Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


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Erinnerung an diese Stunde«, sprach die Königin, »senke ich nun einen Dattelkern in die Erde, und ich will, daß daraus eine Palme erstehe, die wachsen und gedeihen soll, bis im Lande Judäa ein König ersteht, der erhabener ist als Salomo.« Und bei diesen Worten senkte sie den Kern in die Erde, und ihre Tränen netzten ihn.

      »Woher kommt es wohl, daß ich gerade heute daran denken muß?« sagte die Palme. »Sollte diese Frau so schön sein, daß sie mich an die herrlichste aller Königinnen gemahnt, an sie, auf deren Geheiß ich bis zum heutigen Tage wuchs und gedieh?

      »Ich höre meine Blätter immer stärker rauschen, und es klingt wehmutsvoll wie eine Totenklage. Es ist, als prophezeiten sie, daß jemand bald aus dem Leben scheiden würde. Es ist gut zu wissen, daß es nicht mir gilt, da ich ja nicht sterben kann.«

      Die Palme glaubte, das Todesrauschen der Blätter müsse den beiden einsamen Wanderern gelten. Sicher glaubten sie auch selber, daß ihre letzte Stunde gekommen sei. Das erkannte man an ihrem Gesichtsausdruck, als sie an einem der Kamelskelette vorbeiwankten, die den Weg begrenzten. Man sah es auch an den Blicken, die sie ein paar vorbeifliegenden Geiern nachsandten. Es konnte ja nicht anders sein. Sie mußten hier elend umkommen.

      Nun hatten sie die Palme und die Oase erblickt und eilten dorthin, um Wasser zu finden. Als sie aber endlich ihr Ziel erreicht hatten, brachen sie in Verzweiflung zusammen, denn die Quelle war versiegt. Die todesmatte Frau legte ihr Kind nieder und setzte sich weinend an den Rand der Quelle. Der Mann warf sich neben ihr hin und hämmerte mit beiden Fäusten gegen den dürren Erdboden. Die Palme vernahm, wie sie davon redeten, daß sie sterben müßten.

      Sie vernahm auch aus ihrem Gespräch, daß König Herodes alle Knaben von zwei bis drei Jahren töten ließ, weil er fürchtete, daß der große, erwartete König der Juden schon geboren sei.

      »Es rauscht immer stärker in meinen Blättern,« sprach die Palme. »Diese armen Flüchtlinge werden bald ihr letztes Stündlein nahen sehn.«

      Sie vernahm nun auch, daß die Wüste ihnen Furcht einflößte. Der Mann sagte, es wäre besser gewesen, dort zu bleiben und mit den Kriegsknechten zu kämpfen, als hierher zu fliehen. Er sagte, daß sie dann einen leichteren Tod gehabt hätten.

      »Gott wird uns beistehen,« sagte die Frau.

      »Wir sind allein unter Raubtieren und Schlangen,« entgegnete der Mann. »Wir haben weder Speise noch Trank. Wie soll Gott uns helfen können?«

      Voller Verzweiflung zerriß er seine Kleider und preßte das Gesicht gegen den Erdboden. Er war hoffnungslos wie ein Mensch mit der Todeswunde im Herzen.

      Die Frau saß aufrecht, die Hände über den Knien gefaltet. Aber die Blicke, die sie über die Wüste hinschweifen ließ, zeugten von grenzenlosem Jammer.

      Die Palme hörte, wie das wehmutsvolle Rauschen in ihren Blättern immer stärker wurde. Die Frau mußte es auch vernommen haben, denn sie richtete ihre Blicke zur Baumkrone empor. Und zugleich streckte sie unwillkürlich ihre Arme und Hände aus.

      »O, Datteln, Datteln!« rief sie.

      Es lag dabei ein so sehnsüchtiges Verlangen in ihrer Stimme, daß die alte Palme gewünscht hätte, sie wäre nicht höher als ein Ginsterbusch und ihre Datteln so leicht erreichbar wie die Früchte am Dornenstrauch. Sie wußte zwar, daß ihre Krone voll von Dattelbüscheln hing, wie sollten aber die Menschen zu dieser schwindelnden Höhe hinaufgelangen?

      Der Mann hatte schon bemerkt, wie unerreichbar hoch die Dattelbüschel hingen. Er hob nicht einmal den Kopf empor, aber er bat die Frau, nicht Unmögliches zu begehren.

      Doch das Kind, das nun allein umhertrippelte und mit Reisig und Halmen spielte, hatte den Ausruf der Mutter vernommen.

      Der Kleine konnte es sich wohl nicht vorstellen, daß seine Mutter nicht alles bekommen könnte, was sie sich wünschte. Sobald von den Datteln gesprochen wurde, begann er den Baum anzustarren. Er überlegte und sann nach, wie er wohl die Datteln herunterbekommen könnte. Seine Stirn zog sich unter den blonden Locken in Falten. Endlich überflog ein Lächeln sein Gesichtchen. Er hatte das rechte Mittel gefunden. Auf die Palme zuschreitend, liebkoste er sie mit seiner kleinen Hand und sprach mit seiner holden, kindlichen Stimme:

      »Palme, beuge Dich! Palme, neige Dich!«

      Aber was war das nur, was war das?

      Die Palmenblätter rauschten, als wäre ein Orkan über sie hingebraust, und Schauer um Schauer durchrieselte den hohen Palmenstamm. Die Palme erkannte, daß der Kleine übermächtig war. Sie vermochte nicht, ihm zu widerstehen.

      Und mit ihrem hohen Stamm neigte sie sich vor dem Kinde, wie man sich vor Fürsten neigt. In einem gewaltigen Bogen senkte sie sich zur Erde herab und lag endlich so tief, daß die große Krone mit den bebenden Blättern den Wüstensand streifte.

      Das Kind schien weder erschrocken noch verwundert zu sein, es lief nur mit einem Freudenruf herbei und löste Frucht auf Frucht von der alten Palmenkrone.

      Als das Kind genug hatte und den Baum noch immer am Boden liegen sah, kam es nochmals zurück, streichelte ihn und rief mit der lieblichsten Stimme: »Palme, erhebe Dich! Palme, erhebe Dich!«

      Und der große Baum erhob sich still und voller Ehrfurcht auf seinem biegsamen Stamm, während die Blätter gleich Harfen erklangen.

      »Nun weiß ich, für wen sie die Totenklage spielen,« sprach die alte Palme vor sich hin, als sie wieder aufrecht stand. »Es geschieht nicht für einen von diesen Menschen.«

      Aber der Mann und das Weib lagen auf den Knien und lobeten Gott:

      »Du hast unsere Angst gesehen und sie von uns genommen. Du bist der Mächtige, der den Stamm der Palme beugt wie ein Weidenrohr. Vor welchen Feinden sollten wir bangen, wenn Deine Macht uns schützt?«

      Als die nächste Karawane durch die Wüste zog, sahen die Reisenden, daß die Blätterkrone der großen Palme verdorrt war.

      »Wie konnte das geschehen?« fragte einer. »Diese Palme sollte ja nicht sterben, ehe sie einen König gesehen hätte, der mächtiger wäre als Salomo.«

      »Sie hat ihn wohl gesehen,« antwortete ein anderer unter den Wüstenwanderern.

      Als Jesus erst fünf Jahre alt war, saß er einmal auf der Schwelle vor seines Vaters Werkstatt und war damit beschäftigt, Tonkuckucke anzufertigen, die er aus einem Klumpen geschmeidigen Tons knetete, den er von dem gegenüber wohnenden Töpfer erhalten hatte.

      Er war so glücklich wie niemals zuvor, denn alle Kinder dieses Stadtviertels hatten Jesus erzählt, daß der Töpfer ein sehr unfreundlicher Mann wäre, der sich weder durch flehende Blicke noch durch süße Worte etwas abschmeicheln ließe, und er hatte niemals gewagt, ihm eine Bitte vorzutragen. Aber siehe da, er wußte kaum, wie es zugegangen war! Er hatte nur auf seiner Treppe gestanden und voll Sehnsucht dem Nachbar zugeschaut, wie er an seinen Formen arbeitete, da war dieser auch schon aus seiner Werkstatt getreten und hatte ihm so viel Ton geschenkt, daß man davon einen großen Weinkrug hätte anfertigen können.

      Auf der Treppe vor dem nächsten Hause saß Judas, der häßlich und rothaarig war, sein Gesicht zeigte blaue Flecke und die Kleider waren voller Risse, die hatte er sich bei seinen ständigen Kämpfen und Balgereien mit den Straßenjungen geholt. Für den Augenblick verhielt er sich jedoch ruhig, er ärgerte niemanden und balgte sich mit keinem herum, sondern beschäftigte sich, ganz wie Jesus, mit einem Stück Ton.

      Allerdings hatte er sich den nicht selber verschaffen können: er wagte kaum, sich dem Töpfer auch nur zu zeigen, denn dieser beklagte sich stets darüber, daß Judas Steine nach seinen zerbrechlichen Waren zu werfen pflege, und er hätte ihn sicher mit Stockprügeln weggejagt; Jesus aber hatte seinen Vorrat mit ihm geteilt.

      Alle fertig gekneteten Tonkuckucke stellten die beiden Kinder im Kreise vor sich auf. Sie sahen so aus, wie Tonkuckucke zu allen Zeiten ausgesehen haben: an Stelle der Füße hatten sie einen großen runden Klumpen, um darauf zu steh'n, sie hatten kurze Schwänze, keinen Hals und kaum erkennbare Flügel.

      Aber