Peter J. Gnad

Querverkehrt


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glänzte jenes Licht, das er nun schon des Öfteren bei ihr gesehen hatte und das ihm klar machte, dass es nun kein zurück mehr gab. Wobei es nicht so sicher war, ob er überhaupt noch zurück wollte.

      "N-Nein, aber... Ich meine, ich bin ja gerade erst aufgewacht und aus der Dusche, bin noch gar nicht richtig da..."

      "Dann shut up, gibt es einen besseren Weg, um seinen Kreislauf anzukurbeln?"

      "Na gut... dann…will ich ja nicht so sein, ich helfe ja gern, wenn ich kann." Er grinste schief.

      "Tu' nicht so gnädig, könnte Dir auch passieren, oder?"

      "Mit vollem Mund spricht man nicht, haben wir mal gelernt!"

      Er schloss die Augen, seine Knie wurden weich, langsam sank er neben sie auf die Couch.. Dann wurde nicht mehr gesprochen, zumindest für die nächsten Minuten. Und danach war er neuerlich reif für eine Dusche. Wo er jedoch auch wieder nicht lange allein bleiben sollte.

      "Gutnachbarliche Beziehungen wollen gepflegt werden" sagte sie mit gurrender Stimme "Ich könnte dir auch beim Waschen helfen, oder so…".

      Der in dem kleinen Raum herrschende Dampf verdichtete sich zum Nebel, aber man musste ja nicht immer sehen können.

      Danach gab es nichts mehr zu sagen, es herrschte Ruhe, entspanntes Schweigen. Die Nachbarin sagte anschließend artig: "Danke" zog sich leise an, küsste ihn - Prinz Rudolf – und verschwand fast unhörbar aus der Wohnung. So sollte nachbarschaftliche Hilfe aussehen. Nun denn, dann ist vielleicht noch eine Runde Schlaf drin, dachte Rudolf. Wie schön, dass es Endorphine gab. Er drehte sich um, zog die Decke über den Kopf und versank neuerlich in den Untiefen seiner Träume. Aber der Schlaf kam nicht leicht, da ballte sich so einiges, Drohendes zusammen. Die schwarzgrauen Nebel, in die er versank, wurden zum dräuenden Unwetter, ließen ihn sich im Schlaf herumwerfen.

      Das Laken unter ihm war zerwühlt und durchgeschwitzt, als er seinen Kopf wieder erhob. Zum dritten Mal duschen an diesem Tag, ohne Aussicht. Ohne Aussicht deshalb, weil er sich nun in aller Eile fertigmachen musste, um wieder seinem Gelderwerb nachzugehen. Morgen war die Miete fällig, und wenn er die nötige Summe nicht zusammenbrachte, war er selbst fällig. Die Hausverwaltung wartete geradezu sehnsüchtig auf einen guten Grund, ihn endlich loszuwerden.

      Schon zu oft waren da Klagen über laute Partys, größere Gelage, "Orgien", wie man sie im Haus nannte, an den Besitzer gerichtet worden. Der Schriftverkehr dazu war schon einige Seiten lang. Einschließlich der finalen Drohung, ihn "beim nächsten begründeten Anlass aus der Hausgemeinschaft zu entlassen", wie man sich vornehm ausdrückte.

      Er musste sich in nächster Zeit etwas gesitteter benehmen, um die Wogen sich wieder beruhigen zu lassen. Sein Ruf war ohnedies perdu, daran war nichts mehr zu ändern.

      Aber deshalb wollte er denn doch nicht schon wieder umziehen. Zu oft hatte er schon seine Zelte abbrechen müssen, zu oft hatte man sich von ihm "gestört" gefühlt. Ganze Mietergemeinschaften hatten sich gegen ihn zusammengerottet und sogar Unterschriftenlisten zusammengestellt, nur um ihn loszuwerden. Dabei waren seine früheren Ausschweifungen noch moderat gewesen, im Vergleich zu dem, was er in diesem Haus schon angestellt hatte.

      Mühsam zog er sich seine Stiefel an, kämmte seine wirren langen Haare, nahm seinen Geldbeutel - sein Arbeitsgerät, wie er es nannte, und bereitete sich wieder auf den Kampf um den schnöden Mammon vor. Man brauchte schon so etwas wie Vorbereitung, wenn man wieder eine Nacht auf dem Kutschbock jenes Gefährts verbringen wollte, das sich da - rund um die Welt - "Taxi" nannte. "Kraftdroschke", wie es im Gesetz stand, war da ein viel schöneres, plastischeres Wort, wie er fand. Man konnte es auch so wunderbar schön verächtlich aussprechen, es war in der Szene schon fast zu einem Schimpfwort geworden. Man saß auf dem "Kutschbock" war 'Droschkenkutscher'. Rudolf bevorzugte diese Bezeichnung, wenn er schlecht gelaunt war, an die Arbeit gehen sollte, aber eben heftig mit seinem Schicksal haderte. Dass ER diese Art von Arbeit verrichten musste, dass die Welt ihm das tatsächlich zumutete, in solchen Niederungen herumzukrauchen, missverstanden, erniedrigt, getreten, geknickt, geknechtet, verspottet... und überhaupt! Manchmal, wenn er sich also wieder einmal mies fühlte und sich am liebsten von der nächsten Brücke gestürzt hätte, dann nannte er sich 'Droschkenkutscher'. Das Geschäft lief dann logischerweise entsprechend schlecht. Und wehe, wenn ihm dann einer über die Grenze des Zumutbaren trat! Der machte unweigerlich nähere Bekanntschaft mit einer, nämlich seiner, Lokomotive und mit der wurden alle platt gewalzt. Er scheute dann keine Auseinandersetzung. Dienstleistung ja, aber nicht Unterwürfigkeit. Als Sklave taugte er gar nicht, ganz im Gegenteil, da wurde die Revolution geprobt, da sollte nur erst mal einer kommen.

      "Die Zeit heilt alle Wunder!" - einer seiner gängigen Sprüche. Sprüche nur, jaja. Trotzdem; auch diese Sprüche hatten ihren Sinn. Irgendwie musste man sich ja über Wasser halten, anhalten können - Seele, wie auch Körper. Deshalb fuhr er ja denn auch nun Taxi. Weil man von irgendetwas leben musste. Und wenn es nicht anders ging, musste man eben schon auch mal in die Scheiße greifen können. Es war ja nicht für immer, man konnte ja nach einem Ausweg suchen, musste ja nicht in dieses Tal der Tränen absacken und dort dann versumpfen. Ohnedies: alles nur Selbstmitleid. Alles, alles nur Selbstmitleid, die gekränkte, verletzte, eitle Seele, jajaja! Manchmal konnte er sich noch selbst beim Schopf packen und aus dem Sumpf ziehen, sich gehörig den Kopf waschen, rütteln und schütteln, sich wieder geradebiegen, der Welt einigermaßen gefasst in die Augen blicken und ihr dann auch wieder trotzig begegnen. Doch das ging nicht immer und war abhängig von gerade herrschender Verfassung, dem finanziellen Druck und sonstigen Begleitumständen.

      Klar, an anderen Tagen, wenn er sich über die Niederungen seines Daseins erhaben fühlte, die Sonne schien und er auch sonstige Kalamitäten nicht ernst zu nehmen gewillt war, ja dann, dann ging es ihm gut. Dann machte es ihm auch nichts aus, sich in die Karre zu schwingen und in der Gegend herumzugurken. Dann hatte er auch nie Schwierigkeiten mit irgendwelchen Fahrgästen, selbst wenn sie noch so übel drauf waren und es regelrecht darauf anlegten, einen Streit mit ihm vom Zaun zu brechen.

      Ein Fahrgast, der ihm anfangs richtig blöd gekommen war, hatte sich glatt umpolen lassen, hatte entnervt aufgegeben, hatte in Rudolfs Lachen eingestimmt und anschließend zugegeben, mit der Absicht eingestiegen zu sein, jetzt einen Taxifahrer aufmischen zu wollen. Schöne liebreizende Welt, ein wahrer Garten Eden, in dem Leute in ein Taxi einstiegen, nicht um an einen anderen Ort zu gelangen, sondern um den Fahrer aufzumischen.

      Aber so war es eben auf diesem Planeten. Soviel zur "Unerträglichen Leichtigkeit des Seins", in anderer Variation 'Sein' zu 'Schein' - und in Wahrheit hieß das andere Wort "Seichtigkeit". Womit man sich im Leben alles herumschlagen musste, es war zum Heulen und zum Lachen zugleich.

      Aber, was konnte man schon machen... als Wurm unter Würmern! Keine Sau konnte da helfen. Jede Sau wäre froh, sich selbst helfen zu können. Man frage nach, im Schlachthof, Montagmorgen!

      Im Büro seines Unternehmers war gerade Hochbetrieb, als Rudolf antanzte, um, wie alle anderen auch, die in der letzten Nacht verdienten Moneten zur Hälfte mit dem Chef zu teilen. Mit traurigen Gesichtern standen sie am Tresen, rechneten ab, die Geldscheine wechselten den Besitzer.

      Ein Kollege mit stark gebräunter Gesichtshaut trat zu ihm. Rudolf hätte ihn fast nicht mehr erkannt. Karl-Heinz, drei Monate in Indien, erfolgreiche Flucht aus der Mühle, eine wenigstens temporäre Befreiung - nun wieder zurück in den Ketten der Galeeren. Ein Teilzeithippie mit Rückflugticket, an der langen Leine.

      "Und, wie war’s in Indien, hat's dir gefallen ?"

      Aber da kam nur ein müdes und trauriges Lächeln zurück.

      "Schön war’s… nur, leider mir sind schon ersten Tag alle meine Brillen, drei an der Zahl, gestohlen worden und ich bin ja fast so blind wie ein Grottenolm, so ganz ohne Gläser."

      An manchen Tagen habe er sich von einem Bekannten dessen Brille ausleihen können, als Notbehelf. Aber, alles hat ein Ende, dann sei dieser Bekannte irgendwann weitergereist, und er, allein am Strand, in Kerala, fast so blind wie ein Käuzchen im Tageslicht. Karl-Heinz grinste übers ganze Gesicht, er schien trotz aller Widrigkeiten begeistert über seine Reise. Aber, vielleicht verhielt es sich ja wie mit den Blinden, die, einmal sehend, von der Realität