oase und Urlaubsdorf. Ist für einen Investor aus Japan.“

      „Wahnsinn!“ Lena sah mich beeindruckt an. „Das wäre mal was anderes als die ganzen Bürohäuser, mit denen du dich bis jetzt herumschlagen musstest.“

      Ich nickte. „Aber die Sache hat einen Haken. Wir müssen alle am nächsten Freitag mit dem Investor