Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


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Sobald er das Wasser gekostet hatte, durchrieselte wonnige Kühlung seinen ganzen Körper, und er fühlte weder die Glut noch die Schwere von Helm und Harnisch. Die Sonnenstrahlen hatten ihre mörderische Macht verloren. Seine trockenen Lippen wurden wieder geschmeidig, und die roten Flammen tanzten nicht länger vor seinen Augen.

      Ehe er noch Zeit gehabt hatte, all dies zu bemerken, stellte er das Kind wieder auf die Erde, und es lief nach der Wiese, um weiter zu spielen. Dann aber begann der Kriegsknecht sich verwundert selber zu fragen:

      »Was für ein Wasser hat mir das Kind eigentlich dargeboten? Das war ein köstlicher Trank. Ich muß mich ihm wirklich dankbar erzeigen.«

      Da er den Kleinen jedoch haßte, ließ er diese Gedanken bald fallen.

      »Es ist doch nur ein Kind,« sagte er sich, »es weiß nicht, weshalb es so oder so handelt. Es spielt eben das Spiel, das ihm am meisten zusagt. Sind ihm die Bienen oder die Lilien etwa dankbar? Um dieses Bürschlein brauche ich mir keinerlei Ungelegenheiten zu machen. Es weiß nicht einmal, daß es mir geholfen hat.«

      Als er nach kurzer Frist den Anführer der römischen Soldaten, die in Bethlehem lagerten, durch das Tor kommen sah, war er wenn möglich noch ärgerlicher über das Kind.

      »Sieh einer,« sagte er sich, »in welcher Gefahr ich durch den Eifer des Kleinen gewesen bin! Wäre Voltigius ein klein wenig früher gekommen, so hätte er mich mit einem Kinde in den Armen gesehen.«

      Der Hauptmann schritt indessen geradeswegs auf den Kriegsknecht zu und fragte ihn, ob sie hier ganz unbelauscht miteinander reden könnten, er hätte ihm insgeheim etwas mitzuteilen. »Wenn wir uns nur zehn Schritt vom Tor entfernen, so kann uns niemand hören,« antwortete der Kriegsknecht.

      »Du weißt,« sagte der Hauptmann, »daß der König Herodes wiederholt versucht hat, sich eines Kindes zu bemächtigen, das hier in Bethlehem aufwächst. Seine Seher und Priester haben ihm kundgetan, das Kind werde seinen Thron besteigen, und außerdem ihm prophezeit, daß der neue König ein tausendjähriges Reich des Friedens und der Heiligung gründen würde. Du begreifst also wohl, daß Herodes dieses Kind gern unschädlich machen will.«

      »Ja, das begreife ich schon,« sagte der Kriegsknecht eifrig, »aber das muß doch die leichteste Sache auf der Welt sein.«

      »Sicherlich wäre es sehr leicht,« entgegnete der Hauptmann, »wenn der König nur wüßte, welches von allen Kindern in Bethlehem das rechte ist.«

      Der Kriegsknecht runzelte nachdenklich die Stirn und sprach: »Schade, daß seine Wahrsager ihn darüber nicht aufklären konnten.«

      »Herodes hat aber jetzt eine List gefunden, durch die er den jungen Friedensfürsten unschädlich zu machen hofft,« fuhr der Hauptmann fort. »Er verspricht jedem einzigen, der ihm darin beistehen wird, ein kostbares Geschenk.«

      »Was Herodes auch immer gebietet, wird selbst ohne Belohnung oder Geschenk vollbracht werden,« sagte der Soldat.

      »Ich danke Dir,« erwiderte der Hauptmann. »Höre nun des Königs Plan! Er beabsichtigt zum Jahrestag von seines jüngsten Sohnes Geburt ein Fest zu feiern, zu dem alle Knaben in Bethlehem, die zwei bis drei Jahre alt sind, mit ihren Müttern geladen werden sollen. Und auf diesem Fest – – –«

      Er hielt inne und lachte, als er den Ausdruck von Widerwillen sah, der das Gesicht des Kriegsknechts überflog.

      »Freundchen, Du brauchst nicht zu befürchten,« fuhr er fort, »daß König Herodes uns als Kinderwärter verwenden will. Neige Dein Ohr zu meinem Munde, dann werde ich Dir seine Entschließung anvertrauen.«

      Der Hauptmann flüsterte geraume Zeit mit dem Kriegsknecht, und als er ihm alles mitgeteilt hatte, sprach er:

      »Ich brauche Dir wohl nicht zu sagen, daß strengste Verschwiegenheit nötig ist, wenn nicht das ganze Unternehmen mißlingen soll.«

      »Du weißt, Voltigius, daß Du Dich auf mich verlassen kannst,« entgegnete der Kriegsknecht.

      Als der Anführer sich entfernt hatte und der Kriegsknecht wieder allein auf seinem Posten stand, blickte er sich nach dem Kinde um. Es spielte noch immer inmitten der Blumen, und plötzlich kam dem Krieger der Gedanke, daß der Kleine sie so leicht und anmutig umgaukle wie ein Schmetterling.

      Da begann der Kriegsmann zu lachen. »Es ist ja wahr,« sagte er, »ich werde mich nicht mehr lange über dieses Kind zu ärgern brauchen. Es wird ja heute abend auch zum Fest des Herodes eingeladen werden.«

      Der Kriegsknecht blieb den ganzen Tag auf seinem Posten stehen, bis der Abend kam und es Zeit wurde, die Stadttore für die Nacht zu schließen.

      Als dies getan war, wanderte er durch enge, dunkle Gassen zu dem prächtigen Palast, den Herodes zu Bethlehem besaß.

      Im Innern dieses gewaltigen Palastes befand sich ein großer Hof mit Steinfliesen, der von Gebäuden umringt war, an denen drei übereinanderliegende offene Galerien sich hinzogen. Der König hatte bestimmt, daß jenes Fest für die bethlehemitischen Kinder auf der obersten Galerie stattfinden solle.

      Diese Galerie war gleichfalls auf den ausdrücklichen Befehl des Königs so umgewandelt, daß sie einem gedeckten Laubgange in einem herrlichen Lustgarten glich. Weinranken schlangen sich an der Decke hin, von denen üppige Traubenbündel herabhingen, und an Wänden und Pfeilern standen kleine Granat- und Orangenbäume, die von Früchten schwer waren. Der Fußboden war mit frischen Rosenblättern bestreut, die dicht und weich wie ein Teppich dalagen, und Girlanden von weißen, strahlenden Lilien zogen sich längs der Balustraden, der Friese, der Tische und der niedrigen Diwane hin.

      In diesem Blumengarten waren hier und da große Marmorbassins, in denen gold- und silberglänzende Fische im durchsichtig klaren Wasser sich tummelten. Auf den Bäumen saßen bunte Vögel aus fernen Ländern, und in einem Vogelbauer sah man einen alten Raben, der unablässig schwatzte.

      Als das Fest seinen Anfang nahm, zogen Kinder und Mütter in die Galerie. Gleich beim Eintritt in den Palast waren die Kinder mit weißen, purpurumrandeten Gewändern geschmückt worden, und ihre dunkellockigen Köpfchen hatte man mit Rosenkränzen geziert. Stattlich angetan kamen die Frauen in ihren roten und blauen Gewändern, und weiße Schleier wallten ihnen von hohen, spitzen Kopfbedeckungen herab, die mit Goldmünzen und Ketten behangen waren. Einige trugen ihre Knaben hoch auf den Schultern sitzend, andere führten sie an der Hand, und einige, deren Knaben scheu und ängstlich waren, hatten sie auf ihre Arme genommen.

      Die Frauen ließen sich auf dem Fußboden der Galerie nieder, und sogleich kamen Sklaven, stellten niedrige Tische vor ihnen auf und brachten erlesene Speisen und Getränke, wie die Sitte es bei einem königlichen Fest erheischt, und alle diese glücklichen Mütter begannen zu essen und zu trinken, ohne jene stolze, anmutige Würde abzulegen, die die schönste Zier der bethlehemitischen Frauen ist.

      Längs der Galeriewand und fast verborgen durch die Blumengirlanden und die fruchtbeladenen Bäume waren doppelte Reihen von Kriegsknechten in voller Rüstung aufgestellt. Sie standen ganz unbeweglich da, als hätten sie nichts mit dem zu schaffen, was rund um sie vorging. Die Frauen konnten es nicht lassen, bisweilen einen erstaunten Blick auf diese Schar von Eisengepanzerten zu werfen. »Wozu bedarf es ihrer dort?« flüsterten sie. »Denkt Herodes, daß wir uns nicht zu benehmen wüßten? Glaubt er, daß eine solche Schar von Kriegsknechten notwendig sei, um uns zu überwachen?«

      Andere aber meinten wiederum, es sei eben alles ganz so, wie es bei einem König sein müßte. Herodes gäbe eben niemals ein Fest, ohne daß sein ganzes Haus von Kriegsknechten wimmle. Nur um seine Gäste zu ehren, ständen diese schwertbewaffneten Legionäre wachend dort.

      Während der ersten Feststunden blieben die Kinder zaghaft und unsicher und hielten sich ruhig neben ihren Müttern. Dann aber setzten sie sich nach und nach in Bewegung, um von den Herrlichkeiten, die Herodes ihnen darbot, Besitz zu ergreifen. Es war ein Zauberland, das der König für seine kleinen Gäste geschaffen hatte. Als sie die Galerie durchwanderten, fanden sie Bienenkörbe, deren Honig sie plündern konnten, ohne daß eine einzige zornige Biene sie stach. Sie fanden Bäume, die ihre fruchtbeladenen Zweige tief zu ihnen hinabsenkten. In einer Ecke fanden sie