Ana Marna

Aschenhaut


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      Wo war sie gelandet?

      Es dauerte keine Minute, bis sich die Tür öffnete und ein hochgewachsener Mann eintrat. Nathalie blinzelte und erinnerte sich. Das war doch der Mann, der Sophia gefahren hatte. Neugierig betrachtete sie ihn. Seine blonden Haare hatten einen gepflegten Kurzhaarschnitt, nur ein widerspenstiger Wirbel an der rechten Schläfe störte ein wenig das Bild. Doch sie fand dies eher sympathisch. Seine Bewegungen verrieten Kraft und Ausdauer, als er an ihr Bett trat. Eindeutig kein Stubenhocker, schätzte sie. Mit einer gewissen Erleichterung registrierte sie, dass er keine gelben Augen hatte. Sie waren blau und sah jetzt ernst auf sie herunter.

      „Sie sind der Onkel von Sophia!“, stellte Nathalie fest.

      In seinem Gesicht zuckte es amüsiert.

      „Hat sie das gesagt? Das sieht ihr ähnlich.“

      „Ich hab es ihr auch nicht wirklich abgenommen“, gestand Nathalie. „Es klang nicht überzeugend. Wer sind Sie dann?“

      „Ich bin für Sophias Sicherheit zuständig.“

      „Oh!“ Nathalie musterte wieder seinen Körperbau und nickte dann. Das ergab eher Sinn. „Geht es Sophia gut? Ist sie verletzt?“

      „Nein, sie hat ein paar Schrammen und blaue Flecken, aber ansonsten geht es ihr bestens.“

      „Gott sei Dank.“ Nathalie atmete erleichtert auf. „Wissen Sie denn schon, wer diese Kerle waren?“

      Er hob die Schultern.

      „Soweit ich weiß, hat die Polizei ihre Identität noch nicht ermittelt, und auch wer sie beauftragt hat, wissen wir noch nicht.“

      „Muss ich denn keine Aussage bei der Polizei machen? Und warum bin ich nicht im Krankenhaus?“

      Jetzt zögerte er. Dann gestand er: „Die Polizei weiß nichts von Ihnen und auch nicht von Sophia. Und so soll es auch bleiben.“

      Nathalie holte überrascht Luft.

      „Aber ... die waren schwer bewaffnet. Wenn sie das wieder versuchen ...“

      „Das werden sie nicht.“ Seine Stimme klang sanft, aber seine Augen wirkten kühl und nüchtern. „Sie sind tot.“

      Für einen kurzen Moment fühlte Nathalie einen kalten Schauer durch sich hindurch wandern.

      „Sie haben diese Männer getötet!“

      Es war keine Frage und in seinen Augen stand die Bestätigung geschrieben.

      „Oh mein Gott“, murmelte Nathalie und ließ sich wieder zurücksinken. Nach einigen Sekunden meinte sie:

      „Okay, im Prinzip kann ich das akzeptieren. Diese Mistkerle haben auf mich geschossen! Und ein Kind zu entführen ist eine Riesensauerei.“ Sie stockte und versuchte den aufsteigenden Zorn in sich zu ersticken. „Aber warum sagen Sie der Polizei nicht, was passiert ist? Falls jemand im Hintergrund die Fäden zieht, muss der doch gefunden werden! Darf ich eigentlich Ihren Namen erfahren?“

      „Tom. Tom Jordan. Und nein, wir wollen nicht, dass die Polizei von Sophia erfährt.“

      „Und wer ist bitte schön wir?“

      „Sophias Vater.“

      Das war nicht weiter überraschend. Aber es war nicht in Ordnung.

      „Sie lassen die Polizei absichtlich im Ungewissen, was diese toten Männer angeht? Aber wie wollen Sie denn herausfinden, wer für diesen Überfall verantwortlich ist?“

      Tom Jordan zögerte, doch dann antwortete er: „Glauben Sie mir, mein Boss hat da seine Kontakte. Aber oberste Priorität hat der Schutz der Kinder. Jede Aufmerksamkeit auf sie soll vermieden werden. Und das gilt auch was Polizei, Presse oder sonst irgendwelche Leute angeht.“

      „Und ich vermute mal, dass Sie jetzt von mir erwarten, dass ich den Mund halte und niemandem davon berichte.“

      Er nickte bestätigend.

      „So ist es. Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie eingegriffen und Sophia beschützt haben. Doch noch mehr helfen Sie ihr, wenn Sie nicht reden.“

      Darüber musste Nathalie erst einmal nachdenken, und das sagte sie auch. Sie sah ihm an, dass ihm das nicht passte, doch er nickte.

      „Tun sie das. Haben Sie Schmerzen?“

      „Es lässt sich aushalten.“

      Das war zwar nicht ganz richtig, doch sie war nicht bereit, Schwäche zu zeigen. Das war noch nie ihr Ding gewesen. Nur einmal in ihrem Leben, war ihr die Kontrolle entglitten, und das hatte sich furchtbar angefühlt. Sie hoffte, dass ihr das nie wieder passieren würde.

      „Wenn Sie etwas benötigen, oder die Schmerzen zunehmen, können Sie die Glocke benutzen.“ Er wies auf eine kleine Handglocke, die ebenfalls auf dem Beistelltisch stand. „Gibt es etwas zu beachten, was Ihre Ernährungsweise angeht?“

      Sie blinzelte überrascht. „Nein, nicht dass ich wüsste, aber nett, dass Sie fragen.“

      Er nickte und verließ ohne weiteren Kommentar den Raum.

      Nathalie stieß spontan die Luft aus. Jetzt hatte sie einiges zum Nachdenken. Dieser Mann war ihr – unheimlich. Warum konnte sie nicht sagen. Und das, was er ihr erzählt hatte, war heftig. Sie bezweifelte keine Sekunde, dass er diese Männer getötet hatte. Wie viele waren es gewesen? Doch mindestens drei! Selbst wenn er diese Kerle überrascht hatte, war das bemerkenswert. Schließlich waren die schwer bewaffnet gewesen.

      Und wie sollte sie mit der Forderung umgehen, der Polizei nichts zu erzählen? Sie kam nicht weit mit ihren Überlegungen, denn die Tür wurde aufgerissen und Sophia stürmte herein. Hinter ihr lugte vorsichtig ein kleinerer Junge ins Zimmer.

      „Sie sind wach“, strahlte Sophia. „Geht es Ihnen gut?“

      Nathalie war froh, dass sich das Mädchen nicht in ihre Arme warf, sondern vor dem Bett stehen blieb.

      „Hallo Sophia“, lächelte sie. „Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist. – Ist das dein Bruder?“

      Sophia warf einen ungeduldigen Blick zur Tür.

      „Komm schon rein, Benni, Nathalie ist total nett. Und unheimlich klug!“

      Als der Junge zögernd das Zimmer betrat und näher kam, war deutlich zu erkennen, dass er Sophias Bruder war. Die gleichen blonden Haare, und die gleichen blauen Augen. Doch er wirkte vorsichtiger, schüchterner. Nathalie schätzte sein Alter auf ungefähr zehn Jahre.

      Sie lächelte ihn freundlich an.

      „Hallo Benni, freut mich, dich kennen zu lernen.“

      Benedict Hunter stand mit niedergeschlagenen Augen vor ihr und seine Hände krampften sich nervös ineinander. Er wirkte, als hätte er noch nie eine fremde Frau gesehen.

      Sophia plapperte dagegen sofort los.

      „Tom hat gesagt, dass Sie Schmerzen haben, aber es nicht zugeben wollen. Das ist aber alles andere als klug! Ich hab mal gelesen, dass Schmerzen einen verkrampfen lassen und dann wird alles nur noch schlimmer.“

      Nathalie musste lachen und verzog sofort das Gesicht.

      „Dein sogenannter Onkel hätte dir das nicht erzählen sollen, Sophia. Es ist meine Entscheidung, was ich aushalten will und was nicht.“

      Sie wurde sofort knallrot.

      „Tut mir leid. Das mit dem Onkel mein ich. Aber wenn ich Ihnen gesagt hätte, dass er mein Leibwächter ist, hätten sie vielleicht gedacht, dass ich mich wichtigmachen will. Das wollte ich nicht.“

      „Sophia, du bist wichtig! Jeder Mensch ist wichtig. Und wenn deine Eltern glauben, dass du Schutz brauchst, werden sie ihre Gründe haben und es muss dir nicht peinlich sein.“

      Das Mädchen grinste wieder.

      „Sie sind wirklich klug. Danke. Und noch mehr