Wolfe Eldritch

Blutherbst


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Abwesenheit wieder aufgetaucht war, würde sie nach dem Anlegen in der Nordmark verlassen.

      Bjorn av Krakebekk hatte es vorgezogen mit seinem eigenen Flaggschiff, der Seebär, zu reisen. Er hatte nicht versucht, sich um die diesjährige Teilnahme an dem Besuch beim König zu drücken, obgleich ihm anzumerken war, wie viel lieber er bei seiner Familie geblieben wäre.

      Varg begrüßte die Entscheidung des jungen Jarls, mit seinem eigenen Schiff zu fahren, durchaus. In seiner derzeitigen Stimmung war die Gesellschaft von Darane und vor allem Alfr das Letzte, was er brauchte. Und mit Bjorn und Alfr längere Zeit gemeinsam auf einem Schiff zu sein, war eine Aussicht, bei der ihm schauderte. Es war ohnehin gut möglich, dass die jahrelangen Spannungen zwischen dem jungen Jarl av Krakebekk und dem zukünftigen Jarl av Falksten im Laufe dieser Reise eskalierten. Es war bisher nie zu offenen Feindseligkeiten zwischen den beiden so verschiedenen Männern gekommen, aber gemocht hatten sie sich nie.

      Alfr hatte den über zehn Jahre jüngeren Jarl als zorniges, unbeherrschtes Kind kennengelernt. Das gute Verhältnis, das seine Schwester Vendela zu Bjorn hatte, war ihm immer suspekt gewesen. Auch die späteren Avancen des Krakebekk und die anschließende Vermählung hatte er im Stillen missbilligt. Er sah die Vorteile, die eine Verbindung zwischen den beiden Häusern der Insel bringen mochte, konnte aber gegen seine Abneigung nicht an. Alfr hätte, genau wie sein Vater, nur zu gerne eine Verbindung zwischen Varg und seiner Schwester Catherine zugestimmt. Der Jarl av Ulfrskógr hatte Lifa, seine erste Gemahlin, vor einigen Jahren bei der Geburt ihres ersten Kindes verloren, genau wie die kleine Tochter selbst. Doch die Gefühle zwischen ihm und der jüngsten Lady av Falksten hatten stets nur denen zwischen Onkel und Nichte entsprochen.

      So hatte Alfr zähneknirschend hingenommen, dass der junge Jarl zu seinem Schwager wurde. Ein Mann, der sich von seinem eigenen Wesen unterschied wie der Tag von der Nacht. Varg kannte Alfr seit seiner Jugend als einen ruhigen, besonnen und ernsthaften Mann. Er war intelligent, lernbeflissen und zuverlässig, doch fehlte es ihm an einer gewissen Aggressivität und jede Art von Spontanität ging ihm völlig ab. Bjorn auf der anderen Seite war, zumindest nach außen hin, oft unbekümmert und großspurig. Er gab sich nicht selten ein wenig herrisch und handelte oft mutig, aber unbesonnen. Er war weder dumm noch gedankenlos, obgleich oft ebenso impulsiv wie jähzornig.

      Varg wusste, dass Bjorn dem älteren Bruder seiner Gemahlin eine gewisse Verachtung entgegenbrachte, die er nur schwer im Zaum zu halten vermochte. Das lag zum einen an den grundverschiedenen Charakteren der beiden, zum anderen an der Unreife des Jarls. Der muskelbepackte, aggressive junge Mann, der schon durch seine unglaubliche Größe einen beeindruckenden Anblick bot, hielt seinen Schwager schlichtweg für einen verweichlichten Feigling. Allein seine aufrichtige Liebe zu Vendela ließ ihn im Umgang mit Alfr ein gewisses Maß an Höflichkeit an den Tag legen. Bjorn war mit seinen kaum mehr als zwanzig Wintern das Paradebeispiel eines ungestümen Kriegers. Alfr lebte im Grunde das Leben eines adligen Stadthalters und schleppte inzwischen ein nicht zu übersehenes Maß an Übergewicht mit sich herum.

      Während Varg jetzt neben dem Sohn des Freundes von der Heckreling aus Richtung Bug ging, musterte er ihn mit einem Seitenblick. Die Fettleibigkeit des Mannes hatte mittlerweile ein Ausmaß angenommen, das seine Schritte und Bewegungen behäbig wirken ließ. Allein dieser Leibesfülle wegen war ihm die Verachtung von Bjorn gewiss. Für ihn war sie ein Zeichen von Maßlosigkeit und Dekadenz, die von dem behüteten Stadtleben herrührten. Varg hingegen kannte Alfr gut genug, um zu wissen, dass die Probleme vielschichtiger waren.

      Es stimmte, dass der einzige Sohn des Jarl av Falksten nicht unbedingt den Stolz und Ehrgeiz mitbrachte, den man von einem jungen Jarl erwartete. Dagegen standen jedoch eine große innere Reife und ein unerschütterliches Pflichtbewusstsein. Das eigentliche Problem war, dass Alfr zu durchgeistigt und unfähig war, seine Gedanken zur Ruhe zu bringen. Die Probleme der Stadt, des Jarltums und nicht zuletzt die Sorge um die Kinderlosigkeit und instabile Gesundheit seiner Gemahlin, lasteten schwer und ohne Unterlass auf seinem Gemüt. Varg kannte nicht wenige Männer, sich selbst eingeschlossen, die bei zu großem Druck zur Trunksucht neigten. Alfr kompensierte seine Unausgeglichenheit mit Essen. Das Prinzip und die wachsende Abhängigkeit waren identisch.

      Wenn er sich stattdessen dem Suff hingeben würde, wäre das für Bjorn akzeptabel, dachte der Jarl bei sich. Beides ein Zeichen von Schwäche, beides bis zu einem gewissen Punkt verachtenswert, aber der Junge hat schon immer nur das Oberflächliche gesehen. Er ist intelligent, obwohl er kaum lesen und schreiben kann, aber ihm fehlt die Reife oder die Tiefe, um hinter die Fassade von Menschen oder Dingen zu schauen. Ich kann von Glück sagen, dass ich mich entschlossen habe, die Reise auf der Kralle zu machen. Alfr ist eine ungleich angenehmere Gesellschaft als ein aufgekratzter, nervöser Bjorn.

      Darane hatte sich ihm ohne ein weiteres Wort angeschlossen. Ein dünnes Lächeln glitt über das Gesicht von Varg, während er im eisigen Nordwind über das Deck der Falkenkralle schritt.

      Darüber zumindest wird Bjorn erfreut gewesen sein, dachte er grimmig. Mit Darane kann er nicht umgehen, er hat Angst vor ihm und das ist ein Gefühl, das er im Umgang mit anderen nicht gewohnt ist. Das Einzige, was er für gewöhnlich fürchtet, ist seine eigene Unsicherheit und sein Jähzorn. Hoffentlich bringen Vendela und das Kind ihm Frieden. Der Junge hat es götterverflucht nicht verdient so zu Enden wie sein Vater. Und mir hat es mit einem verrückten Krakebekk gereicht, bei Morcraban und Morrigan.

      Mit einiger Anstrengung lenkte er seine Gedanken von dem jungen Jarl zu Darane. Auch was den Zauberer anging, empfand er Bedauern. Er würde sie nach ihrer Ankunft in Padermünde, der größten Hafenstadt der Nordmark, verlassen. Seine Angelegenheiten, über die er sich nicht ausließ, führten ihn in den südlichen Teil des Reiches. Varg zweifelte nicht daran, dass er der Einzige war, der die Anwesenheit des alten Vertrauten ihrer Väter vermissen würde. Mit Ausnahme von Catherine möglicherweise. Die jüngste Tochter des Jarls av Falksten hatte vor ihrem Aufbruch nicht wenig Zeit mit Darane verbracht. Die meisten Menschen schienen in seiner Gegenwart eine Mischung aus Unwohlsein und Irritation zu verspüren. Eine Empfindung, die Varg nicht teilte. Er hoffte im Stillen, dass Darane seine Geschäfte auf dem Festland möglichst schnell abwickelte und in einigen Wochen mit ihnen nach Norselund zurückkehrte.

      Der Jarl selbst konnte sich nicht erinnern, je weniger Interesse an der Reise zum alljährlichen Lebensfest gehabt zu haben. Snaergarde und sein Jarltum zu verlassen war ihm schon unter normalen Umständen zuwider. Gerade in diesem Frühling wäre er lieber dabei gewesen, wie die Vannbarn ihre neue Heimat in den Grenzen seines Jarltums in Besitz nahmen. Seine neuen Vasallen waren vor einiger Zeit mit ihren ersten Siedlern in den Ländereien eingetroffen, die er ihnen zugestanden hatte. Mit diesem Bündnis und der Schaffung eins Vasallentums verstieß er bereits gegen das Gesetz des Reiches. Dazu kam, dass die Verbündeten aufgrund ihrer fremden Kultur unberechenbar waren. Das Lehen lag jedoch weitab des Zugriffes von König oder Kirche. Wo kein Kläger, da kein Richter.

      So hatten, angeführt von der hohen Wächterin ihres Volkes, knapp zweitausend Vannbarn die sterbende Heimat hinter sich gelassen. Von ihrem Reich unter den Bergen des Eisgebirges aus waren sie bis in den östlichen Teil des Jarltums gezogen. Der verlassene, ebenso unfruchtbare wie ungastliche Landstrich am Rande des Steinwaldes würde, so die Götter es wollten, in den kommenden Jahren zu ihrer neuen Heimstatt werden. Auch diese Übereinkunft verdankten sie allein Darane, der den Kontakt zwischen den Vannbarn und den norselunder Jarlen überhaupt möglich gemacht hatte. Varg hatte die hohe Wächterin, Chatikka ith Vallandor, die Schwester des Erzdruiden und Führers ihres Volkes, nach ihrem ersten Treffen noch einige Male gesehen. Beim ersten Mal hatte sie den alten Druiden Garawan von Snaergarde abgeholt. Beim letzten Mal hatte der Jarl die Kriegerin wenige Tage vor seiner Abreise am Steinwald besucht. Ihre Furcht und Unsicherheit ob der ihr völlig fremden Welt war spürbar gewesen. Aber ebenso deutlich hatte Varg ihren Tatendrang und ihre eiserne Entschlossenheit wahrgenommen. Der Mut der Frau rang ihm Respekt ab. Er war froh, dass es einer Kriegerin anstatt einer Priesterin oblag, die Geschicke der Siedler zu lenken. Oder, schlimmer noch, einer Politikerin. Etwas Nutzloseres als einen Aristokraten, wie er sie vom Festland her kannte, konnte sich der Jarl kaum vorstellen.

      Varg hätte in dieser kritischen Anfangsphase gerne eine Weile am Steinwald verbracht, obgleich er nicht daran zweifelte, dass Sigvar ihn gut vertrat. Die ersten