Gerrit Hansen

Die kleinen unbedeutenden Fälle von Hauptkommissar Knut Hansen aus Kiel


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nervtötendes Piepen ertönte aus dem Nebenraum und wiederholte sich mehrfach. „Die Wäsche ist fertig, ich kümmere mich gleich drum“, erklärte Scharwattke abwesend und ließ den Kommissar dabei nicht aus den Augen.

      Knut Hansen war ehrlich interessiert, wie immer, wenn etwas für ihn neu war. „Ein Wald-Elf-Magier, hmm … das sieht ja sehr aufwändig aus – wo kauft man denn sowas?“ Sein junges Gegenüber schien in seinem Stolz gekränkt: „Pah! Das kauft man nicht, das macht man selbst – ein, zwei Kurse an der Volkshochschule, ein Restposten Leder und fertig. Das Teuerste daran sind die Ziernieten und der ganze Kram und das kauft man dann eben nach und nach dazu, wenn mal etwas Kleingeld über ist.“ Der Kommissar gab sich weiter fasziniert. „Aha! Und was ist das? Hing da mal ein Schwert?“ Er zeigte auf eine helle Silhouette auf der vergilbten Tapete. „Wie? Ach ja, das Schwert … das hab ich … verloren. Aber das brauche ich als Magier sowieso nicht – ich habe ja meinen Runenstab.“

      Hansen erinnerte sich daran, dass er noch zu arbeiten hatte und gab sich einen Ruck. „Na gut, Herr Scharwattke – wir haben dann soweit alles – Köppcke! Schreibst du noch schnell die Daten von der Freundin auf?“

      Nachdem Hansens Kollege sich von dem Verdächtigen die notwendigen Daten hatte geben lassen, verabschiedeten sich die beiden Polizisten und kehrten dem nervösen jungen Mann den Rücken.

      Knut Hansen hatte den Türknauf schon in der Hand, da drehte er sich um. „Himmelherrgott Scharwattke!“ Der junge Mann erschrak und sah aus, als wollte er gleich anfangen zu weinen. „Wollen wir uns das nicht sparen? Mein Kollege hier und ich wissen seit fünf Minuten nach Betreten dieser Wohnung, dass Sie der Täter sind. Und wir sind Ihnen deswegen auch gar nicht böse. Man braucht sich hier nur umzusehen, um zu erkennen, dass Sie finanziell wirklich knapp dastehen. Ein kurzes Gespräch mit Ihnen reichen aus, um zu erkennen, dass Sie kein Verbrechertyp sind. Ich nehme einmal an, Sie brauchten dringend einen größeren Betrag. Vermutlich, um Ihrer neuen Freundin zu imponieren. Das wird auch der Grund sein, warum Sie jeden Gegenstand von Wert in dieser Wohnung im Internet verschachert haben. Wahrscheinlich hatten Sie gerade die letzten Auktionen laufen und konnten absehen, dass nicht genug zusammenkommt. Da haben Sie Panik bekommen und die Tankstellengeschichte angeleiert. Sie konnten vermutlich vor Aufregung nicht schlafen, deswegen haben Sie dann noch dies und das erledigt und wollten wahrscheinlich gerade noch ein paar letzte Dinge regeln und sich dann mit dem Geld zu Ihrer Freundin aufmachen, als wir an Ihre Tür klopften.“

      Scharwattke war nur noch ein Häufchen Elend – halbherzig setzte er dagegen: „Nein, ich war wirklich bis eben gerade in Hamburg – fragen Sie meine Freundin! Und ...“

      „Ach verschonen Sie mich! Sie wussten, dass der Überfall um zwei Uhr nachts stattfand, obwohl wir nichts davon gesagt hatten. Die Heizung braucht zwei Stunden zum Warmlaufen und hier ist es warm wie in der Wüste. Das Kalenderblatt von heute ist aufgeschlagen und das Waschmaschinenprogramm war gerade am Ende, als wir kamen … Erzählen Sie mir also keinen Quatsch von ‚gerade erst angekommen‘. Sie sind ein ganz schlechter Lügner. Und soll ich Ihnen was sagen? Das wird Ihnen Ihre Haut retten. Ich werde nämlich in meinem Bericht betonen, dass in Ihnen keine wirklich ernstzunehmende kriminelle Energie steckt. Wenn Sie ein Geständnis ablegen, kommen Sie mit einer kurzen Haftstrafe oder wahrscheinlich sogar Bewährung davon – zumal ich mir sicher bin, dass Sie keine echte Waffe dabei hatten, oder?“

      Scharwattke senkte den Kopf und sagte kaum hörbar: „Nein, das war ein ganz billiges Spielzeug – ich hatte die ganze Zeit Angst, dass der Kerl von dem Öllaster das bemerken und mich vermöbeln würde, deswegen habe ich auch so wild rumgeschrien.“

      Hansen fuhr fort: „Wenn wir jetzt gegangen wären, hätten Sie schnell Ihre Freundin angerufen und ihr erklärt, dass Sie ein Alibi brauchen – aber glauben Sie mir, die Dame wird Sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, wenn sie davon Wind bekommt, das Sie Ärger mit der Polizei haben. Was war es denn eigentlich, wofür sie das Geld brauchte – Schmuck, ein Auto, Urlaub?“

      Scharwattke hatte Tränen in den Augen und versuchte sich mit trotzig rotem Kopf besonders hoch aufzurichten – ohne Erfolg. „Nein! Sie ist nicht so eine! Nicht meine Annika ... es geht ihr doch nur um ihre kranke Mutter in Kopenhagen! Annika ist nämlich zur Hälfte Schwedin und will ihre Mutter zu sich holen.“

      Hansen und Köppcke lachten gleichzeitig laut auf. Verunsichert, wütend und gekränkt bellte Scharwattke sie an: „Was ist denn? Warum lachen Sie? Das ist die Wahrheit!“

      „Köppcke klären Sie den jungen Mann auf und dann lesen Sie ihm auch gleich seine Rechte vor. Ich geh schonmal vor die Tür – mir wird’s hier zu warm.“ Olaf Köppcke räusperte sich und sprach zum ersten Mal, seit sie in die Wohnung gekommen waren. „Mensch Herr Scharwattke, Kopenhagen ist in Dänemark! Und Annika heißt doch die Kleine bei Pippi Langstrumpf. So könnte eine Schwedin natürlich wirklich heißen, aber es wäre auch so ziemlich der erste Name, auf den eine schlechte Lügnerin käme, von „Ronja“ vielleicht mal abgesehen. Nun gut … Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern. Alles was Sie sagen kann später gegen Sie verwendet werden ...“

      Im Dienstwagen drehte sich Hansen noch einmal zu dem unglücklichen Täter um: „Sehen Sie es als Chance. Viel tiefer als jetzt können Sie durch die Verurteilung gar nicht mehr sinken – machen Sie einen Neuanfang. Halten Sie sich von Ihrer ‚falschen Schwedin‘ fern und suchen Sie sich Arbeit. Über kurz oder lang finden Sie bestimmt eine nette Wald-Elfen-Magierin, die kein Geld von Ihnen will.“

      In dem tränennassen Gesicht Scharwattkes zeigte sich der Anflug eines Lächelns. Er atmete tief durch, legte den Kopf zurück und plötzlich schien die Spannung aus dem schmächtigen Mann zu weichen, als hätte jemand eine zentnerschwere Last von seinen Schultern genommen.

      Er schaute durch die regennasse Autoscheibe nach draußen und sagte seufzend: „Wer plant denn auch schon einen Überfall an einem Freitag, den 13.?“

      Kapitel 4Fall 4: Finsteres Mittelalter

      Es war ein brütend heißer Junitag. Knut Hansen hatte dienstfrei. Aus einer Laune heraus hatte der Hauptkommissar seinem Kompagnon Köppcke zugesagt, an diesem Wochenende etwas zusammen zu unternehmen. Die Planung der Unternehmung hatte er dem jüngeren Kollegen überlassen und fragte sich nun, wie klug das gewesen war. Aus den Augenwinkeln musterte er seinen langjährigen Kollegen, den er von der Arbeit her als integren, absolut zuverlässigen Musterpolizisten kannte. Olaf Köppcke, ein durchtrainierter Mann von fast zwei Metern, saß hinter dem Steuer des alten Volvos und trug ein kleidartiges Gewand aus rotem Samt, geziert von einem goldenen Löwen auf der Brust.

      Als sie in der kleinen Stadt Lütjenburg, den Anweisungen eines Parkwächters folgend, auf eine zum Parkplatz umfunktionierte Wiese fuhren, brach Hansen das Schweigen, das nun fast die ganze Fahrt von Kiel angehalten hatte: „Erklär‘s mir bitte nochmal, Olaf – was wird das hier?“ Der Kollege winkte lachend ab: „Ruhig Blut, Chef! Ich weiß, es ist etwas ungewöhnlich – aber lassen Sie sich darauf ein, es ist eine spannende Sache“. Der Wagen hielt, sie stiegen aus und Köppcke sprach weiter, während er um den Wagen herum zum Kofferraum ging. „Ich war vor 5 Jahren das erste Mal dabei. Sie wissen doch, damals hatte ich doch meine Susie kennengelernt und die hat mich drauf gebracht“. Hansen kniff die Augen zusammen. Einerseits der blendenden Sonne wegen, andererseits weil Köppcke sich in diesem Moment den Rest seiner Montur anlegte. Mit Helm, Kettenhandschuhen, Schwert und Schild stand der junge Mann vor ihm wie zum Kreuzzug gerüstet und sprach ungerührt weiter: „Das Mittelalter, Chef – hier kann man es erleben – und wenn man möchte, dabei mitmachen. Wie sieht‘s aus – wollen Sie‘s auch probieren? Ich habe noch ein paar Klamotten dabei, die machen Sie im Handumdrehen ein paar hundert Jahre jünger“. Dabei hielt er nacheinander einige altertümlich anmutende Gegenstände – gefilzte Hüte, ein Trinkhorn, ein Kurzschwert und ein sackartiges Leinengewand in die Höhe. „Dies hier würde Ihnen bestimmt gut stehen.“ Knut Hansen winkte lächelnd ab: „Nee, lass mal, Olaf – ich bleibe erstmal in Zivil – als neutraler Beobachter, quasi.“ Köppcke lachte und klappte das Visier des Helms hoch: „Kein Problem, Chef. Ich hatte es auch nicht anders erwartet. Ich selbst habe auch drei oder