Mej Dark

Completely - Gesamtausgabe


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nur vor? Neugier erfasste mich. Also schlich ich auf leisen Sohlen durch den altehrwürdigen Treppensaal und den langen Flur zum Gemach entlang. Dicke Teppiche dämpften die Schritte, jedoch knarrte ab und an eine der hölzernen Dielen, die darunter lagen.

      Durch den leicht geöffneten Türspalt des Schlafzimmers sah ich, wie ein merkwürdiges dürres Männchen, das ein Monokel an der riesigen roten Nase festgeklemmt hatte, mit knochigen Händen meine halb nackte Mutter untersuchte. Ihre prallen Brüste waren vollkommen bloß.

      Es handelte sich bei dem Wicht offenbar um den neuen Arzt, von dem sie mir bereits vor einigen Tagen etwas vorgeschwärmt hatte. Angeblich war die Gesellschaft, besser gesagt ihre geschwätzige Bekanntschaft, von dem Medikus aus Europa begeistert. Er sollte sogar mit der Kunst der Hypnose heilen. Der Kerl mit der roten Nase wollte offenbar in besseren Kreisen Fuß fassen und ließ sich unter den Frauen fleißig weiterempfehlen.

      Der Mediziner sah im Leben viel hässlicher aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Vollkommen ungeniert griff er meiner Mutter an ihr volles Mieder.

      „Oh, wie straff Ihre Kugeln noch sind, wie wunderbar die helle Haut duftet!“, verkündete der Dreiste und schnüffelte mit seinem überdimensionalen Zinken genüsslich an ihrem Hals. Seine flinken Hände machten sich daran, ruchlos weitere körperliche Gefilde meiner geliebten Mama zu erkunden. Zorn und Abscheu erfassten mich zugleich. Hätte ich nur einen Stock dabei gehabt. Instinktiv verabscheute ich den Kerl. Mir gefiel das, was der Gnom dort tat, gar nicht. Er war mir zutiefst unsympathisch.

      „Sie scherzen!“, gluckste diese wie ein Täubchen bei der Balz. „Seit dem Verschwinden meines Mannes bin ich so einsam, dass ich glatt verwelke!“

      „Meine Ärmste, die Blume muss unbedingt begossen werden, damit sie in jugendlicher Frische erblüht. Beugen Sie mal den Oberkörper über das Bett!“, wies der Arzt sie an und schob ihren Rock erfahren hoch.

      Empört wollte ich mich beinahe bemerkbar machen und diesen unsittlichen Vorgang unterbrechen. Waren das überhaupt medizinische Untersuchungen? Das sah mehr so aus, als ob er die willige Patientin verführte.

      Doch der lieben Mama gefielen die obszönen Griffe und Komplimente. Sie kicherte lustvoll bei jeder Berührung des dürren Nasenbären. So kokett hatte ich sie noch nie erlebt. Hatte der Kerl sie vielleicht schon hypnotisiert, um sie willig zu machen?

      Um vollkommen ungestört weitere Orte untersuchen zu können, stand der Unverschämte auf und eilte zur Doppeltür. Sicher wollte er die angelehnten Holzflügel ganz schließen, um sein anzügliches Tun vor anderen zu verbergen.

      Unruhig atmend versteckte ich mich instinktiv hinter einem weißen Pfeiler, der neben der Tür emporragte. Ich wollte keinesfalls als Spanner ertappt werden und hatte auch keinerlei vorzeigbaren Beweis für meinen Verdacht. Mein Davonhuschen blieb nicht unbemerkt. Sein vergrößertes Auge, das hinter dem Monokel riesig wirkte, funkelte neugierig den Flur ab.

      „Mir war, als hätte ich jemanden gehört“, murmelte er gnomenhaft.

      „Keine Sorge, das war bestimmt nur ein Mäuschen“, beruhigte ihn seine willige Patientin. „Wir haben leider Gottes viel zu viele davon. Lassen Sie uns rasch die Untersuchung fortsetzen!“

      Meine Mama ermunterte diese verabscheuungswürdige Riesennase sogar noch. Konnte man das fassen?

      „Ich bringe das nächste Mal etwas Arsen mit, da verrecken die Viecher schnell!“ Aus dem Mund des Arztes klangen die Worte äußerst bösartig und herzlos. Rasch wechselte der widerliche Kerl von seinen Mordgedanken zu erwartungsvoller Vorfreude, schloss den Türflügel und kicherte schrill wie ein Transvestit.

      Das Weitere wollte ich gar nicht hören oder anderswie mitbekommen. Mir wurde schon bei dem Gedanken an dieses unschickliche Tun übel. Als Sohn sieht man die eigene Mutter nicht gerne nackt und ganz besonders nicht mit einem fremden, boshaften Mann zusammen. Die Vorstellungen, welche in mir zu den beiden aufstiegen, waren geradezu gruselig. Angewidert wandte ich mich kopfschüttelnd ab. Das unzüchtige Beisammensein der beiden erinnerte mich noch deutlicher daran, wie allein ich nach dem Tod meines Vaters eigentlich in der Welt war. Nur eine bestimmte Person konnte mir die Einsamkeit nehmen. Wie gut, dass ich verliebt war. Ein Seufzer entrang sich mir. Schmerzen der Liebe krampften mein junges Herz zusammen.

      Komischerweise dachte ich plötzlich wieder an Grace. Vielleicht sollte ich mich bei ihr entschuldigen? Sie war klug, sah gut aus und hatte das Herz am rechten Fleck. Nein, ich durfte keinen Kompromiss machen. Das wäre ein Verrat, ja ein Betrug an der wahren Liebe.

      Seltener Besuch

      Mama hielt meine gegenwärtige Beschäftigung für nutzlose Zeitverschwendung, für eine Art Krankheit. Aus Sicht meiner Mutter wurde es Zeit, eine geeignete Braut zu finden. Deshalb förderte sie die Besuche von Grace. Diese waren aus ihrer Sicht so etwas wie Therapie.

      Sie ahnte ja nichts davon, dass ich schon längst verliebt war und nur an Liebeskummer litt. Ich hatte mich bis über beide Ohren in eine Unbekannte verliebt.

      Aus Vorsicht erzählte ich niemandem im Hause von meiner außergewöhnlichen Liebe. Man sah ja bei Grace, wozu die Wahrheit führte. So litt ich weiter allein. Mein junges Herz schmachtete. Unruhe und Sehnsucht bestimmten seitdem mein Gemüt. Wie konnte man sich auch in eine Unbekannte verlieben, selbst wenn sie die Vollkommene war?

      Wer war sie nur und wo konnte ich sie finden? Wir waren Seelenverwandte und füreinander geschaffen. Das stand fest.

      Mama befürchtete inzwischen sogar, dass ein merkwürdiges Fieber mich heimgesucht hatte und vielleicht meinen Verstand beeinträchtigte.

      Entschlossen, mich von niemandem aufhalten zu lassen, arbeite ich Stunde um Stunde und Tag für Tag. Ich bemerkte nicht, wie die Zeit verging und verlor jegliches Maß für sie.

      Es klopfte.

      „Was ist?“, rief ich ungehalten vom übergroßen Schreibtisch aus. Zwischen den bekritzelten Papierbergen war seine dunkle Mahagoniplatte nur noch zu erahnen.

      Die Tür öffnete sich. Unser guter alter Hausdiener, der sein Gesicht mit überlangen, gekräuselte Koteletten verzierte, erschien in seiner blauen Uniform. Der inzwischen unmoderne krause Backenbart war scheinbar frisch gestutzt. Er hatte noch ein wenig Seifenschaum im Gesicht. Hingegen war seine Kleidung durch die vielen Dienstjahre an Knien und Ellbogen so abgeschabt, dass man seine gelbliche Haut hindurch schimmern sah. Er weigerte sich jedoch eine neue Uniform zu tragen. Zu sehr war ihm die alte ins Herz gewachsen. Da half kein Schimpfen oder Drohen. In der linken Hand balancierte er ein silbernes Tablett, auf dem Gläser und Schalen im russischen Stil standen.

      „Guten Tag, Percy! Wie wäre es mit einem belegten Butterbrot, Schinken, Käse und einem Kännchen Tee mit Honig?“ Da der Hausdiener meine Wenigkeit von klein auf kannte, redete er mich als einziger vom Gesinde noch mit dem Vornamen an. Ich gestattete ihm dies, da er für mich fast zu einem Vaterersatz geworden war.

      Der Geruch der Speisen wehte mir durch den Raum entgegen. Der Kamin knisterte und verbreitete Gemütlichkeit. Normalerweise hatte ich einen gesunden Appetit. Doch ich winkte ihm mit der Hand eine abweisende Geste zu. Er sollte verschwinden, denn ich war zu beschäftigt.

      „Nimm das Zeug ruhig wieder mit. Du darfst alles selbst essen.“

      Verblüfft starrte der treue Diener mich an. Sein Mund stand offen, als hätte er einen Geist gesehen. Er sah traurig aus. Kopfschüttelnd schloss der Bedienstete die Tür. Sein kahler Schädel verschwand zwischen den Flügeln.

      Er tat mir leid, aber wie konnte der gute alte Tropf, der sicherlich niemals in seinem ganzen Leben verliebt gewesen war, mein grandioses Vorhaben und meine Gefühle verstehen?

      Eine Unterbrechung meiner Herzensaufgabe mit Schlaf, Essen und Toilette kostete nur wertvolle Zeit. Selbst die Haare waren mir inzwischen lang gewachsen und der erste dünne Bartflaum machte sich auf den Wangen breit. Ich vermied jede Zeitverschwendung, da der Durchbruch nahe war.

      Alle Wände meines imposanten Zimmers waren mit