Peter J. Gnad

Querverkehrt


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Fall - unterversorgt, etwas desillusioniert, zu lange allein, nicht unbedingt gerade schön, aber doch auch nicht unattraktiv, in Spiellaune - er wusste genau, wie er sich anstellen musste, schickte brennende Blicke ab, er kannte die Wirkung seiner slawisch, leicht schräg stehenden Augen, sagte die richtigen Sachen, zum richtigen Zeitpunkt, ein wenig Alkohol, Musik, seine Lebensgeschichte (da lagen die meisten dann flach), ein wenig Laszives und dann... Attacke!

      Es wäre einfacher auch gegangen, wie sie später dann klipp und klar gesagt hatte. Nun ja. Und seitdem nutzte man gegenseitig die bestehenden Möglichkeiten. Bequem und nahe, nur ein Stockwerk, je nach vor allem Lust und Laune. Ohne Druck wohlgemerkt. Keine Eifersüchteleien, keine Ansprüche, keine Verpflichtungen, keine Sicherheiten. Alles bestens, zur beiderseitigen Zufriedenheit.

      Eine "Sexbeziehung", wie man es so nannte. Rudolf wischte sich den imaginären Schweiß von der Stirn, gab einen fauchenden Laut von sich, grinste seinem Spiegelbild zu. Das war schon ein Exemplar, da konnte Mann schon schwach werden, wie er sich eingestand. Sehr interessant, auf allen Ebenen. Dass es dann beiden Parteien auch noch zusätzlich Spaß machte, eben wegen der vorherrschenden Ungebundenheit, war wohl auch die Voraussetzung für die Fortsetzung der gegenseitigen Annehmlichkeiten. Klar war ja auch, dass da keine Ausschließlichkeit gefordert war, beide wussten von des anderen Affären oder Zufälligkeiten auf diesem Gebiet. Erst unlängst hatte Anna von einer Begegnung mit einem "Monster" erzählt, einem "Unding", in einer Größenordnung, die sie regelrecht ängstigte. Sie habe dann aber doch zugegriffen, wie sie lachend erzählte, weil, wenn da ein Kinderkopf durchkäme, dann hätte das Ding auch Platz.

      "Gut ist's gegangen, nix ist g'schehn !"

      Sie grinste übers ganze Gesicht. Woraufhin er kurz geschluckt und gefragt hatte, ob sie denn danach überhaupt noch mit normalen Dimensionen "könne". Aber sie hatte abgewunken, nicht die Größe, die Leistungsfähigkeit, das Durchhaltevermögen, die Bereitschaft einen Langstreckenlauf, als auch, bei Bedarf, einen Schnell-Sprint zu absolvieren, sei das Kriterium. Derjenige jedenfalls, der mit dem Großen, sei nie richtig "konsistent" geworden, nie ganz "erwachsen", obwohl sie alles getan hatte, ihm und der "Blutwurst" zu helfen, wie sie sich ausdrückte. Außerdem habe es sie ständig beschäftigt, ob bei solchen Füllungen, nicht doch das Gehirn ganz eklatant unterversorgt bleibe, mit möglichem Dauerschaden. So, wie ja zum Beispiel beim Verdauungsvorgang, der Magen auch alles Blut für sich beanspruchte.

      "Und was mache ich, wenn der Kerl plötzlich auf mir in Ohnmacht fällt? Ich weiß ja nicht... vielleicht hat der auch 'nen Infarkt oder einen Gehirnschlag oder so... ?"

      Rudolf hatte sich, bei den Details der Geschichte, sprichwörtlich den Bauch vor Lachen gehalten und es hatte fast einer Stunde Pause bedurft, bevor man sich ernsthaft einer neuerlichen Runde Körperkontakt widmen hatte können.

      Ja, er hätte wohl besser gleich gar nicht erst in die "Kiste" steigen sollen an diesem Sonntag, diesem "Totensonntag", Scheiß-Kirche, die war sowieso an allem Schuld. Eine einzige Fahrt außerhalb der Stadtgrenze und auf jeden anderen Stich in der Stadt mindestens dreißig Minuten Wartezeit. Das konnte ja nichts werden. Er sah sich schon wieder einen Canossagang antreten, Geld ausleihen - die einzige Möglichkeit, um die Miete doch bezahlen zu können.

      Ein Scheiß-Loch diese Stadt, voller Scheiß-Bürger, alle unheimlich ehrbar und integer, vorne heraus entkam denen keinerlei Entgleisung. Aber er kannte seine Pappenheimer; unter dem Mäntelchen da dampfte es heimlich und wohlgehütet.

      Aber es hatte keinen Sinn sich weiter aufzuregen, sich weiter in die Spirale der Frustration einzubringen. Dieses Geschäft funktionierte nach ganz eigenen Gesetzen, hinzu kam noch die Glückskomponente, vollkommen unkalkulierbar. An manchen Tagen, an denen die Stadt aus allen Nähten platzte, erwischte man nur die schlechten Stiche, alles in der Innenstadt, ohne Trinkgeld; und an anderen Tagen, wo der letzte Hund begraben schien, kam dann plötzlich der unerwartete Lichtstrahl, der Gott aller "Droschkenkutscher" schüttete über ihm sein Füllhorn aus. Bei noch mehr Glück fuhr man auch noch angenehme Menschen in der Gegend herum, was aber äußerst selten war. Die meisten blieben farb- und blutlos, viel wahrscheinlicher war es da schon, dass man auf eine Zusammenballung von unangenehmen Kunden traf.

      Heute wäre ihm sogar auch noch diese Kategorie recht gekommen, es herrschte schlichtweg Todesstille. Wenn man durch die Straßen fuhr, fiel einem unweigerlich die große Anzahl von Wagen mit gelben leuchtenden Schildern auf den Dächern auf, manchmal begegneten einem richtige kleine Herden. Vielleicht sollte man einander gegenseitig durch die Gegend kutschieren, wenigstens so tun als ob. Da könnte man die Hälfte der Fahrzeuge abstellen, sparte Treibstoff und Reifenabrieb und außerdem brauchte auch nur die Hälfte der Leute hinter dem Steuerrad zu sitzen, man könnte miteinander schwatzen, oder sonst was machen; nach zwei Stunden könnte man wieder wechseln, sowohl Auto, als auch Fahrer, dann durfte der andere sich kutschieren lassen. Eine schöne Idee, wie er fand und kicherte leise vor sich hin. Es eröffnete noch unzählige Möglichkeiten des Zeitvertreibes...

      Aber mit Zeitvertreiben hatte er ohnedies nie Schwierigkeiten gehabt. Es gab nur eindeutig bessere Orte um dies zu tun, als in der "Kraftdroschke". Eigentlich sollte er besser zu Hause, am Computer sitzen, um endlich an seinem Buch weiterzuschreiben.

      Es war erst knapp zwei Monate her, dass er die Idee geboren hatte einen Roman zu schreiben, hatte mitten in der Nacht - es war Halbdrei gewesen - das Gerät eingeschaltet und gleich, in einem durchgehenden Fluss, neun Seiten geschrieben. Innerhalb einer Woche hatte er, trotz Nachtarbeit in der Kiste, weitere zehn Seiten zustande gebracht. Nach einigen Durchhängern war das Ding jetzt bereits auf rund fünfzig Seiten angewachsen. Einige Freunde hatten Teile des Buches auch schon gelesen, und durchaus positives Echo gezeitigt. Es war die Geschichte eines Musikers (natürlich er selbst, aber halt anders verpackt) der seinen Job im Orchester verloren hatte und nun steuerlos umhertrieb, bis die Dinge sich verdichteten und er sich mit einem Mal als Teilnehmer in einem Krimi wieder fand.

      Und wenn da nicht diese beschissene Miete zu zahlen wäre, könnte er zu Hause sitzen und weiterschreiben. Aber - nein, er saß hier auf dem Bock, mitten in der Nacht, mitten in der Flaute.

      Selber schuld, verdammter Narr. Was warst Du auch so blöd gewesen, in dieser stumpfsinnigen Betätigung irgendeine Art von Reiz zu sehen. Autofahren konnte schließlich jeder Trottel und die Stadt auswendig lernen auch.

      Diese vermeintliche Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, da war nicht viel herzumachen damit. Na gut man konnte arbeiten, wann man wollte, auch wie lange man wollte. Man konnte sich auch, wenn man wollte, die ganze Nacht in irgendeine Kneipe setzen. Aber dann blieb halt der Geldbeutel leer. Wunderbare Freiheit. Wer zahlte dann seine Miete? Also war er gezwungen, wie jeder andere auch, seine zehn bis zwölf Stunden im Wagen zu verbringen, ansonsten stimmte die Kasse nie. Was wieder zum Effekt hatte, dass man Kreuzschmerzen bekam und den folgenden Tag nur mehr im Tran zur Kenntnis nehmen konnte. Müdigkeit war einer seiner neuen Dauerzustände, lähmte ihn zumeist bis am Abend. Dann erst kam sein Motor wieder auf Touren. Sein Rhythmus hatte sich schon vollkommen umgekehrt. Die Nacht zum Tage zu machen, hieß die Losung, tagsüber fuhr er ein Taxi. Er hatte das versucht, aber das ständige "Stop and Go", das Stoßstange an Stoßstange, Schritttempo, quälender Stau, stinkende Luft, entnervte Fahrgäste, immer zu spät, zu lange, zu weit, zu langsam, zuviel zuviel. Tagsüber in der Kiste und ein Monat später in der Klapsmühle oder gegen die Wand gefahren.

      Ja, er hasste sich dafür, so blöd gewesen zu sein und sich auf dieses beschissene Dasein als Taxifahrer eingelassen zu haben. Auf der anderen Seite war es natürlich nicht immer so schlimm. Es gab da durchaus auch Tage, an denen er sogar Spaß hatte, durch die Stadt zu gondeln. Manchmal ergab es sich einfach, dass der Abend schon gut begann, seine Stimmung deshalb auch gehobener Natur war, dieses pflanzte sich dann auch weiter fort, strahlte auf seine Gäste, welche dann natürlich auch zurückstrahlten, was übersetzt dann auch mehr Trinkgeld hieß.

      Aber meistens war es eher umgekehrt; der Abend begann beschissen und diese Linie zog sich durch, bis er endlich den Motor wieder abdrehte und ausstieg.

      Heute, wie schon angedeutet, wünschte er sich nur mehr den Schlüssel aus dem Fenster werfen zu können. Leider nur ein frommer Wunsch, der auch nicht nur in die Nähe von Erfüllbarkeit geriet. Hoffentlich blieben ihm wenigstens die ärgsten