Ana Marna

Aschenhaut


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ja auch keine guten Kerle“, verteidigte sich Sophia. „Und außerdem hat Dad den Begriff benutzt. Dann darf ich das ja wohl auch.“

      „Da kann ich wohl nicht widersprechen.“

      Nathalie musste sich zwingen, nicht laut loszulachen. Sophia war zweifellos temperamentvoll, aber dazu ausgesprochen ehrlich in ihrer Art. Das gefiel ihr. Ihr Blick glitt wieder auf Sophias Bruder, der inzwischen vorsichtig zu ihr hochsah.

      „Gehst du auch auf die Marble Hills High School?“

      Er schüttelte den Kopf, aber es war Sophia, die antwortete.

      „Benni hat einen Privatlehrer. Dad meint, dass das sicherer für ihn ist.“

      „Hm.“ Nathalie überlegte, was sie darauf antworten sollte. Noch wusste sie zu wenig über diese Familie. Doch klar war jetzt schon, dass Sophia Hunter keiner durchschnittlichen amerikanischen Familie angehörte.

      „Na, ich hoffe, der Lehrer ist wenigstens nett“, lächelte sie dann. Ein schüchternes Lächeln stahl sich auf Bennis Gesicht.

      „Er ist sehr nett.“ Die Antwort kam leise aber bestimmt.

      „Sehr schön. Ist Mathe zufällig auch dein Lieblingsfach?“

      Sein Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen.

      „Mathe ist cool. Sophia ist nur zu dumm dafür.“

      Seine Schwester schnaufte empört, aber Nathalie sah das belustigte Funkeln in ihren Augen und freute sich. Offenbar mochten die beiden Geschwister sich und das war wundervoll.

      „Benni ist echt gut in Mathe“, bestätigte Sophia. „Dafür hat er überhaupt kein Gespür für fremde Sprachen. In Französisch ist er grottenschlecht!“

      Benni verzog das Gesicht, aber Sophia quietschte plötzlich begeistert auf.

      „Aber jetzt sind Sie ja da! Sie können ihm doch erklären, wie das mit der Lernstrategie funktioniert.“

      „Das kannst du doch auch, Sophia“, wandte Nathalie lächelnd ein, aber das Mädchen schüttelte energisch den Kopf.

      „Das hab ich schon versucht, hat aber nicht geklappt. Ich kann das nicht so gut rüberbringen wie Sie. Bitte! Erklären Sie es Benni auch.“

      Nathalie seufzte innerlich, aber ihr war klar, dass sie nicht daran vorbei kommen würde. Schon allein deshalb nicht, weil sie Bennis hoffnungsvollen Gesichtsausdruck vor sich hatte.

      „Ich hoffe ja nicht, dass ich allzu lange hier sein werde“, meinte sie, „aber gut. Ein zwei Stunden werde ich sicherlich Zeit dafür haben.“

      „Ja!“ Sophia klatschte triumphierend in die Hände. „Super. Benni, glaub mir, das katapultiert dich weit nach vorne.“

      „Moment“, bremste Nathalie ihre Euphorie. „Das hängt einzig und allein von deinem Bruder ab. Ich kann nur die Strategie liefern. Umsetzen muss er es alleine.“

      Es klopfte an der Zimmertür und eine junge Frau trat ein.

      Nathalie war erst irritiert von ihrer Bekleidung. Sie trug ein knielanges graues Kleid mit einer weißen Schürze. In den Händen hielt sie ein Tablett.

      „Ich bringe Ihr Abendessen. Dr. Bates.“

      Ihr Lächeln war freundlich aber distanziert.

      „Oh.“ Nathalie richtete sich langsam auf. „Das ist sehr nett von Ihnen. Darf ich wissen, wer Sie sind?“

      „Das ist Daisy, unser Hausmädchen“, tönte Sophia. Nathalie runzelte die Stirn und sah sie unwillig an.

      „Sophia, dich habe ich nicht gefragt! Und ich denke, die junge Frau kann selber antworten.“

      „Tschuldigung“, murmelte Sophia und zog den Kopf ein.

      „Es ist nicht schlimm, Dr. Bates“, versicherte das Hausmädchen hastig. „Sophia meint das nicht böse.“

      „Das weiß ich, Daisy.“ Nathalie lächelte sie freundlich an. „Aber es ist eine Frage des Respekts. Nochmals danke für das Essen.“

      Daisy stellte das Tablett auf den Beistelltisch.

      „Soll ich Ihnen helfen?“

      „Danke, aber das krieg ich schon irgendwie hin.“

      Als Daisy verschwunden war, meinte Sophia ärgerlich:

      „Was meinen Sie mit Respekt? Ich hab doch nur ...“

      „Sophia“, unterbrach Nathalie sie. „Wem habe ich die Frage gestellt?“

      „Äh ... Daisy.“

      „Genau. Hast du geglaubt, dass Daisy nicht in der Lage ist zu antworten?“

      Sophia wurde rot.

      „Nein“, murmelte sie dann.

      Nathalie nickte. „Dann wirst du auch wissen, was ich damit meine. – Aber du kannst mir gerne helfen. Ich glaube, das Tablett steht auf meinen Beinen besser als auf dem Tisch da.“

      Sekunden später stand vor ihr ein respektables Abendessen und sie schickte die Kinder hinaus. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Immerhin musste sie sich entscheiden, ob sie Tom Jordans Ansinnen nachkommen wollte.

      Noch am gleichen Abend erhielt sie weiteren Besuch.

      Julia Hunter war eindeutig Sophias und Benedicts Mutter. Das gleiche blonde Haar und die gleiche Kinnpartie. Aber ihr schien es, dass Benedict seiner Mutter mehr ähnelte, als Sophia. Vermutlich kam das Mädchen mehr nach dem Vater.

      In Julia Hunters braunen Augen stand Neugier, aber auch eine gewisse Ablehnung geschrieben.

      „Sie sind Professorin an der Stanford University!“

      „Hm, so ist es.“

      Nathalie beschloss, erst einmal unverbindlich freundlich zu sein und herauszufinden, warum Julia Hunter sie nicht mochte, obwohl sie sich nie begegnet waren.

      „Sophia hat mir erzählt, dass Sie ihr bei Mathe geholfen haben.“

      „Hm, auch das ist richtig. Allerdings habe ich ihr nicht unbedingt bei Mathe geholfen. Ich habe ihr nur gezeigt, wie Sie Mathe am besten lernt. Und Ihre Tochter ist erfreulicherweise klug genug, das umzusetzen.“

      Ein leises Lächeln zuckte durch Julia Hunters Gesicht.

      „Ja, sie ist wirklich klug. Aber manchmal auch sehr anstrengend, weil sie immer alles besser weiß.“

      Jetzt musste Nathalie doch lachen und das rächte sich sofort. Ein Zucken glitt über ihre Miene, doch sie schluckte den Schmerz hinunter und meinte: „Das hört sich nach einem pubertierenden Teenager an. Die sind meistens anstrengend.“

      „Haben Sie auch Kinder?“

      Nathalie schüttelte den Kopf.

      „Nein, leider nicht.“

      Sie kannte diese Frau nicht und würde ihr mit Sicherheit nichts von ihrer privaten Hölle erzählen.

      „Dann haben Sie keine Ahnung, wie das ist“, erklärte Sophias Mutter. „Seien Sie froh. – Es tut mir leid, dass Sie verletzt wurden. Aber ich muss zugeben, dass ich dankbar bin, dass es Sie getroffen hat und nicht meine Tochter. Das hört sich zwar nicht nett an, doch wenn ihr etwas passiert wäre, wäre hier die Hölle los gewesen.“

      Als sie Nathalies fragende Mimik sah, schob sie nach: „Mein Mann ist ein – na, sagen wir mal ein Choleriker. Und wenn es um unsere Kinder geht, ist er besonders empfindlich.“

      Nathalie wurde aus dieser Frau nicht schlau. Sie wirkte zerrissen zwischen den verschiedensten Gefühlsebenen. Liebe, Hass, Enttäuschung, Zorn, Traurigkeit. Doch welches Gefühl galt wem?

      Nathalie Bates war erleichtert, als sie kurze Zeit später wieder alleine war. An was für eine Familie war sie da bloß geraten? Nichts schien hier normal zu sein. Keine Harmonie, kein übliches