Gerrit Hansen

Die kleinen unbedeutenden Fälle von Hauptkommissar Knut Hansen aus Kiel


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Lachen. Hansen blieb unberührt: „Rollmops“, sagte er knapp. „Ich rieche nach Rollmopswasser und mit dem Kutter will ich erst nächste Woche raus, das Wetter ist im Moment ungünstig.“

      Dem Juwelier war am Gesicht anzusehen, dass er es nicht gewohnt war, sprachlos zu sein. Bevor er seine Gedanken jedoch wieder sortiert hatte, fuhr Hansen fort und stellte augenblicklich klar, wer im folgenden Gespräch das Sagen hatte: „Die Kollegen machen hier nur ihre Arbeit und nun hören Sie mit dem Gebelle auf und erzählen Sie mir, was vorgefallen ist - Köppcke! Mitschreiben.“ Der Juwelier begann kleinlaut seinen Bericht: „Ist gut, Herr Hauptkommissar - verzeihen Sie, ich war etwas aufgebracht. Also es war so: Heute Morgen um sieben Uhr wollte ich den Laden aufschließen und sah, dass die Stahljalousien schon offen standen. Ich ging also rein und fand den Tresor leergeräumt. Das müssen Profis von langer Hand geplant haben. Nichts ist kaputt oder umgestellt worden - die sind hier einfach eiskalt reinspaziert, haben den Safe geöffnet und sind wieder verschwunden.“ Hansen blieb unbeeindruckt: „Wer außer Ihnen kennt die Safekombination?“ Kohlmorgen war wieder zu neuem Selbstbewusstsein erwacht und seine cholerisch überhebliche Art klang wieder deutlich hörbar in seiner Stimme mit. „Niemand, absolut niemand. Die ist gut verwahrt - einmal in meinem Kopf und einmal auf einer Notiz, sicher verwahrt in einem geheimen Geheimversteck.“

      Hansen kratzte sich am Kinn. „Sicheres Geheimversteck, so so ... ich schlage vor, Sie prüfen noch einmal nach, ob die Notiz immer noch sicher verwahrt ist und dann rufen Sie mich nochmal an - und nun gehen Sie und lassen Sie die Leute von der Spurensicherung ihre Arbeit machen.“

      Der Rest des Vormittags verlief ereignislos. Hansen arbeitete alten Papierkram ab und beantwortete ein paar lästige Anrufe bezüglich irgendwelcher Formalitäten knapp und schnell. Seine kalte Pfeife wanderte abwechselnd vom linken in den rechten Mundwinkel. Seit Januar durfte im Präsidium nicht mehr geraucht werden, das störte ihn aber nicht weiter, er rauchte sowieso nur selten – nur im Mund hatte er die Pfeife gern. Gegen zwölf Uhr wurde der Bericht der Spurensicherung zu dem Juwelenraub reingereicht. Hansen schlug den Pappdeckel auf und las einen zweiseitigen Bericht, der in guter, alter Polizeiberichtemanier wortreich und umständlich verkündete, dass man nichts gefunden hatte. Der Kommissar wunderte sich: Ein professionelles Verbrechen? Hier in Kiel? Sollte es so etwas tatsächlich geben? Es gab keine Fingerabdrücke, keine Spuren, keine Kratzer - nichts. Gerade gab Hansen sich lächelnd der Vorstellung eines fliegenden Einbrecher-Houdinis hin, da klingelte das Telefon. „Jo?“, grunzte er in den Apparat und wartete. „Herr Kommissar, Sie hatten recht – die Klebenotiz mit der Safekombination ist weg. Es muss gestern passiert sein - ein Fenster stand offen, ich dachte, ich hätte es aufgelassen - mein Gott, dann waren die Mistkerle auch in meinem Haus. Man kann sich also in seinen eigenen vier Wänden nicht mehr sicher fühlen.“

      „Nun bleiben Sie mal ruhig. Wir kommen gleich mit ein paar Mann von der Spurensicherung vorbei, fassen Sie nichts mehr an und lassen Sie alles, wie es ist.“

      Fünfundzwanzig Minuten später standen Hansen, Köppcke und Herr Kohlmorgen in dessen Küche. „So, Herr Kohlmorgen, wie war das? Das ‚absolut geheime Versteck‘ für Ihren Notizzettel war also ein Buch?“ „Sehr richtig, Kommissar. Ich hatte die Kombination auf einem gelben Haftnotizzettel in einen alten Band über die Militärische Kriegsführung im Dritten Reich versteckt. Wissen Sie, meine Bibliothek ist recht umfangreich und ich dachte, der Zettel wäre dort ausreichend sicher versteckt.“

      „Kriegsführung sagen Sie? Nun gut. Köppcke, notieren Sie das. Haben Sie auch richtig nachgesehen? Vielleicht haben Sie auch nur die richtige Seite überblättert oder er ist rausgefallen?“ Kohlmorgen lief rot an und er brüllte fast: „Wissen Sie, Herr Kommissar - ich bin ein sehr ordentlicher Mensch - wenn Sie Ihre Belange so ordentlich erledigen wie ich die meinen, müsste dieser Fall schnell aufgeklärt sein. Der Zettel klebt immer an der gleichen Stelle in dem Buch und zwar zwischen Seite 99 und Seite 100 und rausgefallen ist er mir ganz bestimmt nicht.“

      Hektisch sah er auf die Uhr: „Sind wir hier bald durch? Ich habe noch einige dringende Telefonate zu führen. Versicherungsangelegenheiten - Sie verstehen?“

      Inspektor Hansen lächelte ungerührt sein bestes Dienstlächeln und erwiderte knapp: „Na, dann wollen wir Sie mal nicht aufhalten ... vielen Dank soweit - Sie hören von uns. Köppcke - wir gehen.“

      Während die Spurensicherung ihre Arbeit zu Ende führte, gingen die beiden Polizisten schweigend zum Dienstwagen. Köppcke ließ den Motor an und lenkte den Wagen in Richtung Dienststelle. Auf dem Parkplatz angekommen, stiegen beide aus, aber anstatt in Richtung Haupteingang zu gehen, blieb der Kommissar stehen und rief seinem Kollegen nach: „Köppcke! Ich geh jetzt `n Fischbrötchen essen, schicken Sie mir bitte in der Zwischenzeit eine Streife zu Kohlmorgen und lassen ihn aufs Revier bringen. Der zuständige Beamte soll durchblicken lassen, dass wir wissen, dass es keinen Zettel gab und wir wegen Verdachts auf Versicherungsbetrug gegen ihn ermitteln.“

      „Aber Chef ...?“ Olaf Köppcke war diese Anweisung sichtlich nicht geheuer und gerade wollte er zu weiterem Protest ansetzen, als der Hauptkommissar nett, aber bestimmt abwinkte: „Nun machen Sie schon, wir sehen uns später.“

      Ein Fischbrötchen und zwei Tassen Tee später traf Hansen gemütlich schlendernd wieder in der Dienststelle ein. Er durchquerte den neonbeleuchteten Flur in Richtung seines Büros, als Olaf Köppcke ihn erblickte. Der Assistent lehnte in einem Türrahmen und unterhielt sich mit einer Kollegin aus der Abteilung Kriminaltechnik. Als er seinen Vorgesetzten sah, brach er ab und stürmte auf ihn zu.

      „Chef, Chef - der Kohlmorgen hat alles gestanden, er hat noch im Auto angefangen wie ein Kind zu weinen und alles Mögliche vom Finanzamt, schlechter Wirtschaftslage und so erzählt. Das mit dem Zettel hatte er sich tatsächlich nur ausgedacht, um das Ganze wie einen gut geplanten Raub aussehen zu lassen.“ Da Hansen einfach weiterging, während er angesprochen wurde, waren sie inzwischen in seinem Büro angelangt. Köppcke schloss die Tür und sah ihn verschwörerisch an: „Nun aber raus mit der Sprache - dass da was nicht stimmte war ja klar, und vermutlich hätte der Kerl auch so die Ermittlung nicht durchgestanden, aber wie konnten Sie so sicher sein? Das war doch geraten, geben Sie‘s zu.“

      Hansen setzte sich in seinen Stuhl, klopfte aus Gewohnheit die leere Pfeife in dem leeren Aschenbecher aus, bevor er sie ebenso leer in den Mund steckte und nur zum Sprechen wieder herausnahm.

      „Na ja – ‚geraten‘ ist übertrieben: Ich hatte es im Gefühl. Außerdem wusste ich, dass er bei der Aussage mit der Notiz mindestens einmal offensichtlich nicht die Wahrheit gesagt hat - zwar ging es dabei nur um eine Winzigkeit, aber Lügner sind ja immer verdächtig.“

      Köppcke zog die Stirn kraus “Offensichtlich nicht die Wahrheit gesagt? Da hab ich was verpasst.“ Der Kommissar fuhr fort: „Kohlmorgen hat doch behauptet, dass er die Notiz immer zwischen Seite 99 und Seite 100 legt, erinnern Sie sich daran?“ Köpcke war ratlos: „Ja, und?“

      „Ich nehme an, das hatte er sich spontan einfallen lassen, um seine Geschichte glaubwürdiger zu machen. Wenn er mal versucht hätte, einen Zettel zwischen Seite 99 und Seite 100 zu legen, wüsste er, dass das nicht geht –nehmen Sie sich ein paar Bücher und prüfen Sie es nach. Sie sollten sowieso mehr lesen.“ Lachend wies er seinem Kollegen die Tür: „Und nun verschwinden Sie und kümmern Sie sich um Ihre Arbeit. Ich hab hier zu tun.“

      Als der Polizeiobermeister den Raum verlassen hatte, gönnte sich Knut Hansen wie immer nach einem abgeschlossenen Fall eine kurze Pause. Er brühte sich eine Friesenmischung auf, lehnte sich tief in seinem Sessel zurück und sah, mit der dampfenden Teetasse in der Hand, aus seinem Fenster auf das Meer hinaus. Es war zwar „nur“ die Ostsee, aber wenn man auf den Horizont schaute, machte das kaum einen Unterschied - in Gedanken war er wieder Kind auf Langeoog und dachte an die zickige Suse.

      „Eigentlich war sie gar nicht so zickig“, sagte er zu sich und lächelte.

      Kapitel 2Fall 2: Handtaschenraub auf hoher See

      Es war ein Herbsttag. So einer, an dem nicht einmal die hartgesottensten Ureinwohner Kiels verstehen konnten, warum es das ganze Jahr