Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


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Herden hüteten, wir uns viele steinerne Häuser bauten und durch alle die Steine, die wir umherwarfen, den Boden so unbestellbar machten, daß es mich deucht, es müsse schwer sein, die Erde dort in der Gegend zu bearbeiten.«

      »Das ist freilich wahr, es lohnt sich nicht sonderlich, dort Ackerbau zu betreiben,« sagte der Westgöte, »aber die Bevölkerung hat sich auf die Weberei und die Herstellung von Holzwaren gelegt, und ich sollte meinen, es zeugt von größerer Tüchtigkeit, sein Auskommen in einer so ärmlichen Gegend zu finden, als bei der Zerstörung des Bodens behilflich zu sein.«

      »Jetzt habe ich nur noch eine Frage an euch zu richten,« sagte der Riese. »Wie habt ihr euch unten an der Küste eingerichtet, da, wo der Götaelf sich ins Meer ergießt?« – »Habt Ihr auch da die Hand mit im Spiel gehabt?« fragte der Seemann. – »Das nicht gerade,« erwiderte der Riese. »Aber ich entsinne mich, daß wir oft an den Strand hinabgingen, uns einen Walfisch heranlockten und auf seinem Rücken durch die Fjorde und Schären ritten. Ich möchte wohl wissen, ob ihr jemand kennt, der noch heute so etwas tut?« – »Die Frage will ich unbeantwortet lassen,« antwortete der Seemann. »Aber ich halte es für eine ebenso große Tat, daß wir Menschen unten an der Mündung des Potaelfs eine Stadt gebaut haben, von der Schiffe nach allen Meeren der Welt ausgehen.« Darauf erwiderte der Riese nichts, und der Seemann, der selbst in Gotenborg beheimatet war, begann nun, ihm die reiche Handelsstadt mit ihrem großen Hafen, mit ihren Brücken und Kanälen und den langen, schnurgeraden Straßen zu beschreiben; er erzählte, es wohnten dort so viele tüchtige unternehmende Kaufleute und kühne Seeleute, daß es nicht ausgeschlossen sei, daß sie Gotenborg zu der hervorragendsten Stadt des Nordens machen könnten.

      Bei jeder neuen Antwort, die der Riese erhielt, wurden die Runzeln auf seiner Stirn tiefer und tiefer. Es war leicht zu sehen, wie mißvergnügt er darüber war, daß sich die Menschen zu Herren über die Natur gemacht hatten. »Ich merke, es hat sich vieles in Westgötland verändert,« sagte er, »und ich würde gern einmal wieder dahinunterkommen und dies und jenes in Ordnung bringen.« – Als der Seemann das hörte, erschrak er. Er glaubte nicht, daß der Riese in guter Absicht nach Westgötland kommen würde, aber er wagte natürlich nicht, sich das merken zu lassen. – »Ihr dürft überzeugt sein, daß man Euch mit offenen Armen empfangen würde,« sagte er. »Wir wollen alle Kirchenglocken Euch zu Ehren läuten lassen.« – »Es gibt also noch Kirchenglocken in Westgötland?« fragte der Riese und sah ein wenig bedenklich aus. »Sind denn die großen Klingelwerke in Husaby, Skara und Varnhelm noch nicht in Stücke geläutet?« – »Nein, sie sind noch immer da, und sie haben seit Eurer Zeit viele Schwestern bekommen. Es gibt jetzt keinen Ort in Westgötland, wo man keine Kirchenglocken hört.« – »Ja, dann muß ich wohl lieber bleiben, wo ich bin,« sagte der Riese, »denn die Glocken sind schuld daran, daß ich aus der Heimat wegzog.«

      Dann versank er in Gedanken, bald aber wandte er sich wieder an die Seeleute: »Nun könnt ihr euch ganz ruhig am Feuer niederlegen und schlafen,« sagte er. »Morgen früh werde ich dafür sorgen, daß ein Schiff hier vorüberfährt, das euch aufnimmt und in eure Heimat zurückbringt. Aber für die Gastfreundschaft, die ich euch erwiesen habe, fordere ich von euch nur die Gefälligkeit, daß ihr, sobald ihr nach Hause kommt, zu dem besten Mann in ganz Westgötland geht, und ihm diesen Ring gebt. Grüßt ihn von mir und sagt ihm, wenn er den an seinen Finger steckt, wird er noch viel mehr werden, als er jetzt ist.«

      Sobald die Seeleute nach Hause gekommen waren, gingen sie zu dem besten Mann in Westgötland und gaben ihm den Ring. Aber der war zu klug, um ihn gleich an den Finger zu stecken. Statt dessen hängte er ihn an eine kleine Eiche, die auf seinem Hofe stand. Und sofort begann die Eiche so gewaltig zu wachsen, daß alle es sehen konnten. Sie trieb neue Schößlinge und sandte Zweige nach allen Richtungen aus, der Stamm wurde dicker und die Rinde immer härter. Der Baum bekam neue Blätter und warf sie wieder ab, setzte Blüten und Früchte an und wurde in kurzer Zeit so groß, daß niemand eine gewaltigere Eiche gesehen hatte. Aber kaum war sie ausgewachsen, als sie ebenso schnell zu verwelken begann. Die Zweige fielen ab, der Stamm wurde hohl, und der Baum verfaulte, so daß bald nichts weiter von ihm übrig war als ein Stumpf.

      Da nahm der beste Mann in Westgötland den Ring und warf ihn weit weg. »Dies Geschenk des Riesen hat die Macht, daß es einem Mann große Kräfte verleihen und ihn für kurze Zeit hervorragender machen kann als alle anderen,« sagte er. »Aber es wird ihn veranlassen, sich zu überheben, so daß es mit seiner Tüchtigkeit und seinem Glück bald ein Ende hat. Ich will nichts mit dem Ring zu schaffen haben, und ich will nur hoffen, daß niemand ihn findet, denn er ist uns nicht in guter Absicht gesandt.«

      Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß jemand den Ring gefunden hat. Sooft sich ein guter Mensch über seine Kräfte anstrengt, Nutzen zu schaffen, kann man nicht umhin, daran zu denken, ob er nicht etwa den Ring gefunden hat, und ob es nicht dieser Ring ist, der ihn zwingt, so zu wirken, daß er sich vor der Zeit aufreibt und sein Werk unvollendet hinterlassen muß.

      Die kleine Lehrerin war die ganze Zeit, während sie erzählte, schnell die Landstraße entlang gewandert, und als sie ihre Geschichte beendet hatte, sah sie, daß sie fast am Ziel angelangt war. Sie konnte schon die großen Wirtschaftsgebäude sehen, die wie alle anderen Häuser dort auf dem Gut im Schatten schöner Bäume lagen. Und noch ehe sie daran vorübergekommen war, sah sie das Schloß hoch oben auf der Terrasse hervorschimmern.

      Bis zu diesem Augenblick war sie glücklich über ihren Plan gewesen und hatte keinerlei Bedenken gehabt, aber jetzt, wo sie den Hof sah, begann ihr Mut zu sinken. Den Fall gesetzt, daß ihr Vorhaben ganz verkehrt war! Sie war ja so gering und unbedeutend, da war wohl niemand, der sich um ihre Dankbarkeit kümmerte! Vielleicht würden sie nur über sie lachen, wenn sie in später Abendstunde mit ihren Schulkindern dahergewandert kam. Sie sangen ja auch gar nicht so schön, daß sich jemand etwas daraus machen konnte.

      Sie begann langsamer zu gehen, und als sie an die Treppe kam, die zu der Schloßterrasse hinaufführte, bog sie vom Wege ab und ging die Stufen hinauf. Sie wußte sehr wohl, daß das große Schloß seit dem Tode des alten Herrn leer stand. Sie ging nur da hinauf, um in Ruhe zu überlegen, ob sie weitergehen oder umkehren sollte. Als sie auf die Terrasse hinaufkam und das Schloß sah, das schimmernd weiß im Mondschein dalag, als sie die Hecken und die Blumengruppen und die Balustrade mit den Urnen und die stattliche Treppe erblickte, wurde sie immer kleinmütiger. Es erschien ihr alles so prachtvoll und vornehm, daß sie einsah, hier hatte sie nichts zu tun. »Komm mir nicht zu nahe!« schien ihr das feine, weiße Schloß zu sagen, »Du wirst dir doch nicht einbilden, daß du und deine Schulkinder dem, der gewohnt ist, in einem solchen Schloß zu wohnen, Freude zu bereiten vermögen?« Um diese Unschlüssigkeit, die sie mehr und mehr beschlich, in die Flucht zu jagen, erzählte die Lehrerin nun ihren Schulkindern alles von dem alten und dem jungen Herrn, so wie sie es gehört hatte, als sie Schülerin auf Nääs gewesen war. Und das machte ihr ein wenig mehr Mut. Es war ja doch wirklich wahr, daß das Schloß und das ganze Gut dem Handfertigkeitsseminar geschenkt worden war. Es war geschenkt worden, damit Lehrer und Lehrerinnen eine glückliche Zeit auf einem schönen Herrenhof verleben und danach ihren Schulkindern Kenntnisse und Freude mit heimbringen sollten. Aber diejenigen, die einer Schule ein solches Geschenk gemacht, hatten doch dadurch bewiesen, daß sie die Schullehrer zu schätzen wußten. Sie hatten hier offen bekannt, daß sie die Erziehung der schwedischen Kinder für wichtiger hielten als alles andere. Und hier durfte sie, die junge Lehrerin, sich am allerwenigsten mutlos und verzagt fühlen.

      Diese Gedanken trösteten sie ein wenig, und sie beschloß, ihren Plan nun doch auszuführen. Und um ihren Mut zu stärken, ging sie in den Park hinab, der den Abhang zwischen dem Schloßhügel und dem See bedeckte. Als sie unter den schönen Bäumen dahinschritt, die so finster und geheimnisvoll im Mondschein dastanden, erwachten viele frohe Erinnerungen in ihr. Sie erzählte den Kindern, wie es zu ihrer Zeit auf Nääs gewesen war, und wie glücklich sie sich als Schülerin hier gefühlt hatte, wo sie jeden Tag in dem schönen Park lustwandeln durfte. Sie erzählte von Festen und von Spiel und Arbeit, vor allem aber erzählte sie von der großen Güte, die ihr und so vielen anderen diesen stolzen Herrenhof erschlossen hatte. Auf diese Weise hielt sie ihren Mut aufrecht, und sie gelangte durch den Park und über die alte steinerne Brücke und erreichte die Wiese unten am See, wo die Villa