Jose DeChamp

Aphrodite Schatzsucherin


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Mochten so viele Menschen auch verlernt haben, uns Göttinnen und Götter zu sehen, so gab es uns doch. Mochten wir scheinbar aufgehört haben, Verbindungen mit den Menschen einzugehen - so war ich doch stets bereit, mich mit ihnen zu verbinden.

      

       Begrenzungen beginnen im Kopf. Menschen halten ihre Weltvorstellungen für das, was immer war. Ideen bekommen Glaubensgesetze.

      

       Frau und Mann glauben sich seit Dem Grossen Einschnitt getrennt von der grossen Mutter, die wir Gaia nennen. Das mag an ihrem Machtkonzept liegen.

       Schöpfung bietet wohl zwei Möglichkeiten, die der Liebe und die der Macht. - Und mit der Macht eine Geisteshaltung des Herrschens und des Beherrscht-Werdens. Die meisten Geistesschulen lehren nur die Möglichkeit der Macht. Ganze Erdenstämme haben so etwas Wesentliches verloren, ohne es zu bemerken. Die Mehrheit der Menschen hält dies für den Lauf der Dinge. Nur ein unbestimmtes Sich-Sehnen nach All-Seligkeit ist Menschenfrau und Mann geblieben. Sich sehnen nach Wiedervereinigung lebt in Menschenliebe und in den mannigfaltigen Menschenglauben. Gerade auch in der Kunst. In der Musik.

       Wenn dieses Sich-Sehnen stark genug ist, kann es manchmal die Grenzen überschreiten. Es kann zu mir führen. Denn auch ich bin Instrument.

      

       Aber ich schweife ab. Zurück zu den Ereignissen der Insel. - Der Weg war lang und beschwerlich. Oft schien es, als sollte das Wunder nie geschehen.

       Doch siehe selbst.”

      

      Kapitel 3

      Piräus oder Peiraieus war vor langer Zeit der Name der bergigen Halbinsel südwestlich von Athen gewesen, mit einem beinahe einhundert Meter hohen Hügel Kastella, der einstmals Mounychia genannt worden war. Seit dem sechsten Jahrhundert for Christus hatte Mounychia eine Burg getragen von der aus man die drei tief eingeschnittene, runde Hafenbecken Piräus, Zea und Mounychia hatte sehen können. Themistokles, ein Wegbereiter der Attischen Demokratie, hatte sie 493 vor Christus zum Hafen von Athen bestimmt.

      In Perikleischer Zeit wurde eine Stadtanlage mit rechtwinklig sich schneidenden Strassen angelegt, die Häfen ausgebaut und mit Säulenhallen und Schiffshäusern versehen. Nach dem Peloponnesischen Krieg war Piräus zerstört und wieder aufgebaut worden, blühte als Handelshafen. Brannte nieder und wurde erneut errichtet - ein unermüdliches Aufbauen und wieder zerstören im Zeitraffer der Geschichte. Nun, im zwanzigsten Jahrhundert nach Christus, war Piräus der grösste Passagierhafen Europas und der drittgrösste Hafen der Welt.

      Zsófia liest im Reiseführer, während sie eingekesselt von Menschen in einer Schlange wartet. Stinkende Abgase, ungeduldiges Autohupen, lärmende Motoren scheinen in der flimmernden Glut der Attischen Sonne noch zuzunehmen und Zsófia fühlt sich verloren in einem chaotischen Gewimmel von stinkenden Lastwagen und klapprigen Wohnmobilen, Motorradfahrern und Trauben von Fussgängern. Ihr Auto, das sonst ein schützendes Haus gegen diese Einflüsse ist, ist ihr nun kein Trost. In der stickigen Luft hängt ein vibrierendes Warten darauf von den grossen Walfisch-Mäulern der Fährschiffe verschluckt zu werden. Endlich kann sie die 'Theés Várka' ausmachen, die Ilos ihr als das Schiff zu der Insel genannt hatte und sie steuert darauf zu. Im Schritt-Tempo reiht sie sich in die Warteschlange. Mit der linken Hand streicht sie sachte über das Lenkrad. Trotz Krieg, Benzin-Boykott, undichter Öl-Leitung und unwegsamen Bergstrassen in Mazedonien. Trotz Situationen, in denen sie sich wie eine Gejagte gefühlt hatte. Denn als Frau alleine zu reisen war gefahrvoll gewesen. Sie versucht die Erinnerung zu verscheuchen. Sie hat es überstanden.

      Das Ziel, das sie vor Augen gehabt hatte, ist jedoch nicht mehr da. Hier steht sie auf einem kleinen Floss mitten im Chaos. Müde und verletzlich.

      Auf dem Schiff Rucksackreisende mit Schlafsäcken auf dem Boden. In der Bar griechische Familien, spielende Kinder. Sie scheint die einzige zu sein, die alleine reist. Überwältigt von grellen Farben, starken Gerüchen und fremden Lauten sitzt Zsófia auf einer der Bankreihen an Deck. Blinzelt in die weisse Sonne und bestaunt Ozean und Himmel, als sehe sie zum ersten Mal. Als die erste Insel in Sicht kommt, bestaunt sie die karge, geschwungene Hügellandschaft, die schroffen ockergelben Felsen.

      Sie hört Klaviermusik auf ihrem Walkman. Das melancholische Piano, die Seevögel, der Wind und das Blaugrün des Meeres erfüllen sie mit Freude über diesen vollkommenen Moment. Aber auch mit Bedauern, ihre Freude mit niemandem teilen zu können.

      Alleinsein. Jeder Mensch ist in letzter Konsequenz allein - ach ja, das abgeklärte Philosophen-Ich. Aber die meisten kommen scheinbar besser damit zurecht, meldet sich ihr inneres Kind. Oder machen sie es sich nur nicht bewusst?

      Die Mehrzahl der Menschen scheint ihren Platz zu haben. Einfach so. - Sind die, die nicht alleine sind, zu mehr Zugeständnissen bereit? Erdulden sie mehr?

      Doch sie macht grosse Zugeständnisse und ist dennoch alleine. Ihre Anstrengungen, sich anzupassen und gemocht zu werden sind erfolglos. Das ist von klein an so gewesen. Zsófia wünscht sich den Mut, ein neues Leben anzufangen, an einem Ort, an dem ihre Rolle noch nicht festgelegt wäre. An dem sie anders sein könnte. Keine vorgenannten Erwartungen sondern ein leeres Blatt Papier, auf das sie ein neues Selbst und eine neue Lebensgeschichte schreiben könnte.

      Zsófia lehnt sich an die Schiffsbalustrade. Fühlt das Eisen unter einer weissen Schicht Farbe. Schaut in das bewegte Wasser unter sich. Seewind spielt mit ihrem Halstuch, hebt die langen Seidenenden in die Luft. Zsófia löst den Knoten und hält das Tuch spielerisch in die Luft. Nuancen von Blau die ineinander laufen. Nun von der Sonne fast aufgelöst in Licht.

      Mitreisende betrachten die junge Frau, die ein Tuch im Wind schwenkt. Aber sie ist selbstvergessen und bemerkt es nicht.

      Karl hatte ihr das Tuch geschenkt, als sich ihr Zusammensein gejährt hatte. Er hat ein Auge für schöne Dinge. Sie liebt die Batik des seidenen Gewebes. Ein Windhauch bläht in das Tuch und sie hebt es fasziniert über ihren Kopf. Blinzelt in die bläuliche Weisse. Dann auf einmal öffnen sich ihre Finger. Es ist keine Entscheidung, es geschieht einfach. Das Tuch schwebt hoch in die Luft und fällt dann langsam in sich zusammen. Segelt in das Wasser. Schwimmt noch für einen Moment lang auf der Oberfläche und verschwindet dann.

      Einfach fort. Ist es wirklich geschehen? Warum hatte sie losgelassen? Ihr Tuch!

      Zsófia presst die Hände auf ihre Brust. Sie steht an der Reeling und ist fassungslos. Starrt ins Leere bis ihre Augen die Augen eines anderen treffen. Ein Mann, nicht grösser als sie, mit langem Haar und arabischen Gesichtszügen. Er lächelt und sie wendet sich abrupt ab. Beschämt, verwirrt. Immer noch betroffen darüber, ihr Tuch losgelassen zu haben. Es für immer verloren zu haben im Wasser. Sie läuft die eisernen Treppenstufen hinab, und das Klappern ihrer Schuhe ist ihr unangenehm. Unentschlossen steht sie auf dem nächsten Deck. Wandert auf und ab um sich zu beruhigen.

      “Wer den Ort verlassen will, an dem er lebt, ist nicht glücklich”, schreibt Milan Kundera. “Die, die sich selbst finden wollen, sollten an Ort und Stelle bleiben, weil sonst die Gefahr besteht, dass sie sich ganz und gar verirren.” Wer hatte das gesagt?

      Hat Zsófia verlassen? Ist sie nicht hier auf dem Fährschiff, weil sie Angst hat, Endscheidungen zu treffen?

      ‘Fortgelaufen bin ich.’

      Die 'Theés Várka' läuft ein. Ob Ilos Bruder sie erwarten wird? Menschen, Motorräder, Lastwagen strömen aus dem Dunkel des Schiffsrumpfes dem nun weit aufgestossenen Schiffsschlund entgegen. Zsófia lässt sich von diesem Strom ziehen, wird vom Bruder des Illos aufgelesen und in eine etwas abseits gelegene Pension am Hang der Felseninsel gebracht. Griechenland ist das Land der Rosen. Hier liegt die Liebe in der Luft, hatte Ilos gesagt. “Wenn man denn diese Liebe ertragen kann”, denkt sie.

      Das Reden fällt schwer, wenn man es eine Weile nicht