Peter J. Gnad

Querverkehrt


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dann vielleicht etwas ganz anderes von ihm wollte...

      Er träumte dann auch noch prompt davon, wie er versuchte sich gegen eine Übermacht von fragenden Uniformträgern zu verteidigen, aber kein Wort hervorbrachte, als wenn seine Zunge gelähmt wäre. Er geriet gerade in Wut, schlug um sich... als das Telefon läutete und ihn auf den Boden der Realität zurückholte, aber diesmal hob er einfach nicht ab.

      An diesem Abend war ihm - wie gewöhnlich - wieder nicht nach Arbeit zumute, aber er zwang sich dazu trotzdem das Haus zu verlassen, den Weg zu diesem verfluchten Hinterhof, zu seinem Fahrzeug anzutreten. Es konnte wenigstens seine Gedanken vom Kreisen um den Brennpunkt abhalten, was er dringendst nötig hatte. Er fuhr dann auch etwas planlos in der Gegend herum, konnte sich nur schwer auf seine Tätigkeit konzentrieren. Manche Fahrgäste nahm er erst gar nicht an, fuhr an den winkenden Gestalten vorüber. Seine Gedanken drifteten immer wieder in dieselbe Richtung und er war froh, an einem Stand, einen befreundeten Kollegen zu treffen, der ihn einlud mit ins "Roma" zu gehen. Er habe sich mit noch ein paar anderen Kollegen dort verabredet. Rudolf zögerte nicht lange, schaltete sein gelbes Schild am Dach mit einem schnellen Griff ab, folgte seinem Freund unmittelbar, als dieser seinen Wagen aus der Reihe lenkte und Gas gab.

      Man konnte sagen, er nutzte die Gelegenheit, um der Arbeit zu entkommen.

      Die Kollegen saßen auch schon alle an einem Tisch, als sie eintrudelten. Rudolf hätte beim Einparken, vor dem Lokal, fast noch einen seinen Weg kreuzenden roten Sportwagen gerammt.

      Er war zuerst richtiggehend geschockt gewesen, bis er sich klar machte, dass der bewusste rote Sportwagen, der ihn so hartnäckig verfolgt hatte, mit großer Wahrscheinlichkeit auf irgendeinem Schrottplatz, zumindest aber in einer der vielen Reparaturwerkstätten gelandet sein musste.

      "Kennt Ihr eigentlich schon die Geschichte mit dem Notarzt, nein…?"

      Axel, ein wahrer Bär von einem Mann, grinste breit.

      "Also... Kollege wird zum Notarzt gerufen, um ihn so schnell wie möglich zu seinem Patienten zu bringen. Vor dem Haus schneidet ein Radfahrer ihm quer über die Straße den Weg ab, sodass der Kollege im Ausweichmanöver fast gegen einen Baum gefahren ist. Kollege steigt aus, schreit den Radfahrer an, der aber ganz ruhig, ohne zu antworten, einfach wieder weiterfahren will. Kollege nimmt seinen Geldbeutel - voll mit Münzen und sonstigem Kram - wirft ihn dem Radfahrer nach, trifft ihn am Kopf. Radfahrer erschrickt, fährt gegen ein geparktes Auto und stürzt. Der Radfahrer kommt zum Taxi zurückgelaufen, verprügelt den Taxifahrer derartig, dass der Notarzt gleich dableiben kann, um sich um ihn zu kümmern, muss über Funk einen zweiten Notarzt rufen, dass dieser dann endlich seinen ersten Patienten behandeln kann ! Geile Geschichte nicht ? Die Geldtasche hat dann auch noch der Radfahrer mitgenommen, der Arzt konnte ihn schließlich nicht gut verfolgen!"

      Allgemeines Gelächter. Rudolf kannte solche Abende schon zur Genüge. Man versuchte einander mit den jeweiligen Geschichten zu übertrumpfen. So manches gehörte eindeutig in den Bereich 'Jägerlatein', aber viele Geschichten waren auch so absurd, dass sie gut und gern die Wahrheit sein konnten. Victor meldete sich mit der nächsten Story.

      "Elf Uhr Vormittag, der Kollege fährt das 'Kempinski' an, der Taxistand davor ist vollkommen verwaist, der Portier steht da, fuchtelt wild mit den Armen. Er habe einen Gast, der müsse überdringendst zum Flugplatz, seit einer Viertelstunde sei kein Taxi mehr zu sehen gewesen, die Maschine fliege in genau einer halben Stunde ab, er solle auf die Tube drücken, was das Zeug hergibt, da schaue sicher ein dickes Trinkgeld heraus, wenn er es noch schaffe. Der Portier hebt das Gepäck in den Kofferraum, der Fahrer startet mit quietschenden Reifen. Er überfährt zwei rote Ampeln, der Drehzahlmesser ständig im Gefahrenbereich, die Kiste pfeift aus dem letzten Loch.

      Er erreicht den Flughafen zwei Minuten vor der Zeit, hält mit kreischenden Bremsen direkt vor der Eingangstür zu Check-in, zückt sein Portemonnaie, sagt im Umdrehen. 'Das macht dreiundzwanzig genau'" - aber da war leider kein Fahrgast im Wagen..."

      Anhaltendes Gelächter in der Runde, eine neue runde Bier kam.

      "Super-Klasse, was hat er dann noch mit dem Koffer gemacht?"

      "Zurückgebracht natürlich. Hat sich dann klarerweise auch noch eine Schimpfkanonade anhören müssen, der Arme. Und die Fahrt wurde selbstverständlich auch nicht bezahlt. Hätte ich aber auch gar nicht erwartet!"

      Man wandte sich kurzzeitig den aufgetragenen Pizzas zu, eine weitere Runde Bier kam auf den Tisch, wie überhaupt Bier das Schmiermittel für die zu erzählenden Geschichten schien. Die Augen aller glänzten schon unmissverständlich, als Markus, noch halb kauend und schluckend, die nächsten Lacher herausforderte.

      "Ihr kennt doch den Hans, der aus Schlesien, der 'Riebergemachte', unseren ewigen Architekturstudenten... Es war im Frühsommer, später Nachmittag, die Sonne brennt unbarmherzig, Hans wird per Funk zum 'Club l'Amour' geschickt. Er fährt vor, die Mädels sitzen in der Sonne, halten ihre Nachtschattengesichter ins Licht, der Obermacker kommt heraus, bestellt fünf Eisbecher. Hans soll zum nächsten Eissalon fahren, um sie abzuholen. So weit, so gut, Hans fährt hin, holt die Eisbecher und stellt sie fein säuberlich, samt Löffelchen und Waffeln, nebeneinander - er fährt einen Kombi - hinten auf seine Ladefläche, braust los, um nicht nur Zerronnenes anzuliefern. Und Hans ist wirklich kein Trödler, gibt seinem Gefährt ordentlich Stoff, schon in der ersten Kurve, wie er erzählt hat, hört er das eindeutige Klirren der Eisbecher. Und da waren noch einige Kurven auf seinem Weg. Er fährt vor das Puff, springt heraus, öffnet den Laderaum - vor versammelter Mannschaft - deutet mit eleganter Handbewegung in den Laderaum und sagt 'Bitte sehr meine Damen, Ihre Eisbecher ! Das macht dann zusammen dreiundzwanzig-achtzig !' Der Obermacker kommt näher, sieht die im Laderaum verteilte Bescherung, das Eis ist über den gesamten Filzboden verschmiert, die Damen kommen ebenfalls näher, starren auch schweigend auf die bunte Schweinerei. Der Obermacker holt zwei Zwanziger aus der Tasche, gibt sie Hans und sagt seelenruhig zu seinen Mädels "Macht das sauber", was sie dann auch eiligst tun. Hans wartet geduldig, bis sie fertig sind, und fährt dann ebenfalls seelenruhig wieder ab!"

      Die Runde am Tisch bog sich vor Lachen, die Gesichter röteten sich zusehends, als zu guter Letzt auch noch Hans das Lokal betrat und sich zu ihnen setzte. Das Gelächter flammte neuerlich auf. Hans grinste übers ganze Gesicht, bestätigte die Geschichte im Detail. Er bestellte sich etwas zu trinken und fragte dann in die Runde, ob sie denn von der Geschichte mit der Schießerei gehört hätten, was natürlich von allen bejaht wurde. So ein Ereignis blieb nicht unregistriert, jeder Einzelne von ihnen hätte schließlich der Fahrer sein können.

      "Bei uns waren heute Abend übrigens zwei Bullen in der Firma... wegen dieser Sache. Haben wissen wollen, ob wir einen Wagen mit der Endzahl '37' im Kennzeichen haben. Den haben wir zwar, aber der stand am Montag bei uns im Hof. Außerdem suchten die nach einem Benz... und wir haben doch nur Kombis... Die haben dann auch noch den Fahrer, der diesen Wagen fährt, befragt. Aber der war an diesem Abend, unzweifelhaft, beim Kartenspielen. Sechs Zeugen. Außerdem ist er schon über fünfzig und die suchten nach einem jüngeren Fahrer... mit Bart!"

      Rudolf spürte plötzlich ein siedend heißes Gefühl in sich aufsteigen. Man war also schon hinter ihm her, hatte zumindest gesehen, dass er einen Bart trug. Zum Glück hatten die Leute aber in der Dunkelheit die Endzahl seines Kennzeichens doch nicht so genau gesehen. Seine Endzahl war nicht '37', sondern vielmehr '97! Eine kleine Verwechslung, ein kleiner Hoffnungsschimmer.

      Er musste sich morgen sofort seinen Bart abrasieren, soviel war klar. Oder war dies etwa zu verdächtig, schließlich kannten ihn alle mit Bart.

      Schell wechselte er das Thema, brachte die Sprache auf einige Erlebnisse aus seinem Erfahrungsschatz. Und die Kollegen kannten ihn gut, wussten, dass er als künftiger Literatur-Nobelpreiträger immer für einige absonderliche Geschichten gut war. Die Ablenkung funktionierte perfekt, man hing wie gebannt an seinen Lippen.

      "Kennt ihr schon die Geschichte von meinem letzten Urlaub, vergangenen Sommer? Nein? Also, da war dieser Mann. Er sagte, er wolle zu der Villensiedlung im Süden der Stadt. Dann sagte er, er wolle in den Norden der Stadt und dann doch wieder zur Villensiedlung. Unterwegs fragte er, ob ich Zeit hätte nach Paris zu fahren, jetzt gleich. Ich sagte natürlich 'ja', verlangte aber nach einer Anzahlung,