Gerrit Hansen

Die kleinen unbedeutenden Fälle von Hauptkommissar Knut Hansen aus Kiel


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      Wilkens sah dem Kommissar noch nach, bis dessen Wagen das Hotelgelände verließ und wandte sich dann wieder seiner Arbeit zu.

      Nachwort: Später gab Murat zu, dass er „dubi dub dub dubi dub“ gesagt hatte, was im Morsecode dem SMS-Kürzel ‚DN‘ für „Du Nervst“ entspricht.

      Kapitel 6Fall 6: Elefantenklau am Neujahrsmorgen

      Knut Hansen hatte vom Winter die Nase voll. Er war nicht gerade ein wetterfühliger Typ, aber dieses Jahr war wettermäßig die reinste Katastrophe. Der Sommer hatte drei heiße Wochen gehabt, in denen man kaum vor die Tür gehen konnte und ging dann zügig in einen verregneten Herbst und ebensolchen Winter über. Als er nun am Neujahrsmorgen zwischen grauen Schneehaufen und den matschigen Überbleibseln des Silvesterfeuerwerks hindurch die Feldstraße hinaufstapfte, ließ er sich die Einzelheiten des aktuellen Falls durch den Kopf gehen.

      Um 0.35 Uhr war eine maskierte Person mit Hilfe eines Vorschlaghammers in die ’Bären-Apotheke’ in der Feldstraße eingedrungen. Die Person hatte das Sicherheitssystem und einen Teil der Einrichtung verwüstet, die Kasse vollständig in Stücke gehauen und diverse Dekorationsobjekte entwendet. Bei der Befragung erinnerten sich einige Augenzeugen aus benachbarten Gebäuden an ein ausgiebiges, sehr lautes und stark rauchendes Feuerwerk direkt vor der Apotheke. Im Meldeformular für die Versicherung hatte die Besitzerin den Schaden an Sicherheitssystem und Mobiliar mit etwa tausend Euro beziffert und den Wert der Beute auf etwa dreihundertfünfzig. Hansen schüttelte den Kopf – er musste an die Geschichten von Arztpraxen denken, in denen man nachts 50-Euro Scheine auf dem Tresen liegen ließ, damit Einbrecher auf der Suche nach ’schnellem Geld‘ ihren Frust nicht an der Einrichtung ausließen. Es gab Tage, da wünschte er sich, er könne wieder Kind sein und den ganzen Tag am Hafen von Langeoog übers Wasser schauen.

      Während er so vor sich hin dachte, war er vor der abgesperrten Apotheke angekommen, bei der er mit der Besitzerin verabredet war. Anne-Luise Schilling war eine sehr gepflegte, sportlich wirkende Frau Anfang Fünfzig mit leicht überspannten Gesichtszügen und schon auf den ersten Blick ungeheuer unsympathisch. Sie trug ein tadelloses, dunkelblaues Kostüm und wenige, aber sehr kostspielig aussehende Accessoires. Knut musste dem Verlangen stramm zu stehen und zu salutieren widerstehen, denn diese Frau flößte ihm schon auf Entfernung Respekt ein. Sie sah leicht gereizt auf die Uhr, während er über das Absperrband hinwegstieg und auf sie zuging (entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten war er fast 5 Minuten zu spät). Polizeihauptkommissar Köppcke, sein treuer Kollege und seine „rechte Hand“, stand neben der Apothekerin und zog vielsagend die Augenbrauen hoch, als sich seine Blicke und die seines Chefs kurz trafen.

      Er beschleunigte auf den letzten Metern und startete, noch im Gehen, mit ausgestreckter Hand seine Angriff-ist-die-beste-Verteidigung-Begrüßung: „Frau Schilling – ich grüße Sie, Hauptkomissar Hansen mein Name – wir waren hier verabredet. Entschuldigen Sie meine Verspätung, auf dem Revier ist die Hölle los und dann dieser Verkehr, naja – Sie kennen das ja ... wie ich sehe, haben Sie den ersten Schreck gut überwunden – Sie sehen ja, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, aus »wie aus dem Ei gepellt«.“ Er schloss die Begrüßung mit seinem bes­ten Sonntagslächeln. Frau Schilling, die offensichtlich gewohnt war, das erste Wort zu haben, schloss den Mund und schluckte den ersten Ärger wieder hinunter. Sie schien fast etwas beleidigt zu sein, dass man ihr den Triumph eines ersten Aufbrausens genommen hatte, fasste sich aber schnell wieder und schaltete zielsicher in eine andere Stimmung. Theatralisch hielt sie sich den Handrücken an die Stirn: „Ach Herr Kommissar, gut dass Sie da sind! Es ist ja alles so entsetzlich! Ich bin ganz außer mir ... mein schönes Geschäft, meine Einrichtung ... alles mit einem Schlag zerstört.“ ‚Die Opferrolle steht ihr nicht‘, dachte Hansen, bewegte aber keinen Muskel in seinem professionell gestählten ’Befragungs-Gesicht’. Er sah sie während ihres folgenden mehrminütigen Monologs interessiert an, ohne wirklich zu hören, was sie sagte. Jahrzehntelange Routine hatten seine Wahrnehmung soweit geschult, dass er Belanglosigkeiten wie Reden über die Lage der Nation, Unfähigkeit der Politiker, Beamtenfaulheit und Ähnliches einfach nicht mehr hörte. Vor seinem inneren Auge erschienen dann immer Nordseemotive: friedlicher Wellengang, die beruhigenden Rufe der Möwen, hinausfahrende Fischkutter, Strandhafer der sich im Wind biegt ...

      „... Mein Exmann! Er war es! Ganz klar. Sie müssen sofort in seine Wohnung fahren und ihn festnehmen, da werden Sie mein Geld und meine schönen Sachen schon finden“, schloss die Frau ihren Vortrag. Hansen war wieder voll da – ein Verdächtiger! Wie schön. ’Und die Frau hatte nur 10 Minuten reden müssen, bevor sie diesen Punkt erwähnte’, dachte er zynisch. Er hakte nach und ließ Köppcke protokollieren.

      Wie sich herausstellte, war Frau Schilling vor einem Jahr geschieden worden. Den Namen hatte sie behalten, da dieser – wie sie mehrfach betonte – einen guten Ruf in der Stadt habe und vielleicht auch nicht zuletzt, weil sie eine geborene ’Sauschläger‘ war. Sie hatte zusammen mit ihrem Mann eine Apotheke ein Stück weiter die Straße rauf betrieben und nach der Scheidung das Haus und den weitaus größten Teil des Inventars zugesprochen bekommen. Danach hatte sie die eigene Apotheke in unmittelbarer Nähe eröffnet und, wie sie es formulierte, ’ihren‘ Teil der alten Kundschaft ’dazu animiert‘ nun nur noch bei ihr zu kaufen. Die Apotheke ihres Ex-Mannes stand ihrer Erzählung nach mittlerweile kurz vor dem Aus, er war also in Geldnot. Als weiteres Indiz für seine Schuld führte sie an, dass eine knapp 40 cm hohe, indische Elefantenstatue aus Sandelholz aus dem Schaufenster gestohlen worden war. Diese, so fuhr sie fort, gehörte damals zur Wohnungseinrichtung und ihr Mann hatte sie nach der Scheidung unbedingt haben wollen. Sie fand diesen Elefanten zwar immer schon hässlich, aber deswegen gönnte sie ihn ihrem Mann noch lange nicht. Daher kämpfte sie darum mit harten Bandagen. Später ließ sie den Elefanten dann ins Schaufenster ihrer Apotheke stellen, erzählte sie weiter – nicht ohne zu betonen, dass sie sich an dem ’schweren Ding’ einen Fingernagel abgebrochen hatte. Ob sie die Statue nun als Dekoration dort platzierte oder um ihren Ex-Mann zu ärgern, der auf dem Weg zur Arbeit täglich an ihrem Schaufenster vorbeiging, ließ sie offen. Sie gab lediglich zu verstehen, dass sie bei einem normalen Einbruch heilfroh gewesen wäre, dass jemand das scheußliche Ding mitgenommen hat – Herrn Schilling, ihrem Ex-Mann, gönnte sie es aber keinesfalls und er solle für diese Unverschämtheit sofort aufs Schärfste zur Verantwortung gezogen werden.

      Knut Hansen brummte der Kopf. Nach einer kurzen Teepause auf dem Präsidium und anschließender Sammlung der bisherigen Fakten ging es ihm etwas besser und er machte sich auf zu Herrn Schilling. Der Kommissar stand vor der Tür und wartete. Der Klang der Türklingel hallte in seinen Ohren wider, während er auf Schritte im Inneren lauschte. Herr Schilling öffnete ihm mit aschfahlem Gesicht. Erst jetzt erinnerte sich Hansen daran, dass heute der erste Januar war – ein Tag also, an dem viele Leute gegen 10 Uhr vormittags noch nicht ganz auf der Höhe waren. „Ja bitte?“ „Guten Tag – Herr Schilling, nehme ich an? ... Hauptkommissar Hansen von der Kriminalpolizei. ...“

      Herr Schilling wohnte ganz in der Nähe der ’Bären-Apotheke’ in einem kleinen, zurückgesetzten Reihenhaus. Vor dem Haus machte ein winziges, gut gepflegtes Gartenstück mit einer kleinen, liebevoll platzierten Sitzecke und einem seerosenbedeckten Mini-Gartenteich auf Knut Hansen den Eindruck, dass hier jemand wohnte, der sich nicht gehen ließ und das Beste aus seiner schlechten Situation machte. Herr Schilling stellte sich dann auch als sympathischer, höflicher Mann heraus und gab dem Polizisten bereitwillig Auskunft. Er hatte vergangene Nacht eine große Silvesterparty gegeben, die von 20 Uhr bis in den späten Morgen andauerte. Die Gäste könnten das sicherlich bezeugen. Die Angaben seiner Ex-Frau bestätigte er weitestgehend, wenn auch verständlicherweise aus einem anderen Blickwinkel. „Sie hat mich bis aufs Hemd ausgezogen ...“, schloss er seinen längeren Bericht, als sie gemütlich mit einer Tasse Kaffee in der Wohnküche des Apothekers saßen. „Sehen Sie das?“ – er deutete mit dem Finger auf eine große, moderne Wanduhr im Nebenzimmer. „Wie finden Sie die?“ Knut Hansen wollte nicht unhöflich sein – „Mir sind sie mit Zahlen lieber“, antwortete er deswegen diplomatisch. Doch sein Gegenüber schüttelte nur den Kopf: „Sagen Sie es ruhig: das Ding ist scheußlich – findet jeder. Aber das ist das einzige Teil aus unserem Haus, das sie