Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


Скачать книгу

grobknochig, daß sie nicht darüber in Zweifel sein konnten, daß sie hier einem Mann aus dem Riesengeschlecht gegenüberstanden.

      Sie blieben stehen und überlegten, aber der Nordwind fuhr mit fürchterlicher Kälte heulend über die Schäre hin. Sie würden bald erfroren sein, wenn sie sich nicht an dem Feuer des Riesen erwärmen durften, und so beschlossen sie denn, sich zu ihm hin zu wagen.

      »Guten Abend, Vater,« sagte der Ältere von ihnen, »wollt Ihr zwei schiffbrüchigen Seeleuten erlauben, sich an Eurem Feuer zu wärmen?« Der Riese fuhr aus seinen Gedanken auf, und richtete sich halbwegs auf und zog sein Schwert aus der Scheide. »Was für Kerle seid ihr denn?« fragte er, denn er war alt und sah schlecht und wußte nicht, was für Wesen es waren, die ihn angeredet hatten.

      »Wir sind beide aus Westgötland, wenn Ihr das wissen wollt,« antwortete der Ältere von den beiden Seeleuten. »Unser Schiff ist hier draußen im Meer untergegangen, und wir haben das Ufer verfroren und halbnackt erreicht.«

      »Ich pflege sonst keine Menschen hier auf meiner Schäre zu dulden, aber wenn ihr aus Westgötland seid, so ist das eine andere Sache,« sagte der Riese und steckte sein Schwert wieder in die Scheide. »Dann dürft ihr euch hier niedersetzen und erwärmen, denn ich bin selbst aus Westgötland und habe viele Jahre in dem großen Hünengrab bei Skalunda gewohnt.«

      Die Seeleute setzten sich nun auf ein paar Steine. Sie wagten nicht, mit dem Riesen zu sprechen, sondern saßen still da und starrten ihn an. Und je länger sie ihn betrachteten, um so größer, schien es ihnen, wurde er, und um so kleiner und schwächer wurden sie selbst.

      »Meine Augen sind nicht mehr so gut, wie sie gewesen sind,« sagte der Riese, »kaum, daß ich euch erkennen kann. Sonst könnte es mich wohl belustigen, zu sehen, wie ein Westgote heutzutage aussieht. Einer von euch reiche mir aber wenigstens die Hand, damit ich fühlen kann, ob da noch warmes Blut in Schweden ist.«

      Die Männer sahen erst die Fäuste des Riesen und dann ihre eigenen Hände an. Keiner von beiden hatte Lust, seinen Händedruck kennenzulernen. Dann aber erblickten sie eine eiserne Stange, mit der der Riese das Feuer zu schüren pflegte; sie war im Feuer liegengeblieben und an dem einen Ende glühend rot. Mit vereinten Kräften hoben sie die Stange auf und hielten sie dem Riesen hin. Er umfaßte die Stange und preßte sie so, daß das Eisen ihm zwischen den Fingern herablief. »Ja, ich kann merken, daß es noch warmes Blut in Schweden gibt,« sagte er ganz vergnügt zu den verblüfften Seeleuten.

      Dann wurde es wieder still um das Feuer, aber diese Begegnung mit seinen Landsleuten führte die Gedanken des Riesen nach Westgötland zurück. Eine Erinnerung nach der anderen tauchte in ihm auf.

      »Ich möchte wohl wissen, was aus dem Skalundaer Hünengrab geworden ist?« fragte er die Seeleute.

      Keiner von den Männern wußte etwas von dem Hünengrab, nach dem der Riese fragte. »Es wird wohl sehr eingefallen sein,« meinte der eine zögernd. Er hatte ein Gefühl, als könne man einem solchen Frager keine Antwort schuldig bleiben. – »Freilich, freilich, das dachte ich mir wohl,« sagte der Riese und nickte zustimmend. »Es war ja nicht anders zu erwarten, denn den Hügel trugen meine Frau und meine Tochter einmal in einer frühen Morgenstunde in ihren Schürzen zusammen.«

      Wieder saß er da und grübelte und suchte Erinnerungen wachzurufen. Er hatte ja nicht gerade kürzlich in Westgötland gewohnt, und es währte eine ganze Weile, bis er tief genug in seine Erinnerungen eindringen konnte.

      »Aber Kinnekulle und Billingen und die anderen kleinen Berge, die über die große Ebene zerstreut lagen, die stehen doch wohl noch?« fragte der Riese. – »Ja, die stehen noch,« antwortete der Westgöte, und um dem Riesen zu zeigen, daß er merkte, er habe es mit einem tüchtigen Mann zu tun, fügte er hinzu: »Ihr habt vielleicht diese Berge aufbauen helfen?«

      »Ach, das gerade nicht,« erwiderte der Riese, »aber ich kann dir erzählen, daß du es meinem Vater zu verdanken hast, wenn die Berge da stehen. Als ich noch ein kleiner Knirps war, gab es in Westgötland keine große Ebene, sondern da, wo sich jetzt die Ebene ausbreitet, lag ein Bergland, das sich vom Wetternsee bis zum Götaelf erstreckte. Aber dann hatten einige Elfe sich vorgenommen, das Gebirge zu zerbröckeln und es an den Wenernsee hinabzutragen. Es waren keine richtigen Granitberge, sie bestanden hauptsächlich aus Kalkstein und Schiefer, daher wurde es den Elfen leicht, damit fertig zu werden. Ich entsinne mich noch, wie sie ihre Flußbetten und Täler breiter und breiter machten, und schließlich erweiterten sie sie zu Ebenen. Mein Vater und ich gingen zuweilen aus und sahen der Arbeit der Elfe zu, und der Vater war gar nicht so recht damit einverstanden, daß sie das ganze Gebirge zerstörten. ›Sie könnten uns doch wenigstens ein paar Ruhestätten übriglassen!‹ sagte er, und im selben Augenblick zog er seine steinernen Schuhe aus und stellte den einen der Länge nach gen Westen und den anderen der Länge nach gen Osten auf. Seinen steinernen Hut legte er auf eine Bergkuppe am Wenernsee, meinen steinernen Hut schleuderte er weiter nach Süden zu, und seine steinerne Keule warf er in derselben Richtung von sich. Was wir sonst an gutem, hartem Stein bei uns hatten, legte er an verschiedenen Stellen nieder. Und dann ereignete es sich, daß die Flüsse fast das ganze Gebirge wegspülten. Aber die Stellen, die mein Vater mit seinen steinernen Sachen bedeckt hatte, wagten sie nicht anzurühren; die blieben stehen. Da wo mein Vater seinen einen Schuh hingesetzt hatte, blieb der Halleberg unter dem Absatz und der Hunneberg unter der Sohle stehen. Unter dem anderen Schuh war Billingen versteckt. Des Vaters Hut hatte Kinnekulle bewehrt, unter meiner Mütze lag der Mösseberg und unter der Keule der Alleberg. Alle die anderen kleinen Berge auf der Westgötaebene wurden Vater zuliebe ebenfalls verschont, und ich möchte wohl wissen, ob es jetzt in Westgötland noch viele Männer gibt, vor denen die Leute so großen Respekt haben, wie vor ihm.«

      »Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten,« sagte der Seemann. »Aber ich will doch sagen, wenn Elfe und Riesen zu ihrer Zeit so mächtig gewesen sind, so bekomme ich gleichsam größere Achtung vor den Menschen, denn jetzt haben sie sich doch zu Herren über Berge und Ebenen gemacht.«

      Der Riese rümpfte die Nase ein wenig. Er schien nicht gerade sehr zufrieden mit der Antwort zu sein, aber er nahm die Unterhaltung bald wieder auf. »Wie steht es denn jetzt mit dem Trolhätta?« fragte er. – »Der braust und donnert, wie er es immer getan hat,« sagte der Seemann. »Ihr seid vielleicht mit dabeigewesen, als der große Wasserfall in Gang gesetzt wurde, so wie Ihr geholfen habt, die Westgötaberge zu erhalten?« – »Ach, das gerade nicht,« erwiderte der Riese. »Aber ich erinnere mich noch, daß meine Brüder und ich, als wir kleine Knirpse waren, ihn als Rutschbahn zu benutzen pflegten. Wir stellten uns auf einen Balken, und dann ging es den Gullöfall, den Toppöfall und die anderen drei Fälle hinab. Wir kamen so rasch dahergesaust, daß wir kurz davor waren, ganz in das Meer hineinzurutschen. Ich möchte wohl wissen, ob es heutzutage in Westgötland noch irgend jemand gibt, der sich auf diese Weise belustigt.« – »Das ist nicht gut zu wissen,« sagte der Seemann. »Aber ich finde fast, es ist eine noch weit wunderbarere Leistung, daß wir Menschen imstande gewesen sind, einen Kanal an den Wasserfällen entlang zu bauen, so daß wir nicht nur den Trolhätta hinabfahren können, so wie Ihr es in Euren jungen Jahren tatet, sondern daß wir ihn auch in Booten und auf Dampfschiffen hinauffahren.«

      »Es ist merkwürdig, das zu hören,« entgegnete der Riese, und es schien, als habe die Antwort ihn ein wenig verstimmt. »Kannst du mir nun auch sagen, wie es mit der Gegend am Bejörsee steht, die sie Hungerland nannten?« – »Ja, die hat uns viel Kummer gemacht,« sagte der Westgöte. »Es ist vielleicht Euer Verdienst, daß sie so mager und trostlos daliegt?« – »Ach, das gerade nicht,« antwortete der Riese. »Zu meiner Zeit wuchs an der Stelle ein prächtiger Wald. Aber da geschah es, daß eine meiner Töchter Hochzeit machte und wir viel Holz nötig hatten, um den Backofen zu heizen. Da nahm ich ein langes Tau, schlang es um den ganzen Wald im Hungerland, riß ihn mit einem einzigen Ruck aus und trug ihn nach Hause. Ich möchte wohl wissen, ob es heutzutage jemand gibt, der einen solchen Wald auf einmal ausreißen kann?« – »Die Frage wage ich nicht zu beantworten,« sagte der Westgöte. »Eins aber weiß ich, in meiner Jugend lag das Hungerland kahl und unfruchtbar da, und jetzt haben die Bewohner die ganze Fläche mit Wald bepflanzt. Das nenne ich auch eine männliche Tat!«

      »Aber da unten in dem südlichen Westgötland,