Gerrit Hansen

Die kleinen unbedeutenden Fälle von Hauptkommissar Knut Hansen aus Kiel


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Buffet und anschließendem „Potpourri klassischer Meister“ als Abschluss. Weder die drei kurzen Pausen noch die Buffet-Auszeit hätten gereicht, um eine Fähre über die Förde und zurück zu nehmen. Lamprecht hatte mehrere Orchestermitglieder benannt, die bestätigen konnten, dass er anwesend war. Der Orchesterleiter erinnerte sich, das Lamprecht einen Einsatz verpasst hatte. Beim Aufbau hatte er versehentlich den Notenständer einer Cellistin umgestoßen und nicht zuletzt hatte sich im Foyer dann ja auch eine größere Gruppe seiner Kollegen zusammengefunden, mit der er dann weiterzog.

      Hansen überflog die wenigen Berichtzeilen wieder und wieder. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, formte sich das Muster eines Verdachts. Zunächst vage, dann immer deutlicher fügten sich kleine Teile zu einem Ganzen zusammen und bald schon lehnte er sich zurück und nahm lächelnd einen letzten Schluck Pfefferminztee, bevor er zum Telefonhörer griff.

      Zehn Minuten später verließ er sein Büro und suchte seinen Kompagnon, der mit einem Becher Kaffee auf dem Parkplatz stand und abwesend auf den Hafen und die Werftkräne schaute. „Köppcke! Zack zack! Wir haben zu tun. Schnell! Schicken Sie ein paar Männer ins Schloss, da sollen sie die Handtasche von der Hamann suchen - ich denke da an die typischen Taschendieb-Verstecke: Belüftungsschächte, Feuerlöscherboxen und so. Dann beschaffen Sie sich eine Telefonliste vom Kammerorchester und lassen sich von jedem Einzelnen sagen, inwiefern er sich an Lamprechts Anwesenheit an dem Tag erinnert. Dann bestellen Sie mir die Hamann her und lassen Sie mir den Karton mit Lamprechts ›Kram‹ ins Büro bringen.“

      Es wurde ein hektischer Tag: Die Handtasche wurde in einem Toilettenspülkasten in der Besuchertoilette des Schlosses gefunden und Lamprecht hielt dem anschließenden Verhör nicht lange stand. Wie sich rausstellte, hatte er hohe Schulden durch Sportwetten und war von Buchmachern unter Druck gesetzt worden. Er wohnte nicht weit von Frau Hamann entfernt, hatte durch Zufall ein Gespräch über ihre Finanzen mitangehört und sie seitdem ausspioniert.

      Schicht-Ende auf der Kieler Hauptwache: Die Wolkendecke war inzwischen aufgerissen. Die Kommissare Köppcke und Hansen standen lächelnd auf der Schotterauffahrt des Präsidiums und ließen sich die Herbstsonne aufs Gemüt strahlen. „So, Chef - jetzt nochmal Klartext: Wie war das? Ich hatte ja ne Menge mit der Einsatzleitung zu tun - da ist mir das im Mittelteil irgendwie entgangen. Wann hat sich Lamprechts Alibi denn nun eigentlich in Luft aufgelöst?“

      Hansen nahm die Pfeife aus dem Mund: „Ach, da ergab eines das andere ... den zündenden Funken gebracht haben dieses Weihnachtsgerede von der Hamann und das Ballistol-Öl.“ Olaf Köppcke war überschascht: „Wie, dieses Zeug, das der Lamprecht für seine Posaune hatte? Wie das?“ „Ach - das ist purer Zufall - Ballistol ist ja so eine Art Wundermittel für alles Mögliche, zuhause auf Langeoog hat mein Vater darauf geschworen. Der hat das, glaube ich, sogar getrunken - he, he … Das Zeug riecht relativ streng und außer seinen „heiligen“ Boots- und Angelsachen und der alten Flinte rochen bei uns hauptsächlich die Sachen danach, die lange eingelagert wurden. Es wäre mir von alleine nicht wieder eingefallen, aber als es im Bericht erwähnt wurde, musste ich sofort an unseren Weihnachtsbaumständer denken, der zum Schutz gegen Rost immer damit eingeölt wurde. In dem Moment hab ich gedacht: ›Was wäre, wenn die Hamann und ich uns eine Erfahrung teilen?‹ Als ich mir vorhin seine Sachen habe bringen lassen, hab ich nochmal an der Schmiere geschnüffelt und hatte sofort eine Flut von Erinnerungen ... DAS ist wirklich ein Geruch, der sich tief ins Gehirn brennt.“ Hansen runzelte geistesabwesend die Stirn, wechselte die Pfeifenseite und fuhr fort:

      „Eigentlich war für mich schon deswegen klar, DASS der Lamprecht der Täter war, ich wusste nur noch nicht, wie. Aber unter genauer Betrachtung fiel das Ganze schnell in sich zusammen. Zunächst einmal ist der Mann Posaunist, das ließ mich annehmen, dass er während der beiden Streichkonzerte im ersten Teil des Konzertes nicht übermäßig viel zu tun hatte. Die Überprüfung hat ergeben, dass der gute Mann in den ersten zwei Stunden nicht eine Note zu spielen hatte. Ihre Befragung aller Musiker des Orchesters hat, wie Sie ja wissen, ergeben, dass genau zwei Kollegen wussten, dass er sich kurz nach Konzertbeginn bis kurz vor der letzten Pause davongemacht hat - die beiden haben sich dabei aber nichts gedacht und alle anderen nahmen an, er sei die ganze Zeit dagewesen, weil er sich gezielt am Anfang und am Ende des Konzertes bemerkbar gemacht hat …“

      „Der verpasste Einsatz und der Notenständer!“ , rief Köppcke staunend dazwischen - „Genau! Schon etwas merkwürdig für jemanden, der 20 Jahre Orchestererfahrung hat. Der Rest der Arbeit war ein reines Rechenspiel. Lamprecht war in Reventlou zugestiegen und hatte eigentlich vor, ihr in Laboe die Tasche zu entreißen und wegzulaufen - nach seiner Aussage ergab sich dazu aber keine Gelegenheit. Auf der Fähre zurück sah er unverhofft seine letzte Chance, weil quasi niemand an Bord war. Ein schnelles ›Untertauchen‹ wäre dort nicht möglich gewesen, also hat er die Hamann im Eifer des Gefechts gleich ganz über Bord geworfen. Vorsichtshalber hatte er seine Regenjacke auf der Fähre von innen nach außen gewendet - so dass er scheinbar eine rote Jacke mit Kapuze anhatte. Dann ist er wieder in Reventlou ausgestiegen und zum Schloss gelaufen. Die Tasche hatte er wohl zunächst unter dem Jackett und bei der ersten Pinkelpause vorerst im Toilettenkasten versteckt - später wollte er sie holen und entsorgen.“ „Und das Geld?“ „Ja das Geld ... Im Geständnis kam dann raus, dass er den Buchmacher per Handy ins Café Teufelchen bestellt und ihm da das Geld zugesteckt hat - das war wohl nur ein paar Minuten bevor Frau Hamann mit ihrem guten Riecher vorbeikam und Alarm schlug.“ Die beiden Männer bewegten sich gemeinsam in Richtung Parkplatz. „Insgesamt hat der Bursche das Ganze ganz schön gerissen, wenn auch sehr knapp geplant und wohl auch alles auf eine Karte gesetzt, weil seine Gläubiger ihm solchen Druck machten. Und wenn er nach der Instrumentenpflege die Hände gewaschen hätte, wäre er vermutlich sogar durchgekommen – da haben ihm aber Kommissar Zufall und Annegrets feine Nase einen Strich durch die Rechnung gemacht.“

      Köppcke lachte: „Nicht vergessen die feine Nase von Hauptkommissar Hansen, ... ha ha hhhaaaatschie! Bis morgen, Chef!“

      „Gesundheit Köppcke! Mann, das klingt ja schlimm ... nehmen Sie sich lieber morgen frei und bleiben im Bett - mit so ´ner Grippe soll man nicht spaßen. Was Sie jetzt brauchen, ist viel Ruhe und eine Menge Pfefferminztee“, sagte Hansen lachend und lockerte seinen Schal, während sich sein Kollege auf dem knirschenden Kiesweg entfernte. Er fühlte sich schon wieder fast gesund.

      „Der gute alte Pfefferminztee“, dachte er und stieg in sein Auto.

      Kapitel 3Fall 3: Überfall am Freitag, den 13.

      Kommissar Knut Hansen hatte schlechte Laune an diesem saukalten Freitag, den 13. Dezember. Wie so häufig lag weder Schnee in der Landeshauptstadt, noch zeigte sich der Winter auf irgendeine andere Art von seiner positiven Seite. Es war einfach nur kalt.

      Zudem bereitete ihm auch das Datum Sorgen – seine Kindheit auf Langeoog war von unzähligen friesischen Aberglauben geprägt. Man fürchtete sich vor dem Unmut des Klabautermanns und an einem Freitag, den 13., hätte sich auf der Hallig keiner in seiner Familie auch nur vor die Haustür getraut. Obwohl sich Hansen für einen rationalen Menschen hielt, konnte er doch Ängste und Schatten seiner Kinderjahre nie ganz abschütteln.

      Als er auf der Hauptwache eintraf, stand sein ihm unterstellter Kollege Olaf Köppcke im Flur und unterhielt sich mit einer Kollegin. Als der junge Polizist seinen Vorgesetzten kommen sah, löste er sich aus dem Gespräch und kam schnellen Schrittes auf ihn zu. „Moin Chef!“, Hansen nickte ihm zu: „Guten Morgen Köppcke, was gibt’s Neues?“ Köppcke holte seinen Notizblock aus der Tasche, „Tankstellenraub im Knooper Weg. Der Täter ist während der Nachtschicht mit vorgehaltener Waffe in den Tankstellenshop gestürmt, hat knapp 700 Euro erbeutet und hat sich dann zu Fuß vom Tatort entfernt.“ „In der Nachtschicht? Haben die keinen Nachtschalter?“ „Doch, aber der Täter hat sich einen günstigen Zeitpunkt ausgesucht – Tankstelle wurde gerade betankt und während der Betankung lassen die bei den Tankstellen wohl immer die Türen auf, damit die Fahrer auf Klo gehen, Kaffee trinken u.s.w. können. Zum Zeitpunkt des Überfalls war der Tanklasterfahrer auch tatsächlich im Shop und hat sich vor Schreck übel an seinem Kaffee verbrüht.“

      Hansen ließ sich den Bericht geben und ging damit