Wolfe Eldritch

Blutherbst


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ist falsch, er ist einfach nicht richtig.

      Severin de Contaut hob mit einem Ruck den Blick und schüttelte leicht den Kopf. Jedes Mal die gleiche verdammte Grübelei, wenn er mit seinen Gedanken zu lange bei seinem ersten Landmeister verweilte. Dieser Kerl irritierte ihn mehr als jeder andere Mensch, mit dem er in seinem Leben zu tun gehabt hatte. Die Tatsache, dass er diese Gedanken nicht abschalten und von Hainesruh auf die ihm eigene, pragmatische Art und Weise gegenübertreten konnte, ärgerte ihn dabei am meisten. Er beschloss, sich einen warmen Mantel überzuziehen und einen Rundgang durch Wachtstein zu machen, um sich abzulenken. Auf seinem Weg nach draußen wünschte er sich einmal mehr, er würde das Hauptquartier des Ordens nicht mit von Hainesruh teilen müssen. Der Landmeister war ebenso in Wachtstein zu Hause wie Severin als Oberhaupt der Templer.

      Eine eigene Burg wirst du wohl keinem von euch bauen können, ertönte die Stimme seines Vaters spöttisch in seinem Kopf. Es sei denn, du möchtest in deinem Nachruf als der Hochmeister bekannt werden, der wegen seiner Alterszickigkeit die Goldvorräte des Ordens verprasst hat. Severin murmelte eine Verwünschung vor sich hin, und beschleunigte den Schritt. Er nahm sich vor, den Abend wieder mit Jarek zu verbringen, sobald dieser aus der Stadt zurückgekehrt war. Die Zeit mit einem alten Freund zuzubringen war allemal sinnvoller, als sich über unabänderliche Umstände den Kopf zu zerbrechen. Außerdem ging er langsam auf die sechzig zu, während dem Freund eine Reise ins Ungewisse bevorstand. Wer wusste schon, wann und ob der Herr sie erneut zusammenführen würde. Wenig später, als er durch die Wehrgänge der ringförmigen Festung marschierte, war er froh, an der frischen Luft zu sein.

      Bewegung war noch immer das Beste, für den alten Körper ebenso wie für den rastlosen Geist. Seine Laune hellte sich bis zum Abend auf, und so verbrachte er einige seltene, gesellige Stunden mit seinem langjährigen Freund. Die beiden alten Kameraden genossen die letzten gemeinsamen Tage, die ihnen beschieden sein sollten, in vollen Zügen.

      3. Kapitel 2

       Falkehaven

      Das Gefühl einer Hand, die sich schwer auf seine Schulter legte, brachte Alfr av Falksten zurück in das Hier und Jetzt. Gedankenverloren hatte er gerade am Horizont die Umrisse der Insel verschwinden sehen, auf der er die letzten 35 Jahre verbracht hatte. Natürlich war er schon einige Male für längere Zeit auf See gewesen, nie jedoch hatte er die Heimat für mehr als ein paar Tage verlassen. Im Grunde gehörte die nordische See um Norselund für ihn auch genauso dazu, wie der heimische Boden. Er drehte sich um und schaute in das tiefe Stahlgrau der Augen des Jarls von Ulfrskógr. Das zugleich vital und verlebt wirkende Gesicht unter dem ergrauenden Bart verzog sich zu einem Lächeln.

      »Ich bin sicher, dein Vater passt gut auf deine Stadt auf«, sagte er.

      Obgleich sie nur wenige Jahre trennten, empfand Varg für Alfr wie für einen Neffen und wusste, dass der ihn umgekehrt ebenso als eine Art Onkel sah, wie seine beiden wesentlich jüngeren Schwestern es taten. Vermutlich lag es daran, dass er bereits seit über zwanzig Jahren die Position eines Jarls innehatte und noch länger mit Stian befreundet war. Der Sohn des Freundes begann erst nach und nach damit, die Verantwortung zu übernehmen, die ihm nach dem Tod seines Vaters zufallen würde. Falkehaven war für Alfr av Falksten der Anker seines Lebens. Dort vereinten sich die Erinnerungen an seine Kindheit mit den alten Träumen von einem Leben zur See, die nie in Erfüllung gehen würden. Dort lag auch seine Zukunft als Jarl von Falksten. Die Wurzeln von Alfr waren mindestens so tief in die südöstliche Küste von Norselund eingegraben, wie die von Varg in dem harten, kalten Boden seiner Heimstatt, der weit im Norden der Insel gelegenen Festung Snaergarde.

      Alfr erwiderte das Lächeln, wenn auch ein wenig wehmütig. Sein Vater war wenige Tage vor ihrer Abreise in Falkehaven eingetroffen. Rechtzeitig, um sich einen Überblick über die Situation in der Hauptstadt zu verschaffen. Und um seinen Sohn, der sich die letzten Jahre um ihre Geschicke gekümmert hatte, zu verabschieden.

      »Dessen bin ich mir sicher«, meinte er, »aber dennoch ist dies hier eine der mir zugedachten Pflichten, auf die ich dankend verzichten würde. So sehr ich die Anwesenheit auf See genieße, wenn ich an die Zeit an Land denke, könnte ich zum ersten Mal in meinem Leben über die Reling kotzen. Ich habe alle Aufgaben, die Vater mir vorzeitig übertragen hat, gerne übernommen. Aber die jährlichen Besuche bei Hof hätte er wegen mir noch zwanzig Jahre lang selbst machen können.«

      »Du wirst zum ersten Mal in deinem Leben den Glanz und die Erhabenheit der Heimstatt und Person des Regenten unseres glorreichen Königreiches kennenlernen«, meinte Varg mit einem Tonfall, der vor Sarkasmus troff. Alfr kannte ihn von seinem Vater nur allzu gut. »Zeig ein wenig mehr Anerkennung, mein Junge.«

      »Anerkennung am Arsch«, gab Alfr zurück, konnte aber ein Grinsen nicht unterdrücken. Zu gut war Varg der Duktus gelungen, mit dem sein Vater zu spötteln pflegte, obgleich seine Stimme tiefer und rauer war.

      »Ihr beide verbringt eindeutig zu viel Zeit miteinander, seit der alte Mann teilabgedankt hat«, sagte Alfr nicht unfreundlich. »Etwas in der Art habe ich mir vor der Abreise schon von ihm selbst anhören müssen, besten dank auch.

      Varg lachte leise und klopfe dem jüngeren Mann auf die massige Schulter. »Versuch einfach, das Beste daraus zu machen. Mehr bleibt uns allen nicht übrig. Niemand von uns fährt gerne zu diesen götterverdammten Festen. Selbst wenn wir die Reise nicht unternehmen würden, um unsere Zeit mit dem Firlefanz am königlichen Hof und mit den Weißlichtern der Kirche zu verschwenden, hätten wir dieser Tage Besseres zu tun.

      Es sind jedes Jahr fast zwei verschwendete Monate, jedenfalls für mich. Immer noch genug sinnlos vertane Wochen für die anderen beiden, die nicht bis ganz hinauf in den Norden müssen, bevor sie wieder zu Hause sind. Dieses Jahr ist das für uns alle besonders beschissen. Ich würde lieber meine neuen Verbündeten im Auge behalten und Bjorn wäre lieber bei seiner kleinen Familie. Aber das ist nun einmal der Preis, den wir dafür zahlen, dass die Festländer unser Volk in Frieden leben lassen.

      Was wir hier tun, schützt unsere Heimat. Mehr noch, als das Eisen, das wir dem König liefern. Versuch es von dieser Seite aus zu sehen, Alfr. Mir hilft es jedenfalls, wenn ich mir diese Scheiße als eine Schlacht vorstelle, die ich zu schlagen habe. So stumpfsinnig das Schlachtfeld auch gewählt sein mag.«

      Der jüngere Mann nickte seufzend. Er wusste wohl, dass er es noch am besten getroffen hatte. Varg hatte seine Geschäfte Sigvar Rothborg übergeben. Er hatte den ehemaligen Hauptmann seiner Rabengarde über die letzten Jahre hinweg als Stellvertreter aufgebaut. Vor seiner Abreise hatte er ihn offiziell als solchen eingesetzt und ihm den Titel eines landlosen Thane verliehen. Obgleich er dem fähigen und loyalen Mann vertraute, wusste Alfr, wie heikel die Situation in Ulfrskógr war. Die neuen Vasallen des Jarls hatten ihr Land in Besitz genommen und niemand wusste, wie gut oder schlecht sich die fremdartige Kultur der geheimnisvollen Vannbarn in die der Norselunder einfügen würde.

      Bjorn av Krakebekk war nur wenige Tage, bevor er von Krakeborg aufgebrochen war, Vater einer gesunden, rosigen Tochter geworden. Vendela, die ältere der beiden Schwestern von Alfr, war ebenso wie das Kind wohl auf und hatte die Geburt gut überstanden. Dennoch fraß es sichtlich an dem jungen Jarl, dass er diese erste Zeit im Leben seiner Tochter nicht mit seiner kleinen Familie verbringen konnte.

      Alfr selbst hatte Stian, der sich zu Hause um alles kümmerte, und genoss darüber hinaus während der Reise die Gesellschaft seiner Gemahlin. Die einzigen Sorgen, die er sich machte, entstanden in seinem Kopf. Unglücklicherweise war er ein wahrer Meister des sinnlosen Grübelns. Wenigstens ging es Sikah wieder gut. Sie schien ob des Abenteuers der Exkursion zum Festland regelrecht aufzublühen.

      Sie befanden sich an Bord der Falkenkralle, dem Flaggschiff der norselunder Flotte unter der Flagge derer av Falksten. Der bullige Dreimaster beherbergte neben der normalen Besatzung für gewöhnlich fünf Dutzend schwer bewaffneter Karls. Auf der Reise zum Hof des Königs wurden sie zu gleichen Teilen durch Huskarlar aus den Reihen von Falksten, wie durch Blodskjoldir der Rabengarde von Varg ersetzt. Diese Männer bildeten auch die Eskorte, mit welcher die Jarle später über Land reisten. Darane, der undurchsichtige Berater der Jarle von Norselund,