Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


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sehen, was Dein Weib unter ihrem Kleide verborgen hält.«

      »Was ist denn da zu sehen?« sprach der Mann. »Es ist ja nur Brot und Wein, und gerade soviel wie wir den Tag über zu unserer Nahrung brauchen.«

      »Du redest vielleicht die Wahrheit,« sagte der Soldat, »wenn es sich aber so verhält, möchte ich wissen, weshalb sie sich abwendet und weshalb sie mich nicht freiwillig sehen läßt, was sie trägt?«

      »Ich will nicht, daß Du es siehst,« antwortete der Mann. »Und ich rate Dir, uns hier vorbeigehen zu lassen.«

      Und schon erhob er seine Axt, doch die Frau legte ihre Hand auf seinen Arm.

      »Laß Dich nicht in Streit und Kampf ein!« bat sie. »Ich werde etwas anderes versuchen. Ich werde ihn das sehen lassen, was ich trage, und ich bin sicher, daß er ihm nichts Böses antun kann.«

      Und mit einem stolzen und vertrauensvollen Lächeln wandte sie sich dem Soldaten zu und hob einen Zipfel ihres Kleides.

      In demselben Augenblick wich der Soldat zurück und schloß die Augen, als sei er von einem starken Glanz getroffen. Das, was die Frau unter ihrem Kleide verborgen hielt, strahlte ihm so blendend weiß entgegen, daß er vorerst gar nicht wußte, was er dort sah.

      »Ich glaubte, Du trügest ein Kind im Arm,« sagte er.

      »Du siehst, was ich trage,« entgegnete das junge Weib.

      Da endlich erkannte der Soldat, daß ein Bund weißer Lilien, gleich denen auf dem Felde draußen, ihn blendete und anstrahlte. Nur war ihr Glanz noch reicher und leuchtender. Er vermochte es kaum, sie genau zu betrachten.

      Er griff nach den Blumen, weil er nicht von dem Gedanken loskommen konnte, daß dieses Weib dennoch ein Kind tragen müsse, seine Hand aber faßte nur die kühlen Blumenblätter.

      Er empfand eine bittere Enttäuschung und hätte in seinem Jähzorn gern Mann und Weib gefangen genommen, doch wußte er nur zu gut, daß zu solchem Verfahren keinerlei Gründe vorlagen.

      Als die junge Frau seine Bestürzung sah, fragte sie: »Willst Du uns nun weitergehen lassen?«

      Der Kriegsknecht zog schweigend den Speer zurück, mit dem er die Toröffnung versperrt hatte, und trat beiseite.

      Nun zog die Frau ihr Kleid wieder über die Blumen und betrachtete zugleich das, was sie im Arm trug, mit einem holden Lächeln. »Ich wußte, daß Du nichts Böses tun könntest, wenn Du dies zu sehen bekämst,« sprach sie zu dem Kriegsknecht.

      Dann eilten sie von dannen, der Kriegsknecht aber blickte ihnen nach, solange sie noch in Sehweite waren.

      Und während er ihnen mit den Augen folgte, glaubte er wieder ganz sicher zu sein, daß sie nicht ein Bund Lilien, sondern ein wirkliches, lebendes Kind in ihrem Arm trüge.

      Wie er nun dastand und den beiden Wanderern nachschaute, hörte er von der Gasse her laute Rufe erschallen. Voltigius und einige Leute seiner Mannschaft kamen angejagt.

      »Halte sie fest!« riefen sie. »Verschließe das Tor vor ihnen! Laß sie nicht entkommen!«

      Und als sie vor dem Kriegsknecht standen, berichteten sie, daß sie die Spur des entronnenen Knaben entdeckt hätten. Eben hätten sie ihn in seinem Heim gesucht, aber er sei von dort wieder entflohen. Sie hätten seine Eltern mit ihm forteilen sehen. Der Vater sei ein kräftiger Mann mit graugesprenkeltem Bart, und er trage eine Axt. Die Mutter sei ein junges, hochgewachsenes Weib, das unter dem hochgenommenen Kleid ein Kind verborgen halte.

      In demselben Augenblick, als Voltigius dies berichtete, kam ein Beduine auf einem guten Pferde durch das Tor geritten. Der Kriegsknecht stürzte, ohne ein Wort zu reden, auf den Reiter zu. Er riß ihn mit Gewalt vom Pferde herab und warf ihn zu Boden, dann schwang er sich mit einem Satz selber in den Sattel und jagte davon.

      Einige Tage später ritt der Kriegsknecht durch die furchtbare Felsenwüste, die den südlichen Teil Judäas bildet. Noch immer verfolgte er die drei bethlehemitischen Flüchtlinge und war außer sich, daß noch kein Ende der fruchtlosen Jagd abzusehen war.

      »Es hat wahrhaftig den Anschein, als vermöchten diese Leute in die Erde zu versinken,« sprach er grollend. »Wie oft war ich ihnen in diesen Tagen so dicht auf den Fersen, daß ich dem Kinde meinen Speer nachschleudern wollte, und gleichwohl sind sie mir stets entkommen! Ich fürchte beinahe, daß ich niemals bis zu ihnen gelangen werde.«

      Er fühlte sich mutlos wie jemand, der zu erkennen glaubt, daß er gegen etwas Uebermächtiges ankämpft. Er fragte sich, ob es wohl möglich wäre, daß die Götter diese Menschen vor ihm beschützten.

      »Es ist eitle Mühe. Lieber kehre ich um, als daß ich in diesem wüsten Lande vor Hunger und Durst sterbe,« sagte er sich wieder und wieder.

      Dann aber packte ihn Angst, wenn er daran dachte, was ihm bei einer Heimkehr unverrichteter Dinge bevorstände. Gerade er hatte schon zweimal das Kind entrinnen lassen. Es war nicht anzunehmen, daß Voltigius oder Herodes ihm das verzeihen würden.

      »Solange Herodes weiß, daß noch eins der bethlehemitischen Kinder lebt, wird ihn stets dieselbe Furcht peinigen,« sagte sich der Kriegsknecht. »Es ist höchst wahrscheinlich, daß er mich zur Linderung seiner Qual kreuzigen lassen wird.«

      Das war in der glühenden Mittagsstunde, und er litt entsetzlich, während er diese baumlose Felsengegend auf einem Pfade durchritt, der sich durch tiefe Talschluchten hinschlängelte, in denen sich kein Lüftchen regte. Pferd und Reiter waren dem Umsinken nahe.

      Seit einigen Stunden hatte der Kriegsknecht jede Spur der Flüchtlinge verloren, und er war mutloser als je zuvor.

      »Ich muß es aufgeben,« meinte er. »Ich glaube wahrhaftig, daß es nicht der Mühe wert ist, sie noch weiter zu verfolgen. In dieser entsetzlichen Wüstenei müssen sie ja ohnehin umkommen.«

      Während er darüber nachsann, gewahrte er eine Felswand nahe am Wege, die den gewölbten Eingang zu einer Höhle zeigte.

      Er lenkte sein Pferd sogleich dorthin und meinte: »In dieser kühlen Felsenhöhle werde ich eine Weile ausruhen. Vielleicht kann ich dann mit frischen Kräften die Verfolgung fortsetzen.«

      Als er in die Höhle treten wollte, bot sich ihm ein überraschender Anblick. Zu beiden Seiten des Einganges wuchs je eine schöne Lilienstaude. Dort standen sie rank und schlank, von Blüten übersäet. Ein berauschender Honigduft entströmte ihnen, und eine Menge von Bienen summte in ihren Kelchen.

      In dieser Wüste wirkte der Anblick so außerordentlich, daß auch der Kriegsknecht etwas ganz Ungewöhnliches tat. Er pflückte eine große, weiße Blüte und nahm sie mit in die Felsenhöhle.

      Die Höhle war weder tief noch dunkel, und sobald er unter die Wölbung trat, sah er, daß sich drinnen schon drei Wanderer befanden: ein Mann, ein Weib und ein Kind, die in tiefem Schlafe ausgestreckt auf der Erde ruhten.

      Noch nie zuvor hatte der Kriegsknecht ein solches Herzklopfen verspürt, wie jetzt vor diesem Bilde. Das waren ja gerade die drei Flüchtlinge, die er so lange verfolgt hatte. Sofort erkannte er sie wieder. Und hier lagen sie nun schlafend, außerstande, sich zu wehren, gänzlich in seiner Gewalt!

      Rasselnd fuhr sein Schwert aus der Scheide, und er beugte sich über das schlummernde Kind.

      Er senkte sein Schwert langsam auf seine Brust hinab und zielte genau nach dem Herzen, um es mit einem einzigen Stoß zu durchbohren.

      Mitten im Stoß zögerte er einen Augenblick, um des Kindes Antlitz zu sehen. Da er nun seines Sieges sicher war, gewährte es ihm eine grausame Freude, sein Opfer zu betrachten.

      Als er aber das Kind deutlich sah, war seine Freude, wenn möglich, noch viel größer, denn er hatte den kleinen Knaben wiedererkannt, den er auf dem Felde vor dem Stadttor mit Bienen und Lilien spielend gesehen hatte.

      »Ja, gewiß,« meinte er, »das hätte ich von Anfang an wissen können. Darum habe ich dieses Kind stets so gehaßt. Das ist ja der verheißene Friedensfürst.«

      Wieder senkte er das