Ana Marna

Aschenhaut


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*

      Tom starrte auf die zusammengesackte Gestalt und fluchte leise.

      Das hätte nicht passieren dürfen. Die Frau, die Sophia vor einer Entführung bewahrt hatte, lag blutüberströmt zu seinen Füßen. Mehrere Kugeln hatten ihre Schulter durchsiebt. Mehr Pein bereitete ihm jedoch der gebrochene Arm, der im rechten Winkel auf unnatürliche Weise abstand. Dieser war eindeutig seine Schuld. Sein Versagen.

      „Tom.“

      Sophias Schluchzen zerrte ihn aus seinen Gedanken. Rasch trat er zu dem am Boden knienden Mädchen, das tränenüberströmt zu ihm hochblickte.

      „Du darfst ihr nichts tun! Sie hat mir geholfen.“

      Er zog sie auf die Füße.

      „Ich weiß“, knurrte er. „Bist du okay?“

      Sophia nickte.

      „Dann lass uns verschwinden.“

      „Aber ... aber Nathalie ...“

      „Wir können sie nicht mitnehmen.“

      „Du hast sie verletzt!“

      Der Vorwurf war nicht zu überhören.

      „Verdammnis, Mädchen. Wenn du nicht aus dem Auto gesprungen wärst ...“

      Das war nicht fair und er wusste das. Diese Kerle hätten jederzeit zuschlagen können. Sie waren schwerbewaffnet und organisiert genug, um Sophias Schulweg zu kennen. So wie es aussah, hatten sie nur auf eine passende Gelegenheit gewartet.

      Sophias anklagender Blick ließ ihn aufstöhnen.

      „Wir rufen den Notarzt.“

      „Und dann?“

      „Und dann wird sie ...“

      Nochmals verdammt! Dann würde sie der Polizei alles erzählen, und diese stände dann über kurz oder lang vor ihrer Tür. Seinem Boss würde das mit Sicherheit nicht gefallen.

      Tom hasste die eigene Gedankenentwicklung. Viele Optionen hatte er nicht, um halbwegs glimpflich aus dieser Situation herauszukommen.

      Mit einem unwohlen Gefühl im Bauch bückte er sich und nahm die verletzte Frau auf die Arme. Dass ihr Blut seinen Anzug ruinierte, war noch das Geringste seiner Probleme. Er würde sich genau überlegen müssen, was er zunächst Sophias Mutter und anschließend Asher Hunter berichten sollte. Beide waren keine einfachen Arbeitgeber und konnten äußerst unangenehm werden, wenn etwas schief lief.

      „Beeil dich, ab in den Wagen!“, knurrte er Sophia zu. „Wir verschwinden sofort.“

       *

      Detektive Lewis Thomson überblickte den Tatort mit leicht verkniffenem Gesicht. Dies war bereits der zweite Schauplatz eines Mordes in dieser Woche. Nur dass beim ersten Tatort der Hergang eindeutig war. Ehemann killt Ehefrau und ruft anschließend verzweifelt die Polizei. Das war eine dicke Schlagzeile wert gewesen und machte die Ermittlung einfach. Doch dieser Fall hier versprach ihn länger zu beschäftigen. Drei Tote und jede Menge Blut und Patronenhülsen. Zeugen gab es keine und die genaue Tatzeit würde man erst noch herausbekommen müssen.

      Er seufzte und schritt zu dem älteren Mann, der vor einer der Leichen hockte.

      „Und? Kannst du schon was sagen, John?“

      Dr. John McMillan wiegte den Kopf hin und her.

      „Die Todesursache scheint offensichtlich: Bei dem hier war es ein Schuss in den Kopf, genauso bei dem anderen da hinten. Der Kerl vor dem Fahrersitz hat ein gebrochenes Genick. Da war jemand wohl ziemlich sauer.“

      Detektive Thomson schnaufte nur und sah auf den Toten. Er trug immer noch eine dunkle Maske. Sein Mörder hatte es offensichtlich eilig gehabt - oder es war ihm egal, wer hinter dem dunklen Stoff steckte. Eines war auf jeden Fall sicher: Wer sich maskierte, führte meistens nichts Gutes im Schilde. Und das verkomplizierte die Lage zusätzlich. Er konnte nur hoffen, dass die Spurensuche weitere Hinweise auf den Tathergang ergab.

       Landsitz von Asher Hunter, Ohio

      Tom lauschte mit einem unwohlen Gefühl in den Telefonhörer. Dass sein Gesprächspartner kurz vor einem Wutausbruch stand, konnte er heraushören. Dass er damit gerechnet hatte, senkte seine Besorgnis nicht.

      Asher Hunter atmete hörbar tief durch.

      „Erzähl alles!“

      Gehorsam berichtete er von Sophias Spurt über den Highway und wie er gerade noch rechtzeitig kam, um die Entführer auszuschalten. Dass er dabei diese Frau verletzt hatte, unterschlug er nicht, und seine Schuldgefühle waren deutlich zu hören.

      „Ich konnte sie nicht dort lassen“, murmelte er. „Sie hat immerhin Sophia gerettet und sie kennt Sophias Namen.“

      „Wo ist sie jetzt?“

      „Ich habe sie in einem der Gästezimmer untergebracht und die Wunden notdürftig versorgt. Allerdings stecken die Kugeln noch und ihr gebrochener Arm ... Also sie braucht dringend ärztliche Hilfe.“

      „Ist sie wach?“

      „Nein. Noch nicht.“

      „Hm, dann sag Dr. Hopkins Bescheid. Er soll sie versorgen. Wie geht es Sophia?“

      „Sie war erst ziemlich verängstigt, aber jetzt hockt sie bei der Frau und schimpft auf die Entführer und auf mich.“

      Asher Hunter lachte auf.

      „Das sieht ihr ähnlich. Sag ihr, dass sie mich heute Abend anrufen soll. Ich will ihre Version auch hören. Und ich will jeden Tag informiert werden. Hast du die Sicherheitsvorkehrungen überprüft und verschärft?“

      „Klar.“

      „Soll ich dir noch jemanden zur Verstärkung schicken?“

      Tom zögerte.

      „Ich weiß nicht, Boss, Julia ist ja schon mit mir überfordert.“

      „Aber du hast ihr von der Entführung erzählt?“

      „Ja, klar, und sie war ehrlich entsetzt.“

      „Dann wird sie es wohl akzeptieren müssen, wenn noch ein weiterer Mann auf unsere Kinder aufpasst. Zumindest in der nächsten Zeit, bis wir mehr über diese Bastarde erfahren haben.“

      Samstag, 14. Juni 2014

       Landsitz von Asher Hunter, Ohio

      Das Erste was sie wahrnahm, war ein dumpfer pochender Schmerz in ihrer Schulter. Dr. Nathalie Bates blieb mit geschlossenen Augen liegen und versuchte sich zu erinnern, was passiert war. Eine kurze Erinnerung an gelbe Augen blitzte in ihr auf, doch dann drängte sich alles andere mit Macht an die Oberfläche. Sophia!

      Sie setzte sich mit einem Ruck auf und sank dann sofort mit einem leisen Stöhnen zurück. Schmerz schoss ihr durch die Schulter und den rechten Arm. Jetzt erst registrierte sie den Gipsverband, und ein Blick auf ihren Oberkörper zeigte ihr einen dicken Verband um der linken Schulter.

      Angespannt sah sie sich um. Sie war nicht im Krankenhaus, soweit war sie sich sicher. Dies sah eher nach einem privaten Gästezimmer aus und die Einrichtung war eindeutig von gehobenem Standard. Keine Billigmöbel, sondern sauber verarbeitetes Massivholz. Ein großes Fenster ließ den Blick auf einen gepflegten Garten zu, der eher wie ein Park wirkte.

      Langsam richtete sie sich erneut auf und wartete, bis sich der erste Schwindel legte. Dann sah sie sich weiter um.

      Neben ihr war ein kleiner Tisch, auf dem ein Glas Wasser und eine Wasserkaraffe standen. Alles wirkte sauber und gepflegt. Neben einem Kleiderschrank befand sich ein schmales Bücherregal. Auf der anderen Seite sah sie eine Kommode, über der ein altertümlicher Spiegel aufgehängt war.

      Ein Tisch in der Ecke des Raumes